Volltext: Versuch einer Vereinfachung der Musikzeichen und einer kurzen Geschichte der Musik.

8 
„Die 1*® Art bestand in einem Systeme von 5 Parallellinien (Liniensystem oder Notenplan nennen 
wir es beut zu Tage, la portee), auf welche und zwischen welche er zuerst viereckige Punkte setzte, welche 
durch ihre Entfernung von einander die Höhe und Tiefe der Töne mit grosser Bestimmtheit bezeichneten. Es 
durften jetzt nur noch einer oder zwei von diesen Punkten durch die Vorzeichnung eines oder zweier Buchstaben 
seines Tonsystems benannt werden, so gaben diese den Schlüssel zur Benennung aller übrigen Punkte oder 
Noten. Er setzte desswegen die Buchstaben (wir nennen sie Schlüssel, Claves) c und f vor, und damit diese 
desto auffallender wären, zog er die dem c entsprechende Linie mit gelber, und die Linie des f mit 
rother Farbe.“ 
Zur näheren Erklärung folgt nun eine Stelle Guido’s (Gerbert II. 47.), und dann heisst es weiter: 
„Diess ist demnach der Notenplan, welchen wir dem Guido verdanken, und der noch heut zu Tage 
in der ganzen musikalischen Welt gang und gäbe ist. Man sieht, dass seine ursprüngliche Anordnung sehr 
zweckmässig war. Die gezogene gelbe und rothe Linie machte sogleich auf die Haupttöne c und f aufmerksam, 
so wie auf die darauf fallenden Halbtöne; und überdiess half sie zur bessern Versinnlichung der Intervalle, 
indem man sogleich wusste, dass von der gelben bis zur rothen Linie, d. i. von c bis f eine Quarte, und von 
der rothen bis zur gelben Linie aufwärts, d. i. von f bis c, eine Quinte zu nehmen sei. — Doch die Bequem¬ 
lichkeit der Notenschreiber fing bald an, diese nützliche Anordnung Guido’s zu vernachlässigen, und zog 
entweder lauter rothe oder lauter schwarze Linien. So finde ich schon in unsern Manuscripten vom XIV. Jahr¬ 
hundert immer einen aus lauter rothen Linien bestehenden Notenplan, welchem aber doch wenigstens noch die 
Schlüsselbuchstaben c oder f, oder beide zugleich, wenn es der Notenplan erlaubte, vorgezeichnet wurden, 
wie z. B. 
^ a p 
v Bä 
-—7^-r®- 
siomresior&ctt/O e£ vdtas, 
(fttt credit/ ttv 
/ 
me* etücmsi mcr - 
# M_^ 
Ä r _ A ^ 4 4 ▼ ^ 0 
7^.... m. Ä 
i 4t ' v -V* _ _ 
gg 
tuus Juerit vivat, et omnis am credit irv me non ntor'i&frur- 
In der Folge liess die Grausamkeit der Musiker nicht einmal die Schlüsselbuchstaben in Ruhe, sondern zerrte 
und verzerrte sie so lange, bis sie endlich die gegenwärtige Gestalt erhielten, welche im Choral für C ein £ , und 
für f ein iS. in der gewöhnlichen Musik aber für das C ein |J^, und für f ein ist, und welche man wohl 
auch eher für alles andere, als für das, was sie ursprünglich sein sollten, halten würde. Diese neuere verhunzte 
Gestalt der Schlüsseln traf ich schon in einem unsrigen Antiphonarium vom Jahre 1464.“ 
Im Folgenden erwähnt Schwarzenbrunner, dass Guido zur Bezeichnung der Töne sich auch oft der 
7 ersten Buchstaben des lateinischen Alphabetes, und zwar der grossen für die tieferen Töne, der kleinen 
für die nächstfolgende Octave, und der verdoppelten für die noch höhere Octave bediente, welche Bezeichnungs¬ 
art aber, obwohl Guido selbst sie als die bessere empfahl, sich doch keiner allgemeineren Annahme von den 
Musikern erfreute. Dass Guido auf eine dritte, wohl noch einfachere Bezeichnungsart der Töne, durch 
die 7 arabischen Ziffer 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. noch nicht habe verfallen können, zeige sich daraus, weil 
zu seiner Zeit die arabischen Ziffer im Abendlande noch gar nicht gebräuchlich waren. Diese seien erst viel 
später bei uns in Uebung gekommen; und Bernardus Noricus bediene sich noch im XIV. Jahrhundert meistens der 
römischen, und nur selten der arabischen Ziffer. — Die folgenden Blätter befassen sich mit Guido’s Methode 
beim Gesangunterrichte (Solmisation), worauf sich der Verfasser ihre Verbreitung nach England, Frankreich 
und Deutschland zum Gegenstände seiner Besprechung macht. Auch die sogenannte harmonische oder 
Guidonische Hand, ein sinnliches Hilfsmittel des musikalischen Lesens, findet hier ihren Platz.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.