Volltext: Alpenländische Musiker-Zeitung Folge 2/3 (Folge 2/3 / 1930)

Alpenländische Musiker-Zeitung 
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Tische vor der winzigen Bühne saßen teilnahmslos die bei 
den Gesellen Börtels und der Lehrjunge. 
Nachdem der Männerchor „Veilchen" die alten Eichen 
rauschen und der Gemeindevorsteher die tapfere Freiwillige 
Feuerwehr hatte hochleben lassen, trat Bärtel auf das Po 
dium. Die beiden Nebenbuhler hatten diese Ehre ausgelost. 
Bärtel blies mit Leibeskraft und Hingebung die „Post im 
Walde". Wie sanft er das Echo ausdrückte! Brausender Bei 
fall. Bärtel verneigte sich wieder und wieder, den Blick im 
mer nach jener Stelle gerichtet, wo Suse etwas beklommen 
auf dem harten Stuhl hin und her rutschte. 
Lächelnd schob sich Gnewitzak aufs Podium. Seines 
Sieges war er gewiß, hatte er doch schon gestern einige Run 
den Freibier springen lassen. Energisch hob er das Wald 
horn zum Munde. Die ersten Töne quollen hauchzart her 
vor.— gleichzeitig aber auch Gnewitzaks Augen. Seine 
Kinnbacken krampften sich zusammen. Er versuchte, wegzu 
schauen von dem furchtbaren Bilde, das ihm bot: Am vor- 
HüöeN Et? Am!)??? Humoreske von 
Reservist Karl Zeltler war zur Waffenübung eingezo 
gen worden. Pünktlich, wie sich das in jener guten alten 
Zeit vor dem Weltkrieg von selbst verstand, stellte er sich 
mit einer Schar anderer auf dem Kasernenhof ein. Die 
Einteilung nahm ein Feldwebel vor und Karl Zettler geriet 
zur ersten Kompagnie, die wegen ihres scharfen Drills „Be 
rühmtheit" genoß. Das gefiel ihm nicht, denn sein Gemüt 
war sowieso, besonderer Dinge wegen, nicht sehr leicht und 
eine „bequemere" Kompagnie wäre ihm daher doppelt lieb 
gewesen. Aber als braver Soldat verscheuchte Karl Zett- 
lr alle Gedanken über sein Pech. Denn beim Militär darf 
man bekanntlich nicht denken, sondern nur das Befohlene 
ausführen, auch nicht fragen, sondern nur dann den Mund 
aufmachen, wen man gefragt wurde Alles andere war vom 
Übel. Umso besser aber erging es dem Soldaten, wenn er 
sich immer und überall an diese Vorschriften hielt. So we 
nigstens hieß es in allen Lehrstunden und Karl Zettler war 
einer von den wenigen, die da immer aufgepaßt hatten. 
Im Flur des Kompagniegebäudes stand der Feld 
webel und harrte mit düster zusammengezogenen Brauen 
der neuen Leute. Reservisten waren seiner Meinung nach 
nur dazu da, die Ordnung in der Kompagnie zu stören und 
den Beweis dafür zu erbringen, daß der Soldat, wenn er 
nach der aktiven Dienstzeit die Kaserne verläßt, nichts 
Schleunigeres zu tun hat, als alles wieder zu vergessen, was 
seine Vorgesetzten ihm in zweijähriger, mühevoller An 
strengung beigebracht hatten. 
„Antreten in Linie zu zwei Gliedern!" schallte der 
Befehl der Kompagniemutter durch den Flur. Nach 
kurzem Wirrwar stand die Front der Reservisten aus 
gerichtet da. Und nun begann die Aufnahme der „Na- 
tionalia". Der dritte vom rechten Flügel war Karl Zett 
ler. Rasch und militärisch kurz beantwortete er die Fragen 
nach Name, Stand und Wohnort. Dann ging es weiter: 
„Sind Sie verheiratet?" — Jawohl!" — „Haben Sie Kin 
der?" — Und nun geschah das Unfaßbare, das im Augen 
blick eine Totenstille hervorrief und den Feldwebel einem 
Schlaganfall bedenklich nahe brachte: Reservist Karl Zettler 
antwortete klar und, deutlich: „Ich weiß s nicht, Herr Feld 
webel". 
„Mensch!" brüllte der Feldwebel, sobald seine Sprach- 
werkzeuge ihm wieder gehorchten, „sind Sie des Teufels? 
