Volltext: Die Wölfe [42]

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Es wurde morgen, es wurde übermorgen, nochmals über 
morgen — kein Jsmael, nur Hunderte von summenden 
Fliegen im Zimmer und Albast, der mit seinen fünf russischen 
Worte» lange Geschichten erzählte. Wir merkten bald, daß 
Mohammedaner es nicht eilig haben. Woher auch, sie haben 
Zeit wie Heu, und europäische Hast kennen sie nicht. 
Sieben Tage langweilten wir uns die unruhige Seele aus 
dem Leibe, rauchten im halbdunkeln Zimmer, sahen Albasi 
bei seinen Fußwaschungen und Gebetübungen zu oder lagen 
im Garten und aßen rohe Pflaumen, bis der Magen schmer 
zend protestierte. So aufmerksam Albast war, so hungerte« 
wir doch. Kleider allein machen nicht einen Inguschen, be> 
sonders wenn man einen an Europas Kost gewöhnten Magen 
hat. Dreimal täglich gab es Tee, zweimal etwas beißenden 
Schafkäse und zu Mittag zwei oder drei im Feuer geröstete 
Maiskolben. Wenn Albast längst vergnügt mit Schmatze» 
fertig war, gingen wir in den Garten und schüttelten harte 
rohe Pflaumen von den Bäumen. 
Ab und zu besuchte uns ein ganz in Schwarz gekleideter 
Jngusch, der nie — auch beim Schlafen — sein scharfgeladenes 
Gewehr aus den Händen ließ und unruhig mit den Auge« 
irgend etwas suchte. Nie kam er allein, und nie verließ er 
allein das Haus. Seine rechte Hand war zerschossen und steif 
von einem Pferderaub. Auf dem Manne lasteten Todes- 
schatten,.er stand unter Blutrache, weil er bei dem Pferderaub 
einen Landsmann erschossen. Die Blutrache umlauerte ihn 
aus allen Gewehren der Verwandten des Ermordeten. 
„Warum kaufst du dich nicht los?" fragte ich ihn. 
„Ich habe kein Geld und will auch nicht." 
Als wir eines Abends mit dem Schwarzen in die Maisfelder 
gingen, huschte ein Schatten hinter einer Hecke. Es war ein 
Verwandter des Ermordeten, der nur darauf lauerte, den
	        
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