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noch nicht in den amerikanischen Slaatenbund aufgenommen, sondern
Territorium war. Gelegentlich ging eine Kuh und ihr Kalb, wenn es sehr
jung war, ein. Jane erwirkte sich von den Viehzüchtern das Recht, alle
die kleinen hilflosen Kälberwaisen als ihr Eigentum zu betrachten. Eine
unverfälschte wild-westliche Amazone, starkknochig, von hoher Gestalt, saß sie
nach Männerart aus dem Mustang und streifte tagelang ohne Ermüdung
über die weiten Weidegründe, um nach verwaisten Kälbern auszublicken.
Eines Morgens kam sie an einen Fluß, der durch Regengüsse plötzlich ge
stiegen war und dessen Wasser wild dahinbrauste. Auf der einen Seite des
Flusses stand ein Kalb, auf der anderen die Kuh, die ihr Kalb zu sich rief.
Das Junge, der Gefahr unbewußt, war bereits in die dahinbrausende Flut
gestiegen, die es unfehlbar davongerissen und ertränkt hätte. Jane sprang
wie der Blitz vom Pferde, watete ins Wasser und erwischte das Kalb ge
rade in dem Augenblicke, als die reißende Strömung es davontragen wollte.
Sie selbst wäre um ein Haar umgeworfen worden. Aber es gelang ihr,
sich und das Kalb in Sicherheit zu bringen und nach einem „Corral" zu
treiben. Sehr bald hatte sie bei den Viehzüchtern und Kuhhirten den Bei
namen die ,,Kälbermutter". Sie verdiente ihn im besten Sinne des Wortes,
denn niemand verstand das Vieh besser zu behandeln als Jane. Das ver
schaffte ihr die Achtung der Züchter und Hirten. Ihr Fleiß und ihre ge
schäftliche Ehrenhaftigkeit begannen bald Früchte zu tragen.
Es kam eine Zeit, wo Jane zwischen 2000 und 3000 Stück Vieh
ihr eigen nennen konnte. Ihr Vermögen wuchs beständig, und als sie ganze
Herden für 10.000 Dollar in bar zu kaufen vermochte, begann man sie
die ,,Viehkönigin" (the cattle Queen) zu nennen. Als Viehkönigin beschloß
sie, ihre eigenartige Krone mit einem Mann zu teilen, wiewohl sie bereits
ziemlich hoch in den Jahren war. Sie heiratete einen reichen Viehzüchter
aus Texas, namens Luther Applebee. Jane war ebenso geschäftstüchtig wie
gutherzig. Als ob ihre eigenen fünfzehn Kinder nicht genug gewesen wären,
hatte sie noch mehrere Waisen aus der Verwandtschaft ihres ersten Mannes
zu sich genommen, denen sie eine genau so aufopfernde und fürsorgliche
Mutier war wie ihren eigenen Kindern. Außerdem adoptierte sie noch ein
kleines Mädchen aus einem Waisenasyl in St. Louis und ließ ihm, da das
Kind künstlerische Fähigkeiten zeigte, die denkbar beste künstlerische Erziehung
zu teil werden. Sie wußte den Wert der Bildung zu schätzen, gerade weil
ihr selbst, dem ehemaligen Jndianermündel, Bildung versagt blieb. Vor
sieben Jahren, als sie 75 Jahre alt geworden war, glaubte sie des Guten
genug getan zu haben. Sie stieg von ihrem Königsthron oder, prosaischer
ausgedrückt, sie gab ihr Geschäft auf und ließ sich in dem schon erwähnten
Tulsa nieder. Ihr Haus umgab sie mit einem herrlichen Garten, den sie
selber in ihre besondere Obhut nahm. Blumen sind die einzige Freude dieser
merkwürdigen Greisin, die Jahre hindurch zu Roß über die einsame Prärie
jagte und das rauhe, gefahrvolle Leben der Viehzüchter führte, ohne irgend
eine Gelegenheit zu haben, sich die feineren Genüsse des Lebens zu verschaffen.
Selbst im Lande der ungewöhnlichen Lebensläufe ist der Lebenslauf
Jane Applebees etwas Außerordentliches, die es von einer Waschfrau unter
den Osage-Jndianern zur Viehkönigin brachte. Sie verkörpert gegenüber