Volltext: Alpenländische Musiker-Zeitung Folge 2/3 (Folge 2/3 / 1930)

„Atpenländische Musiker-Zeitung" 
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schaftsmusikbestrebungen, besonders in den Singerkreisen 
der Jödeschen Jugendbewegung, weisen gewaltsame äußere 
Eingriffe behördlicherseits auf und könnten nicht als Maß 
stab für die Beurteilung der Konzertkrise in deß natürlichen 
Entwicklung des Konzertlebens bewertet werden. Auch Prof. 
H. W. v. Waltershausen sieht in> seinem Aufsatz „Die Krisis 
unseres Musiklebens" durchaus nicht allzu pessimistisch in 
die Zukunft. „Trotz allem Chaos ist nie ein so starker Im 
puls im Musikleben gewesen wie heute Die Veräußerlichung 
unseres Lebens hat ihren Antipoden in einem starken, neuen 
Zug zur Innerlichkeit gefunden. Wir stehen in einer Krisis, 
der hoffentlich bald eine Klärung und dann eine positive 
Aufwärtsbewegung folgen wird." Wir begrüßen diese Mei 
nung aus dem Munde eines unserer bedeutendsten Kunst 
kenner als einen erfreulichen Hinweis auf eine nicht mehr 
allzu ferne, sehnlichst erwartete Wiedergesundung unseres 
musikalischen Lebens. 
Neue Aufgaben des Tanzes 
Die Tanzkunst gehört der Welt des Theaters an, ja: 
sie ist ihr Ursprung und ihr Grundelement. Und wenn Tanz 
als Kunst in unserer Zeit' endlich wieder seine volle Geltung 
erlangte und sich den Anspruch auf eigene Sprache und 
eigene Form eroberte, so hatte sie doch von Anfang an das 
Bestreben, in die Welt des Theaters zurückzukehren, sich mit 
den übrigen Elementen des Theaters wieder geschwisterlich 
und dienend zu vereinen,, und nur, um besser dienen, die 
nend herrschen zu können, mußte sie zunächst selbständig und 
selbstherrlich sein. Nur dadurch wurde sie Keimzelle eines 
neuen Theaters: des chorischen Theaters, dem die Zukunft 
gehört, und das nur chorisches Theater sein kann,^wenn es 
auch tänzerisches Theater ist. 
Die chorische Bühne in München, die zur Durchführung 
des chorischen Werkes von Albert Thalhoff: „Totenmal" 
gegründet wurde, setzte sich für die neuen Ausgaben ein, die 
Thalhoff sowohl der Bühne als auch dem Tanze stellt. Im 
„Totenmal" wird das Tänzerische zum erstenmal einbezogen 
in den Darstellungskreis einer dramatisch-rhythmischen 
Komposition, als ein lebendiger Ausdruck geistiger, im 
Worte nicht faßbarer Wesenheiten. Damit ist die neue Ein 
ordnung .des Tanzes in das Bereich der Bühne gegeben, 
und die gegenseitige Ergänzung von Wortdrama und Tanz 
drama vollzogen. Der Schauspieler wird — und das ist ent 
scheidend für die Eigenart der Form — durch den tänzeri 
schen Tragöden abgelöst. Wort und Tanz treten als ge 
trennte Funktionen in Erscheinung. Sie vereinigen sich mit 
dem Element des Lichtes zur vollendenden Gestaltung des 
Werkes. Mary Wigman, Deutschlands größte Tänzerin, hat 
Äe Leitung der vom Dichter festgesetzten Choreographie 
und die solistisch-tänzerische Hauptfigur übernommen. Da 
mit erhält die große Solistin, Chorleiterin und Gruppen 
führerin zum erstenmal den Rahmen und das Wirkungs 
feld für ihr tänzerisches Genie. Die Aufführungen finden 
vom 20. Juni bis 2. September in München statb. 
Jazz- und Negermusik 
In einem« Werk über Negermusik stellt der französische 
Forscher Stephan Chaüvet fest, daß Negermusik und Jazz 
musik starke Unterschiede aufweisen. Nichts ist der Neger 
musik unähnlicher als dieser geräuschvolle, aus Amerika kom 
mende Jazz, der aus dem Kontakt der Negerrhythmik mit 
der amerikanisch-europäischen Musik entstanden und von ge 
wissen hebräischen Motiven stark beeinflußt ist. „Wie 
bitte? Jazz mit hebräischen Motiven?" Eine entschieden 
merkwürdige Feststellung, die jedenfalls zu denken >geben 
"sollte . . . 
