Volltext: Festschrift zur Erinnerung an die feierliche Einweihung des israelitischen Tempels in Linz des ersten in Oberösterreich

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würde, nicht als Christ, nicht als Katholik, ich spreche, indem ich mir 
das Mandat aller Gebildeten ohne Unterschied der Konfession usurpire, 
ich spreche, indem ich mich zum Vertreter aller derjenigen aufwerfe, 
denen es gegönnt war, der heutigen, schönen Feier beizuwohnen. Ich 
will also anläßlich dieser konfessionellen Feier eine interkonfessionelle 
Rede halten. Ich würde dies nicht wagen, wenn ich etwa als Jude 
einem Bankette zu Ehren der Einweihung einer katholischen Kirche bei— 
wohnen würde, denn ich wüßte, daß die alleinseligmachende Kirche mir 
diese Arroganz oder mindestens Taktlosigkeit niemals verzeihen würde. 
Daß ich es heute wage, als Katholik meine Worte an Juden 
zu richten, das haben Ihre eigenen Wortführer, Ihre Priester zu ver⸗ 
antworten; jene Priester, welche heute im Tempel im Angesichte der 
jüdischen Heiligthümer, der Bundeslade und der Tafeln Moses ein 
Evangelium gepredigt haben, das nicht allein das der Juden, sondern 
das aller Gebildeten, das der Humanität und des Fortschrittes ist, 
jener Priester, welche der Freude über die endliche Befreiung ihres Glaubens 
aus Jahrhunderte dauernder Knechtschaft nicht dadurch Ausdruck gaben, 
daß sie zum Kriege gegen ihre Knechter riefen, sondern dadurch, daß sie 
die Eintracht, den Frieden aller Konfessionen vom Himmel flehten, daß sie 
die Zeit des wahren Messias als dann gekommen erklärten, wenn der 
Streit um das Dogma gefallen, und die Sonne der Aufklärung den 
Samen der Menschlichkeit, der Brüderlichkeit zu ewigem Leben ge— 
zeitiget habe.. 
Verehrte Anwesende! Sie haben heute ein schönes, erhebendes 
Fest gefeiert. Sie, die kleine Jugendgemeinde, haben in kurzer Zeit 
dem Herrn einen Tempel gebaut, dessen Kosten in keinem Verhältnisse 
stehen zu den Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln. Zwei Eigenschaften 
aller derjenigen, welche sich an diesem frommen Werke betheiliget haben, 
und desjenigen insbesondere, welcher an der Spitze des Unternehmens 
stand, sind es, welche die Ausführung eines so großen Werkes möglich 
gemacht und welche das hinreichend ersetzt haben, was an materiellen 
Mitteln etwa mangelte, Einigkeit und Koönsequenz. — 
Es sind dies zwei Eigenschaften, deren sich nicht allein die Linzer 
Kultusgemeinde zu rühmen hat, welche vielmehr die Eigenthümlichkeit 
des ganzen jüdischen Stammes bilden, zwei Eigenschaften, welche die 
Juden von den Niederungen der Konfession, in welcher sie das kurz— 
sichtige Mittelalter gedrängt hat, auf die Höhen einer Nation erhoben 
hat, einer Nation freilich, welche dem landläufigen Begriffe, den die 
Völkerkunde sich gebildet hat, nicht entspricht. Denn die jüdische Na— 
lion ist nicht in bestimmte Lande gezwängt, ihre Wohnsitze sind nicht
	        
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