Volltext: Alpenländische Musiker-Zeitung Folge 2 1931 (Folge 2 / 1931)

Die Macht der Sprache und der Töne. 
Die Aerzte wissen darüber ein Lied zu lingen, daß es 
zahlreiche Kraukheiten gibt, denen man, mit Arzneien 
allein nicht beikommen kann. Für die Gesundung ist die 
Wirkung seelischer Faktoren von wesentlicher, ja häufig 
sogar von entscheidender Bedeutung. Diese Anschauung 
ist heute schon Allgemeingut geworden. 534. 
Ein solcher Heilfaktor von großer Bedeutung ist die 
— Musik. Die Musik ist die Kunst des gesteigerten Ge— 
fühls. Auch in, Stadien der Angst, der Erregung, der 
fieberhaften Zustände, ist es denkhar, Musik, Klang, Töne 
in den Dienst der Heilkunde zu stellen. Wir wenden die— 
sen Dienst der Heilkunde oft an, ohne es zu ahnen. Mütter 
singen ihr unruhiges Kind, in den Schlaf. Die suggestive 
Kraft unserer Stimme, die Modulationsfähigkeit unse— 
rer Sprache, die Ausdrucksfärbung unserer Worte, sird 
ungeheuere Waffen im Kampf gegen die Erregung, Ver— 
zweiflung, Beklemmung, Unruhe. Vielleicht sind Musm 
und Sprache in ihren Ursprüngen eins gewesen. Wir 
nutzen heute die Musik der Sprache in der Form der 
Hypnose aus, wir modeln den Klang unseres Redens j— 
nach der Form unserer auf Befehl, Nachgeben, Trost, 
Aufrütteln, Energie gestellten Initiative. Wir können 
durch den Klang und Ton unserer Stimme Menschen zur 
Beschaulichkeit des Nachsinnens, des Grübelns, des sich 
Vertiefens, zwingen, wir können ihnen den Abglanz einer 
anderen, höheren, wertvolleren Welt hervorzauhern, wenn 
ihnen das irdische Dasein unlieb geworden ist . 
Die Heilkraft der Musik kann sowohl für den Musi— 
zierenden, wie für den Zuhörer gelten. Ihre Wirkungen 
sind seelischer, wie körperlicher Art. Ueber beiderlei Wir— 
kungen sind zahlreiche Versuche angestellt worden. Die 
physiologische (körperliche) Wirkung, die mit musidalischen 
Reizen, bzw. musikalischen Empfindungen verbunden ist, 
findet in einer Verlängerung des Pulses ihren Ausdruch 
die das Anzeichen für ein Lustgefühl ist. Man hat, um 
dies festzustellen, Tausende von Pulsen untersucht. Die 
Pulsänderung hängt zusammen mit Atemperänderungen, 
und bewirkt eine Besserung des Allgemeinbefindens. Nach 
Féré wird auch die Leistungsfähigkeit der Muskeln be 
einflußt. Die Musik hat eine anuspornende Wirkung, die 
am besten ihren Ausdruch in der Musik von marschierenden 
Menschen usw. findet. * 
Der physiologischen Wirkung entspricht die plycho— 
logische (seelische) Wirkung. In Berlin hat Professor 
Bruck Versuche gemacht, um festzustellen, wie Musil 
auf Kranke einwirkt. Ein Programm, das ausschließlick 
sentimentale, schwermütige, weiche, volle und ernste Kom— 
positinnen durch, Benutzung von Cello, Geige, Harfe 
und Orgel enthielt, wirkte auf die Kranken sehr be— 
drückend und rief schwere Erschütterungen hervor. Dem 
gegenüber wirken leichte, anmutige, lustige Melodien auf 
heiternd und führen in außerordentlich starkem Maß— 
eine seelische Beruhigung herbei, die stets Voraussetzung 
eines günstigen Krankheitsverlaufs und einer Heiluncç 
ist. Das Problem „Musik als Heilfaktor“ kann in die— 
sem Rahmen nur angedeutet, nicht erschöpft werden. Viel— 
leicht sind diese Sätze aber geeignet, wenigstens einen 
Begriff zu geben von der Bedeutung dieses Problems, 
dessen Weiterentwidlung in Zukunft für die medizinische 
Fenra licherlich noch überraschende Ergebnisse zei— 
tigen wird. 
Gigantischer Kampf zweier Ungetüme. 