Ich frage Sie, ob Sie Kinder haben?" — „Ich weißes nicht, 
Herr Feldwebel", gab der Reservist, ebenfalls mit erhobener 
deren Tische sahen mit gleichgültiger Miene die beiden Ge 
sellen und der Lehrjunge Börtels und bissen herzhaft jeder 
in eine riesige Zitrone. 
Das Wasser rann Gnewitzak im Munde zusammen, 
„ein klanglos Wimmern, ein Schrei voll Schmerz entquoll 
dem metallenem Munde". Das blanke Metall röchelte, un 
ter tosendem Gelächter räumte Gnewitzak das Feld. „Rache, 
Blut- und Leberwurst" grollte es in ihm. Die Zitronen 
wollte er dem Teigpantscher sauer werden lassen. 
Aber das Fräulein verscheuchte seine finsteren Gedankenn 
mit einem, freundlichen Wort und der Bärtel machte so ver 
schmitzte Augen, daß Gnewitzak selber lachen mußte und die 
gebotene Versöhnungshand kräftig drückte. Börte! flüsterte 
ihm etwas ins Ohr, strahlend erwiderte der Besiegte: „Aber 
selbstverständlich! Wird gemacht!" 
„Was hast du ihm denn gesagt?" fragte Suse neugierig. 
„Ach, ich habe ihn nur gefragt, ob er später Pate stehen 
will ..." 
Karlheinz Runeck. 
Stimme zurück. — „Wollen Sie mich uzen?" keuchte die 
Kompagniemutter/ bebend vor Zorn und Empörung. — 
„Nein, Herr Feldwebel!" — „Halten Sie den Mund! Ich 
frage Sie nochmals ob Sie Kinder haben?" — Reservist 
Karl Zettler schwieg, denn wie konnte er antworten, wenn 
er den Mund halten sollte! „Können Sie nicht reden, Sie 
Himmelhund!" schnob ihn der Vorgesetzte an. „Antworten 
Sie!" — „Jawohl, Herr Feldwebel". — „Haben Sie Kin 
der?" — „Ich weiß es nicht, Herr Feldwebel!" 
Eine unheilverkündende Stille folgte, dann verschwand 
die Mutter der Kompagnie in der Schreibstube und wenige 
Minuten später trat der Reservist Karl Zettler eine ihm 
wegen ungebührlichen Benehmens vom Hauptmann durch 
den Fernsprecher auferlegte Strafe von 24 Stunden Mittel 
arrest an. 
Eine Ordonanz holte ihn am nächsten Mittag aus dem 
„Kittchen", führte ihn vor dem Herrn Hauptmann. Der sah 
den armen Sünder finster an und fragte, indem sich seine 
Augen gefahrdrohend zusammenzogen: „Reservist Zettler, 
wissen Sie jetzt, ob sie Kinder haben?" Karl Zettler holte tief 
Atem und antwortete dann „Nein, Herr Hauptmann!" 
Für einen Augenblick verschlug es dem Herrn Kom 
pagniegewaltigen die Sprache. Dann brach ein Donnerwet 
ter los, wie es der geheiligte Raum der Schreibstube selten 
gehört haben mochte. An dem armen! Reservisten, der wäh 
rend all der schweren Einschläge stumm dastand, blieb kein 
gutes Haar. Er war, nach den Ausdrücken des Hauptmanns 
zu schließen, einer der Verworfensten auf Gottes weiter 
Welt, ein Hochstapler, der sich ganz zu Unrecht seiner bürger 
lichen Freiheit erfreute, ein Mensch weniger wert als eine 
Vogelscheuche, ein ganz und gar verderbter Charakter. Als 
schließlich selbst des Hauptmannes gewaltige Lunge zu ver 
sagen drohte, kam nochmals die alte, verderbliche Frage: 
„Zum letztenmal jetzt, Reservist Zettler, haben Sie Kinder?" 
— „Ich weiß es nicht, Herr Hauptmann", stöhnte Karl Zett 
ler. — „Drei Tage Mittelarrest!" brüllte der „Alte". „Raus 
mit dem Kerl!" Karl Zettler machte Kehrt und verschwand. 
Draußen nahm ihn die Ordonanz in Empfang und führte 
ihn, wie er ging und stand, ins Arrestlokal zurück. 
Langsam und qualvoll schlich die Zeit weiter und end 
lich, endlich schlug zum zweitenmal die Stunde der Erlösung. 
Der Gefreite, der den Häftling abholte, steckte ihm einen 
Brief zu und meinte: „Da ließ erst du dämlicher Hund! Laß
	        
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