Die schwarze Invasion 
Die bolschewistische Liga zur Verteidigung der Neger 
rasse (so was gibt's auch?) trägt sich mit der Absicht, in Ber 
lin ein ständiges Negertheater zu errichten. Und merkwür 
dig genug, daß man offenbar nicht den mindesten Anstoß 
daran nimmt. Ist das Volk wirklich schon derart abgestumpft, 
daß es an dem Vordringen der schwarzen Kultur in Europa 
nichts Auffälliges mehr findet? Der Jnvasionsprozeß hat 
bereits nach dem Kriege begonnen, als schwarze Jazzbands 
in den Kaffees auftraten, schwarze Kunstsänger das Konzert 
podium eroberten und für mehr oder minder genäselte Nig 
gersongs einen Beifall ernteten, der an die Erfolge eines 
Furtwängler heranreichte. Einer der kultiviertesten Neger 
sänger, der bereits in Wien konzertierte und demnächst in 
Deutschland auftreten wird, ist Paul Robeson. Ein Mit 
arbeiter des „Neuen Wiener Tagblattes^ fand Gelegenheit, 
den Künstler über seine Lebensaufgaben zu befragen. Und 
da stellte sich heraus, daß Paul Robeson die Propagierung 
der Negervolksmusik als sein Ziel bezeichnete und zu diesem 
Zweck in Westafrika Studien betreiben wird. Wenns sich die 
Forschungen in Westafrika erfolgreich gestalten, erhofft er, 
daß der Einfluß der eigentlichen Negerkunst die Kunst 
der übrigen Welt noch erheblich steigern wird. Nun, das 
sind zweifellos vielversprechende Aussichten. Und wir Euro 
päer dürfen uns glücklich schätzen, wenn die Gnadensonne 
afrikanischer Kultur unser klägliches Kunstleben in eine exo 
tische Blütenpracht verwandelt. 
Fritz Kreisler gegen den Rundfunk 
Wie amerikanische Blätter melden, hat Fritz Kreisler 
gegen die Rundfunkübertragung eines öffentlichen Kon 
zertes Einspruch erhoben, trotz eines außerordentlich hohen 
Honorarangebotes. Als Grund für seine Ablehnung erklärte 
er, daß die Rundfunkübertragung das Spiel eines Künst 
lers völlig entpersönliche und ihm jeden künstlerischen Wert 
raube. Die Übertragung hänge von so viel äußeren Umstän 
den ab, wie Güte des Empfängers, atmosphärische Einflüsse, 
Verzerrungsfreiheit usw., daß der Hörer nicht imstande sei, 
zu beurteilen, ob ein mangelhaftes Spiel dem Künstler oder 
den technischen Übertragungs- oder Empfangsanlagen anzu 
rechnen sei. Er, Kreisler, könne seinen künstlerischen Ruf 
nicht in so unvorsichtiger Weise aufs Spiel setzen. Mit dieser 
Tat wird Kreisler sich in weitester Öffentlichkeit neue, starke 
Sympathien gesichert haben. Selten genug findet man heu 
tigen Tags noch Persönlichkeiten, deren künstlerischer Stolz 
von den Lockungen finanzieller Art unberührt bleibt. 
Der französische und der schwarze Musiker 
Unter dem Titel „Zusammenbruch der Musik und 
Triumph der Metöken" klagt Rene Dubreuil beweglich über 
das Elend der französischen Musiker. Da sitzew sie, sagt er, 
in ihrm Stammcafs vor ihrer. Tasse Kaffee, zu der sie sich 
das sechste Glas Wasser geben lassen und sehen durch die 
Scheiben ihren gut genährten Nebenbuhler, den festen Nig 
ger, seine goldene Uhrkette und die lichtspritzenden Ringe 
spazierenführen. Eine schwere Krise ist hereingebrochen, 
in einigen Jahren werden wir nur noch Niggersongs, auf
	        
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