Die Ahnl Regina.
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schon seit den ersten Tagen ihrer Verbindung mit Thomas
das starke Bindemittel des ehelichen Glückes, ncmlich seine
körperliche Zuneigung fehle, lind daran stießen sich ihre
Gedanken, die keinen Ausweg fanden, wie an einer steinernen
Wand.
Sehen wir das zwischen äußerem Reichthum und inne¬
rem Unglück ringende, verständige und treffliche Weib, so
drängt sich uns manche Betrachtung auf, die wir zum fer¬
neren Verständniß unserer Erzählung auszusprechen für noth¬
wendig erachten.
Auf die Willensbestimmung und Handlungsweise der
Menschen in einfacheren Kulturzuständen übt, wie leicht
erklärbar, der körperliche Theil der menschlichen Natur einen
mächtigen Einfluß. Die Nichterfüllung oder Ucberschrcitung
des Naturgemäßen rächt sich dort schneller, und ein dadurch
entstandener Zwiespalt der Natur tritt stärker, unmittelbarer
und offenkundiger zu Tage, als bei Menschen einer mehr ab¬
geschliffenen Bildung, deren Verirrungen darum nicht minder
groß sind.
Regina aber that durch ihre späte Heirat einen Schritt,
der eben kein Naturgemäßes erfüllte. Von ihrem noch feuri¬
gen Temperamente getrieben, achtete sic an der Schwelle
eines Alters, das für ein Weib schon sehr bedenklich wird,
nicht des großen Unterschiedes der Lebensjahre, und wähnte,
diesen gänzlich außer Acht lassen zu dürfen.
Das Unnatürliche dieses, nun nicht mehr aufzuhebenden,
täglich sichtbarer hervortretenden Gegensatzes war Reginen,
die wir trotz ihres Alters von einem bedeutenden Grade
Kaltenbrunner, Dorfgeschichten. 7