Volltext: Alpenländische Musiker-Zeitung Folge 6 1931 (Folge 6 / 1931)

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einfachsten ausdrückt. Wie das im bürgerlichen Zeitalter 
oom Marsch und Walzer festgestellt werden kann, so 
zilt es für heute von der Musik der geläufigsten mo— 
dernen Tanzformen. Wer das Technische des modernen 
Gesellschaftstanzes beherrscht, kommt leicht, angeregt durch 
die Stimmung, die das Tanzlokal erfüllt, durch Wein 
und etwa auch durch Sympathien, die er für seinen 
Partner oder seine Partnerin im Tanz empfindet, in 
den Stand, die Melodie und den Rhythmus der Kom— 
bosition, die er vom Orchester hört, wie den Ausdruck 
seines eigenen Erlebens aufzunehmen und daher als 
solchen in die ihm augenblicklich gegebene Musik der 
Bewegung, d. h. in Tanz zu übersetzen. Dieser Gesell— 
schaftstanz ist dann viel eher echte, lebendige Kunst, 
als der mit noch so viel Technik starr einstudierte und 
mmer wieder in jeder Art von Stimmung auf der 
Bühne aufgeführte Kunsttanz eines Berufstänzers, der 
die dazu gehörige Musik längst nicht mehr erlebt. 
Man darf nie vergessen, daß zu gewissen sublimen 
Erlebnissen eine Art und eine Steigerung des Lebens— 
gefühls gehört, die manchen nie, den meisten nur selten 
gegeben ist. Vesonders viel Unfug wird heute von un— 
religiösen Menschen mit den religiösen Werken Bachs 
und der fast immer religiösen Musik Brudners getrie— 
ben. Es ist schändlich, sich solche Kompositionen zum 
alltäglichen Vergnügen zu machen. — 
RKunst ist Sprache des Unaussprechlichen. Im ei— 
gentlichsten Sinne gilt dies von der Musik. Wir hätten 
ür unsere tiefsten, dunkelsten Gefühle, für die geheim— 
ten, unbewußten Vorgänge in unserer Seele, keine 
Ausdruchsmöglichkeit ohne sie. 7 
Man kann das nur in Erlebnissen erfahren und 
andern nur einigermaßen deutlich machen, indem man 
Erlebnisse erzählt, durch die man solche Erfahrungen 
gemacht hat. Jedem Musikfreund ist schon begegnet, was 
ich nun in einigen Zügen andeuten will: 
In einer gesegneten Stunde fühlt er sich restlos 
glücklich. Da setzt ex sich ans Klavier oder nimmt seine 
Heige aus dem Kasten, seine frohe Stimmung in Tönen 
auszudrücken. Aber schon nach wenigen Takten verkün— 
det seine Musik ganz gegen seine Absicht nicht mehr 
die Freude, die ihn ganz zu beherrschen schien, sondern 
ine grenzenlose Schwermut. Auf dem Grunde jieder 
Menschenseele ist diese geheime Schwermut zu Hause, 
auch dann noch, wenn wir uns glücklich meinen. Sie 
schläft oder schweigt nur oft mehr oder minder lang, 
don Lärm, Gewirr und Hast unserer Lebensbetätigung 
betäubt oder von uns selber nicht verstanden, und bricht 
nächtig hervor, wenn sie Musik erweckt. die sie allein 
iuszudrücken vermag. — J —A 9 
Ein andermal scheinen unserem Musikfreund, alle 
Wünsche erfüllt. Er glaubt sich ganz und gar befriedigt 
in der sich selber genügenden Harmonie seines Daseins. 
In solchen Stimmungen schaut er hinaus über das weite, 
wogende Meer von Baumgipfeln zu fernen blauen 
Bergen. Da tönen irgend woher undeutlich die Klänge 
von einem Instrument, das jemand spielt, und auf ein— 
nal weiß er sich vor Sehnsucht nicht mehr zu fassen. 
