Volltext: Alpenländische Musiker-Zeitung Folge 2 1931 (Folge 2 / 1931)

„Alpenländische Musiker-Zeitung“‘ “ 
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Der Anberemenseh außf der Spernböhne. 
Von Richard Eichenauer. (Fortsetzung.) 
Es bleibt noch übrig, einigen Einwänden zu begeg— Barock-Oper, die Mozart Oper, die WagnerKOper —, 
nen, auf die man bei solchen Darlegungen wie den vor- o war sie es doch nie in dem groben Sinne, daß sie 
stehenden immer wieder triffft. 9 die Stoffe selbst unbedingt aus ihrer eigenen Zeit ge— 
Zunächs der berühmte Stilwandel! — Stilwandel sommen hätte. Von 1580 bis auf Gluck stammten die 
hat es zu allen Zeiten gegeben; leider auch zu allen Zeiten ztoffe ziemlich selbstverständlich aus der Antike, aus der 
ingstlich mittelmäßige Geister, die sich darüber in un- Bibel oder aus Ariost und ähnlichen epischen Quellen; 
zeschickten Klagen ergingen und so die Kräfte des Be⸗ die QObverngeschichte von Mozart bis Pfitzner ist auch dem 
harrens in den Ruf der Rückständigkeit brachten. Das Nichtfachmann so bekannt, daß er sich die Beispiele selber 
machen sich die rechtgläubigen Fortschrittler zunutze, und uchen kann. Natürlich kann ein allgemeiner Verruf zeit— 
wenn jemand die Verfallserscheinungen der zeilgenoössischen enössischer Stoffe keinem vernünftigen Menschen ein— 
Kunst zu schildern wagt, rufen sie: „Alte Sache! Das allen. Beethovens „Fidelio“ war, im Jahre 1805 auch 
wissen wir doch Jängst, daß die ewig Gestrigen immer den in moderner Stoff; der Unterschied ist nur der, welche 
Antergang der Kunst kommen sahen, wenn ein neuer Stil eitgenössiß chen Ereignisse ein Beethoven und unsere Heu— 
herauskam, und daß sie ebenso oft durch die Entwicklung igen für bühnenwert halten. 
zlänzend widerlegt worden sind.“ Vermutlich haben sie MNMun lommen aber die Neunmalweisen und sagen: 
am Ende jeder Gesittungsblüte in dasselbe Fortschritts⸗ Die Opern, die du da als Beweise des Verfalls au— 
horn gestoßen. Aber eines Tages war die Blume abge. ührst, die sind ja alle von worgestern, längst über— 
blüht, und der Trost, vom Stilwandel zog nicht mehr. vuünden, nur Uebergangserscheinung; wir sfireben schon 
An diesem Punkte scheinen wir heute zu stehen. Denn vieder ganz anderen Zielen zu!“ Wohl, diese Opern 
vergegenwärtigt man sich in der Operngeschichte etwa lind abgekan oder werden es“hoffentlich bald sein; aber 
die Kette GluckMozart Weber —Wagner und hält da— edeutet das etwa die Sicherheit, daß nun Höheres, Ed— 
gegen die Entwicklung von Wagner bis zur Gegenwart, leres kommt? Wer das glaubt, der verfällt in den alten 
so kann man einen grundsätzlichen Unterschied nicht über- Fehler, eine Besserung der Zustände ohne Besserung der 
sehen: dorr handelt es sich um Stilwandlungen, bei ebensgesetzlichen Grundlagen für möglich zu hallen Und 
gleicholeibender künstlerischer Schöpferkraft und geistig- erner: wir haben es schon häufiger erlebt, daß die ver— 
sittlicher Höhe, hier dagegen — wie auf den vorher⸗ eßzenden Kräfte, wenn sie im Eifer des Gefechtes zu weit 
gehenden Zeilen geschildert — um eine Aenderung, die orgestoßen waren und sich plötzlich einem unerwartet 
hrem Wesen nach Niedergang ist. Also nicht bloß um tarken Widerstand der noch nicht angefaulten Volkskräfte 
Anderes, sondern um, Schlechteres; nicht um bloßen zegenüber sahen, dann ebenso plötzlich zum Rückzug bliesen, 
Wandel, sondern um Entartung. ich mit geschicktem Schwung eine konservative Toga um— 
Fa“, wendet man ein, wenn man die Höhepunkte darsen und mit der Miene des Unschuldsengels sprachen: 
der Vergangenheit mit dem Durchschnitt von heute ver⸗ „Wir sinds doch nicht gewesen! Gott behüte! Wir suchen 
gleicht, dann /muß natürlich der Vergleich zuungunsten doch nur eine neue Klassik!“ Durch solche Scheinrückzüge 
der Gegenwart ausfallen. In Wirklichkeit überwog zu vollen wir uns nicht in Sicherheit wiegen lassen; denn in 
allen Zeiten das Durchschnittliche; das merken wir bloß Wirklichkeit warten die Mächte der Zerstörung nur auf 
deshalb nicht, weil eben nur das Unsterbliche am Leben den günstigen Zeitpunkt für den nächsten Angriff. Jeder 
bleibt.“ Dagegen ist zunächst zu sagen, daß Schönberg, vieser Teilangriffe aber trifft auf eine dürch seine Vor— 
Hindemith, Krenek, Weill, Strawinsky nicht irgendwer Jänger mehr und mehr erschütterte Verteidigungslinie. 
