Volltext: Festschrift zur Erinnerung an die feierliche Einweihung des israelitischen Tempels in Linz des ersten in Oberösterreich

39 
den Völkern aussieht, wie ihre Bildung beschaffen ist, ob Aufklärung 
and Humanität dort eine Stätte aufgeschlagen haben, wie regieret und 
was für Gesetze gegeben werden, so braucht man blos auf die Juden 
zu blicken. Es gibt Staaten, wo die Humanität unter Null steht — 
ich brauche dieselben nicht zu nennen, sie sind heute in. dem Munde 
von ganz Europa —, blicken sie dorthin und betrachten sie dort den 
Juden, seine äußere Erscheinung, seine gedrückte Haltung, sein ganzes 
verkümmertes Wesen, und Sie werden erkennen, daß nicht blos in 
unseren Gegenden der Mai etwas kalt ist, sondern daß in jenen Ländern 
nie ein Mai aufgegangen ist für wahre Bildung und für Civilisation! 
Wie es in unserem Vaterlande aussieht, auch dafür sprechen die Juden. 
Der große Fortschritt, der sich in Oesterreich vollzogen hat, die allge— 
meine Gleichstellung, welche alle Religionen und Nationalitäten um— 
cchlingt, sie werden am besten dokumentirt durch die Verhältnisse der 
Juden in unserem Staate. 
Ich habe aber in dem Wechsel der Witterung des heutigen 
Tages auch ein lebhaftes Abbild der Geschicke der hiesigen Kultusge⸗ 
meinde gesehen. Als ich vor 16 Jahren hier war, habe ich — zum 
erstenmal vielleicht seit Jahrhunderten in Oberösterreich — in der 
Hauptstadt dieses Kronlandes das Judentum öffentlich vertreten, 
allerdings nicht in einem Gotteshause, auch nicht in Mitten der Ge— 
meinde, denn damals war es den Juden noch nicht gestattet, sich hier 
niederzulassen, sie hatten kein Heimatsrecht, durften keine Gemeinde 
bilden, man hatte vielmehr, wie es damals überhaupt in Oesterreich 
zu geschehen pflegte, die Juden mit halbgeschlosseyen Augen angesehen. 
Ich habe hier in dem Kaffeehause am Eck der großen Brücke, wo ich 
eine Trauung vollzogen hatte, für unsere Glaubensgenossen gesprochen 
and der Stadt ein Bild von den Juden entworfen welches durchaus 
nicht den Vorurteilen entsprach, von welchen deren Bewohner erfüllt 
waren. J 
Ich kann mich erinnern, daß die Bewohner damals sehr freundlich 
waren, daß sie mit der größten Bereitwilligkeit und Herzlichkeit uns 
entgegenkamen; es waren sogar Vertreter der Stadtrepräsentanz und 
der Polizei gegenwärtig und ich erinnere mich, daß ich damals meine 
Glaubensgenossen bei der Polizei denunzirt habe, daß sie gegen das 
Gesetz und gegen den Willen der Behörden in Linz sich niedergelassen 
haben. 
Der Boden dieser Stadt war also zu jeder Zeit ein guter, er 
war zu jeder Zeit einpfänglich für die Saat der Bildung. Nun, 
meine Geehrten! Sie wissen sehr gut, daß der beste Boden nicht im
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.