Volltext: Die Wölfe [42]

die ich getroffen — bringt eines Tages die Nachricht, daß 
von jetzt ab fünf Herren in die evangelische Kirche gehen 
. dürfen. Ich setze viel Hoffnung auf die Kirche, kann dort Bal 
ten treffen, kurz, vielleicht läßt sich etwas einfädeln. 
In der kleinen Kirche ist es wie in Deutschland. Wir sind 
andächtig, wirklich andächtig, denn es wird deutsch gesungen, 
.deutsch gepredigt, die russischen Wachleute stehen hinten und 
stören nicht. Zu sprechen wagen wir mit niemand, weil an 
zunehmen ist, daß ein Polizeispitzel den Gottesdienst überwacht. 
Ans dem Chor singt eine helle Stimme. Ein Kamerad 
gibt mir einen Rippenstoß und weist mit dem Kopf nach hin 
ten. Ich schaue hinauf. Eine Dame neigt leicht den Kopf, 
kaum merklich. Ich sehe noch mehrere Male hinauf. Immer 
wieder das unmerkliche Nicken, eigentlich nur ein Gruß.mit 
den Augen. Aha — denke ich — die Anknüpfung. 
Beim Hinausgehen steht die Dame am Ausgang. Im Vor 
beigehen sage ich zu einem Kameraden: „Ich bin Balte, sind 
wie Landsleute ?" Ein Nicken, ein leises: „Ja" war die Anwort. 
Die nächste Woche schleicht unendlich langsam, laßt sich mit 
allen Vokabeln nicht totbüffeln. Am Monnabend schreibe ich 
einen Brief an die Landsmännin, mit der Bitte, beigefügten 
Brief abzusenden und sich bei den angegebenen Adressen nach 
meinem Vater zu erkundigen, der, wenn er nicht aus Dorpat 
verschickt ist, mir am besten helfen könnte. Der Sonntag kommt, 
und diesmal sitzen wir dicht beieinander. Ich spreche nicht, 
zeige nur meinen Brief. Sie nickt. Beim Hinausgehen kommt 
es darauf an, schnell und unbemerkt den Brief in ihre Hand 
zu spielen. Schnelligkeit ist alles. Wieder steht sie in der Tür, 
einen großen Muff in der Hand. Blitzschnell will ich den Brief 
in den Muff schieben, da... meine Hand bleibt in der Luft 
stehen. Sie hat den Muff zurückgezogen. Bin ich unvorsichtig 
gewesen? Wir müssen vorüber.
	        
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