sind, sondern ganz große Tiere in den Heerlagern der Sv kann dem Sehenden die Tatsache nicht verborgen 
Moderne. Immerhin hätte der Einwand eine gewisse bleiben, daß es, wenn auch durch rückläufige Blewe— 
Berechtigung, wenn es hier auf Vergleich vein musikge Jungen von Zeit zu Zeit unterbrochen, im ganzen doch 
lischer Werte abgesehen wäre; man kann von einer Zeit unaufhaltsam in die Tiefe geht— 
— und nun gar von der heutigen! — nicht verlangen. Unaufhaltsam — wenn nicht die Lehren der Rassen— 
daß sie gleich ein halbes Dutzend Mozarts besitzen solle orschung sich in lebendige Taten umsetzen! Von dieser 
Wohl aber darf man fordern, daß jeder kunstschaffend, Frkeuntnis jedoch ist man noch weit entfernt. Zwar, die 
Zeitgenosse zunächst Ein anständiger Mensch sei; mit Hrise der Oper“ ist eine allgemein zugegebene Tatfache, 
andern Worten: es handelt sich hier um Abwägung der AÄber worin sucht man die Gründe? —85— natüůrlich 
allgemeinen geistig-sittlichen Haltung der Opernkunst von n „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ Nuf dem künstle⸗ 
einst und jetzt. Und da versagt der Einwand unserer Geg- ischen Gebiet selbst aber erklärt man etwa die mangel— 
ner. Denn man lese z. B. die Operntexte Metastasios, afte Ausbildung und das überhastete Erfolostreben der 
die einem großen Teil des 18. Jahrhunderts das Gepräge zZänger für schuldig, ferner die ungenügende Pflege des 
zeben gewiß, sie wirken auf, uns blaß, geziert, über- Insembles und das Starunwesen, die, Verfahrenheit des 
ständig; sie duften höchstens noch ganz Leise wie welke Z3pielplans, den Mangel an guten Neuheiten und die 
Rosenblätter — aber sie stinken nicht wie Aas. Das ist Ipernunluft der Theaterbesucher (Ich enutnehme diese Zu— 
der Unterschiedd V J ammenstellung inhaltlich einer Aufsatzreihe von Hans 
Aber“ heißt es weiter, „alle Kunst ist doch zeit- Tessmer, die unter dem Titel „Zeitfragen des Opern— 
gebunden. Wir Künstler müssen doch in die bebendige heaters“ im Dezember 1929, sowie im Januar, Februar 
Gegenwart greifen, müssen Stoffe unserer Zeit behan- und März 1930 in der „Zeitschrift für Musik“ ers chien 
deln: was können wir dazu, daß diese Zeit so übel Alle diese Tatsachen sind scharf und richtig gesehen, nur 
duftet 22. — Ohne zu untersuchen, wieviel oder wenig nüssen sie selbst doch auch wieder irgendwo ihre Wurzel 
die „Künstler“ doch schließlich zu diesem üblen Duft bei- Jaben Lassen wir die wirtschaftlichen Fragen hier auf sich 
getragen haben, sei hier nur Ain Irrtum festgestellt Die beruhen. Die künstlerischen Nöte aber erklären sich samt 
meisten Opernschreiber unserer Tage nämlich verstehen ind sonders aus der einfachen Tatsache, daß es an hoch— 
unter zeitgemäß“ oder „zZeitecht““ offenbar so viel vertigen Menschen fehlt. Hätten wir solche in aus— 
wie: „Stoffe aus der Gegenwart, nehmen“, Das ist aber Leichender Zahl, so fänden sich auch wieder genügend viele 
sehr zweierlei“ So sicher alle große Opernkunst Ausdruck aute Sänger, die gemeinsam mit „sachlicher Leidenschaft“ 
ihree Zeit gewesen ist — die GRenaissance⸗-Oper, die dem Werke dienten, und nicht in Zersplitterung ihrer 
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