Volltext: Oö. landwirtschaftlicher Kalender 1873 (1873)

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Zwölf Ahr. 
Wer kennt sie nicht, die lieben Uhren auf dem Lande, die oft in voll 
ster Unabhängigkeit von der wahren Zeit, sich ihre eigene Zeit bilden! Ein 
Unterschied von einer halben Stunde verschlägt da wenig, und nicht selten 
kann der Wanderer, beim Eintritt in den einen Ort, dieselbe Stunde von 
der Thurmuhr verkünden hören, die ihm beim Scheiden von dem andern Orte, 
vor geraumer Weile nachtönte. 
Ehevor hatte man wenig Anlaß, derlei Mängel allzu ernst zu nehmen; 
zum Botenwagen kam man ja doch zurecht, und traf es sich ja einmal, daß 
man ihn versäumte, so war man meistens sicher, ihn bei dem nächsten Hügel 
wieder einzuholen. Das ist nun anders geworden durch das Eisenbahnwesen, 
welches den Verkehr an sich zieht, aus größerer oder geringerer Entfernung. 
Jetzt heißt es pünktlich sein, wenn man die Bahn benützen will, weil hier 
eine versäumte Minute gar oft den Zeitverlust eines halben, ja eines ganzen 
Tages nach sich zieht und nicht selten ein dringendes Geschäft vereitelt. Um 
aber pünktlich sein zu können, muß man die Uhren in guter Ordnung zu 
halten und sie mindestens von Zeit zu Zeit richtig zu stellen wissen. Wie 
dies für den Einzelnen möglich ist, wie man es anzufangen hat, um — 
wenn auch nicht tagtäglich, so doch manchmal — mit Verläßlichkeit seine 
Zimmer- oder Taschenuhr in Uebereinstimmung zu bringen mit den nunmehr 
maßgebenden Eisenbahnuhren, das wollen wir hier erklären. 
Das ganze Geheimniß beruht auf der Anlage einer Mittagslinie 
und zwar durch Aufzeichnung des Schattens, den irgend ein unbeweglicher 
Gegenstand zur Mittagszeit auf einen andern festen Körper wirft. 
Hierzu wähle man ein Fenster des Wohnhauses, das in einer etwas 
schiefen Richtung gegen die Mittagssonne liegt. Die äußerste Ecke derjenigen 
senkrechten Fenstermauer oder Fensterumrahmung welche um die 
zwölfte Stunde den Schatten auf die untere wag rechte Fenstermauer 
wirst, ist bestimmt, den Schatten auf die zu verfertigende Mittagslinie zu 
werfen. Es ist nun folgendes zu thun erforderlich. 
Man nehme ein vollkommen eben gehobeltes Brettstück von dürrem 
Holze, das sich in der Sonne nicht verzieht, dessen Länge beiläufig 12—15 
Zoll, dessen Breite 5—6 Zoll beträgt und überspanne es mit zuvor ange 
feuchtetem Papier so, daß es fest und glatt wie auf einem Reißbrette anliegt. 
In dieses Brett, welches die vorstehende Form hat, wird bei dem 
Punkte E, ein 6—9 Zoll langer, ganz gerader Draht, der die Dicke eines 
dünnen Federkieles haben soll, gut befestigt. Das obere Ende dieses Drahtes 
wird etwas abgerundet. 
Ist dieses geschehen, dann setzt man an einem heiteren, sonnigen Tage 
da- Brettchen wagrecht auf die Fensterbank, derart, daß die Seite A—B zum
	        
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