Er hatte nur auf einige Zeit vergessen, daß doch alle 
Lust nur allzu rasch vergeht und daher jedes Befrie— 
digtsein nur eine kurze Täuschung sein kann, daß es 
kein in sich ruhendes, sich genügendes Dasein für den 
Menschen gibt und er daher immer von „unendlicher 
Sehnsucht“, d. h. von der Sehnsucht nach dem Un— 
endlichen, Ewigen, Absoluten erfüllt ist. Einige Töne 
Musik genügen nicht selten, jene edle, sublime Unruhe, 
jene „unendliche Sehnsucht“, wenn sie vorübergehend un— 
beachtet geblieben ist, wieder schmerzlich fühlbar zu ma— 
hen, denn Musik ist ja, wie E. T. A. Hoffmann un— 
bergleichlich eindringlich immer wieder dargetan hat. ihr 
eigentlichster Ausdruck. N J 
Wie Musik im tiefsten Leid Freude zu wecken im— 
stande ist, habe ich oft im Kriege erfahren. Wenn der 
wochenlange Anblick von Zerstörung, Not, Verstümme— 
„Alpenländische Musiker— Zeitung“ 
ung undSterben und die eigene grenzenlose seelische 
ind körperliche Ermüdung uns in schwärzeste Schwer— 
nut geworfen hatte, dann genügte manchmal die Erin— 
terung an ein heroisches Thema aus einer Bruckner— 
infonie — weist war es das Hauptthema des ersten 
Satzes der Achten —, das in, mir wiederklang, mich 
lötzlich in die Höhen einer seltsam begeisterten Freude 
u reißen. Und wie oft sind die Reste unserer Kom— 
agnie in der gedrücktesten Stimmung, aus der Front 
narschiert, da bemächtigte sich auf einmal aller eine 
ast ausgelassene Lebenslust, weil einer von uns ein 
Lied angestimmt oder nur einen Jodler ausgestoßen hatte. 
Diese Schwermut, diese Sehnsucht, diese Freude, 
die oft überraschend, unprüfbar und unhemmbar aus 
dem Unbewußtsein in uns hervorbricht, ist allem un— 
jebrochenem, insbesondere von Uebexrintellektualismus 
erschonten, Menschentum, ja allem Leben eigen, ist eine 
reibende, schöpferische Kraft in seinem alles Lebendige 
nitreißenden Strome und ist vielleicht in dem Zentral— 
zefühl der Sehnsucht eines, in der „unendlichen un— 
iennbaren Sehnsucht“, dieser lustvollen Qual, dieser 
chmerzlichen Wonne, die des Lebens Leben ist und 
Ulein in der Musik eine Stimme hat. — 
Wer wollte in mancher Komposition etwa Mozarts 
oder auch Schuberts und Bruckners unterscheiden, ob 
ie Lust, Sehnsucht oder Schmerz oder alles zugleich 
rusdrüchen will? Bei, solchen Komponisten finden sich 
ruch häufig jähe, scheinbar ganz unmotivierte und un— 
erklärliche Uebergänge von einem dieser Gefühlen zum 
indern und 'erst recht sind sie in aller Volksmusik, be— 
onders primitiver Völker beliebt. Darum wirken, auf 
»en bewußten Menschen, der seine Gefühle durch“ Be— 
zriffe reinlich scheidet, manche Volkslieder und -Tänze, 
twa die russischen, so rätselhaft. Wir haben diese selt— 
ame Mischung von Lust, Sehnsucht und Schmerz auch 
n der modernen Musik, die dem Bürfnis nach naivem 
Ausdruchk ungebrochen lebendiger Menschlichkeit und sei— 
ier geheimsten, besonders auch erotischen Regungen ent— 
gsegenkommt, nämlich in der Musik gewisser populärer 
Tanzformen, vor allem des Tango und Blues. Am 
iefsten hat sie mich ergriffen in einem „Tristezza“ be— 
itelten Blues einer Wiener Komponisten. — 
Weil die Musik häufig aus dem dunkelsten Un— 
zewußten kommt, wo Lust und Unlustempfindungen tau— 
endfältig ineinander verflochten sind, darum tadle man 
nicht voreilig die Musik, die Erlebnissen einen Ausdruck 
derleiht, der uns nicht sogleich einleuchtet, als unwahr— 
haftig, sich widersprechend, oberflächlich oder falsch. 
D. M. M. 3. 
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Tagung der Arb.⸗Gem. Die nächste Tagung der Arb.⸗ 
Sem. findet am 14. 15. und 16. August in Klagenfurt 
tatt. Die Tagesordnung wird durch einen Rundbrief 
ekanntgegeben. 
Selbsthilfe. Dringend notwendig ist es, daß allen 
Nusikern der Aufruf über die Selbsthilfe (enthalten in 
erx. 4) zur Kenntnis gebrächt wird, um spätere Aus— 
eden über Unkenntnis bei Nichterlangung der Vorteile 
ind Unterstützungen entgegentreten zu können. In diesem 
Monate kommen an alle Kapellen die Beitrittserklärun— 
gen zum Versand und wollen diese genau ausgefüllt 
nit dem Namen der Beitrittswilligen und Beantwortung 
iller enthaltenen Fragen an die z uständigen Bun— 
Resleittungen dann eingesendet werden. Der Termin 
für die Einsendung dieser Beitrittslisten ist unwiderruflich 
der 15. Juli. Kapellen, die mit den Beiträgen länger 
ils drei Monate im Rüchstande A perlieren alle 
Rechte und haben ebenso keinen Anspruch auf, Unter— 
tützungen bei Unglücks- oder unschuldig in Not ge— 
catenen Fällen. Es ist ein Gebot der Kameradschaft,
	        
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