Ecnglische Zeitungen veröffentlichen Berichte über 
einen furchtbaren Kampf, der sich zwischen einer Riesen— 
schlange und einem Tiger abgespielt hat. Der Schau— 
„Alpenländische Musiker⸗Zeitung“ 
8⏑ä —— 1J 
* —* 
platz des Dramas war eine Gummiplantage in der Nähe 
bon Lahore in Indien. Es gehört schon zu den ungewöhn⸗ 
ichen Ereignissen, daß sich in diele von, menschlichen An— 
siedlungen sehr stark besetzte Plantage eine Riesenschlange 
herirrt, noch seltener pflegt es vorzukommen, daß ein 
Tiger so nahe an die menschlichen Behausungen heran— 
rüctt, überhaupt noch nicht dagewesen aber soll es sein, 
daß Tiger und Riesenschlange just im gleichen Augen⸗ 
blick auftauchen, und einander über den Weg geraten 
mußten. Es wurde ihrer beider Verderben. — 
Entdeckt wurden die zwei ungemütlichen Besucher von 
inem jugendlichen Eingeborenen. Die beiden Tiere schenk— 
en dem vbegreiflicherweise zu Tode erschrockenen Menschen 
doch gar keine Aufmerksamkeit, sondern begannen einen 
Zampf gegen einander. Die Schlange wand sich um den 
eib des Tigers und suchte ihn zu zerquetschen, der Tiger 
viederum biß in rasender Wut die Schlange, wo er nur 
onnte. Der junge Eingeborene empfand, was auch zu 
egreifen ist, gar keinerlei Neigung, dem Ablauf des 
Namas bis zum Schluß beizuwohnen, sondern er benutzte 
ie Gelegenheit, da die zwei Tiere noch mit anderen 
)ingen beschäftigt waren, so schnell ihn nur seine Beine 
ragen konnten, davonzurennen. Mit den Anzeichen höch— 
ter Erregung berichtede er dann dem Plantagenbesitzer, 
vas er hatte mit ansehen müssen. Daraufhin machte 
sich der Pflanzer mit seinen Leuten, schwer bewaffnet, 
auf den Weg, um sich von der Richtigkeit der Erzählung 
zdurch persönlichen Augenschein zu überzeugen. Als sie 
auf den Kampfplatz kamen, war die Schlacht bereits 
entschieden. Die Riesenschlange, ein Ungetüm von zehn 
Meter Länge und einem Meter Leibesumfang, lag tot 
auf der Walstatt. Aber auch dem Tiger mußte in fürch— 
erlicher Weise mitgespielt worden sein. Er war zwar 
nirgends mehr zu sehen, aber der ganze Erdboden war 
zerwühlt und ganze Fleischfetzen und Haarbüschel legten 
Zeugnis dafür ab, daß der „Sieg“ des Tigers nur ein 
Pyrrhus⸗Sieg gewesen sein konnte. Und in der Tat: am 
rächsten Tag fand man auch den Tiger etwa einen Kilo— 
meter entfernt von der Kampfstätte verendet auf. 
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Kinderelend im Sowietparadies“ 
Das unbeschreibliche Elend der verwahrlosten Kinder 
in Sowijetrußland, dieser unschuldigen Opfer der 
Nachrevolutionszeit, ist eine der schrecklichsten sozialen Er— 
cheinungen in der Sowjetunion, eine Plage, wie sie kein 
anderes Land der Welt kennt. 
WVor kurzem hat eine stagtliche Kommission, die sich 
mit der Lage der verwahrlosten Kinder zu beschäftigen 
hatte, ihre Arbeit beendet. Der Bericht entwirft ein 
zrauenhaftes Bild des Elends. In der Nähe Moskaus, 
o wird in einem Abschnitt des Berichtes erzählt, liegt 
ine alte Barke am Ufer des Flusses, die als Zufluchtsort 
ür eine Schar von etwa hundert Verwahrlosten dient. 
in der Mitte der Barke ist eine Art Ofen zusammenge— 
iimmert. Die Wände dieser eigenartigen Behausung sind 
nit Zeitungspapier beklebt und vielfach mit Gedichten 
und Spottversen der Kinder beschmiert, die an Roheit 
und Zynismus nicht ihresgleichen haben. Die Bewohner 
der Barke sind durchwegs Kinder mit altklugen Gesichtern, 
die den Stempel aller Laster tragen. In Lumpen gehüllt, 
ummeln, sie sich herum. Jeder Neuling, der sich zu der 
Schar dieser Außenseiter der Gesellschaft, wie man sie 
sogar in Sowjetrußland bezeichnet, gesellt, wird genau 
registriert. Er bekommt eine Kleidung, bestehend aus 
einem dreckigen Hemd, einer Mütze und einem Paar Stie— 
fel. Das ist allerdings die „Festkleidung“. Bei der „Ar— 
beit“ selbst gilt die Regel: Je schmutziger und zerlumpter, 
um sobesser. Die Arbeit besteht aus Betteln, Steh—
	        
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