Volltext: Oö. landwirtschaftlicher Kalender 1900 (1900)

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Garten hinter sich, schreitet durch den Flur zum Thore des Gasthofes, vor dem eine 
»chöne leidige Kuh, an den Schranken gebunden, seiner harrt. Der Hausknecht löst den 
Strick, nimmt sein Trinkgeld in Empfang und schaut dem forttrotrenden Paare nach. 
„So a Viehhändler sein, is a Leb'n! Fünf Stunden zehrt er in Wirtshaus, was gut 
und theuer is, und grob darf er sein wie a Graf!" 
Der Lahnpoltinger treibt gemächlich weiter, fingert mit vergnüglichem Grinsen 
in der Westentasche und versucht ein gemeingefährliches Schnadahüpfl zu gröhlen. Der 
Samer Stach scheint doch nicht im Vortheile zu sein mit der Brieftasche. Heiß brennt 
der Sonnenschein hernieder, seufzend und schnaubend trocknet sich der dicke Viehhändler 
Gesicht und Hals mit dem riesigen blauen Tuche, und immer zäher wird sein Schritt. 
So kommt er an einen Kreuzweg. Jenseits des Straßengeländers wirst ein dichtes 
Haselgebüsch breite Schatten. Da hält der Ermattete an, knüpft die Kuhhalfter an die 
Schranken und läßt sich dann zerfließend vor dem kühlen Busche nieder. „A wenig 
ahrasten," keucht er, aber es währt nicht lange, so beginnt er zu nicken, die Aeuglein 
blinzeln bedächtig, und allmählich hat der Schlaf gesiegt. 
Rings im hohen Grase zirpen die Grillen, eine Lerche trillert über dem wogen 
den Kornfelde, vom Bühel herab dringt ein Hahnenruf, und das Fagott in dieser 
Pastoralsymphonie bläst der schnarchende Lahnpoltinger. Verdrossen glotzt die Kuh vor 
sich hin und peitscht mit dem Schwänze die zudringlichen Fliegen von der Lende. 
Da fackelt dort, wo die Straße den Hügel emporklimmt, ein langer Schatten 
herauf, dem der Samer Stach nachhinkt. Er ist übler Laune. „Mich hoaßt er ein 
Spitzbuam, der dicke Gaudieb — derweil biet er mir a Brieftaschen mit fünf Hunderter 
um sieben an — und ih Mondkalbl nimm's!" Der Erboste kommt näher, gewahrt 
die einsam philosophierende Bläß und unweit den unfreiwilligen Fagottbläser. Da zuckt 
ein böses Licht in den grünlichen Augen des Stach aus. Er bleibt stehen und streicht 
dem zusammenzuckenden Rinde über den Widerrist. Dann ballt er die Faust grimmig 
gegen den- Schläfer, schneidet den Halfter durch und führt das Thier behutsam auf dem 
grasigen Raine davon. Zur größeren Sicherheit hängt er ihm den Schößlrock über die 
Hörner, damit die Kuh nicht etwa zu brüllen beginne. Bald sind die beiden hinter dem 
Haselgesträuch verschwunden. . . . 
Der Lahnpoltinger hatte einen guten Schlaf gethan. Plötzlich erwacht er, reibt 
sich die Augen und fährt empor. „Sapra, ih han doch nit eppa geschlafen?" Ihm 
gegenüber baumelt am Schranken melancholisch ein Strickende. „Sapra, wo is die 
Kuah? Hat sich das Best losgerissen — ah, dös is aus der Weis' — ahg'schnitten hat 
mr's oaner! Das hat a mentischer Spitzbua than, würz ah'gschnitten!" Von jähem 
Schreck erfaßt, wühlt er in der Westentasche — gottlob, die Banknoten sind noch vor 
handen. Schimpfend und lästerlich fluchend späht der Wüthende wegauf und nieder, kein 
Dieb und keine Kuh ist zu erblicken. 
Da horch — ein Getrampel und Geschnaube kommt jenseits der Stauden näher, 
der Lahnpoltinger spitzt die Ohren — da rauscht es und ehe der Ueberraschte sich fassen 
kann, bricht ein unheimliches Gethier durch die Zweige. Ein paar Hörner, ein hoch 
gehobener Schwanz, flatternde Schößel — halb unbewußt hat der Lahnpoltinger den 
Stecken gehoben und läßt ihn auf die Hörner niedersausen. Ein Strickende streift ihm 
an die Faust, er faßt es an und — ruck — hat er das Ungethüm zum Stehen 
gebracht. 
Ist ein beherzter Kund, der dicke Viehhändler! Und nun reißt er die Aeuglein 
auf und hat des Verwunderns kein Ende. „Hau Narisch, was sehen meine Augen — 
dös is mei Kuahl! Wirst doh nit ein Schößlrock anlegen wöllen! Is doh gar nit der 
Brauch, daß die Küah ein Frack tragen, hau, kannst eh gar nit einischliefen mit die 
Hörndl, hab' dich stad, Bläß!" 
Er zerrt das zerschlissene Kleidungsstück mühsam von dem Kopfe des Thieres. 
„Ja, dös is aus der Weis' — däs ziemt mich, is gar 'n Samer Stach sein Schößel- 
rock? Hat der alsdann mein Kuahl abg'schnitten, schau, schau! Und hiaz bist ihm 
durchgangen, du brav's Kuahl du! Da werden mir eppa 'n Samer Stach in Kotter 
einsperren lassen, meinst nit. Bläß?" 
„Muh!" sagt die Kuh. 
„Recht hast, Kuahl, ganz recht; einsperren werden wir ihn lassen — aber wart' 
a weng, was glangelt denn da? Meiner Treu, das is mein Brieftaschen, dö mir der 
Spitzbua ahkauft hat. Du Kuahl, ist doch a Ehrenmann, der Samer Stach! Was
	        
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