Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1901 (1901)

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Freuden seine Erholung gewesen. Und, was vorauszusehen war, der Kelch seiner 
Leiden wurde voller. Heftige Schmerzen, quälende Erstickungsanfälle und fressender 
Erter hatten im die Kraft geraubt und streckten ihn aufs Krankenlager nieder. Tage, 
Wochen, Monate vergehen, aber keine Aussicht auf Besserung. Inzwischen 
wird er durch Eingreifen barmherziger Nächstenliebe einem großen, fern gelegenen 
Hospital übergeben. Sein schwaches elendes Leben ringt dort wieder mit dem Er¬ 
lösung bringenden Tode; aber seltsam das grausame Schicksal entreißt 
ihn seinen Armen. „Unheilbar!" lautet die entsetzliche Losung, als er nach langen, 
schmerzvollen Wochen ins Elternhaus zurückkehrt. Mutter und Krankenschwester 
nehmen ihn nun wieder in ihre Obhut. Wieder vergehen viele lange Wochen. Endlich 
hat Gott mit ihm Erbarmen. Der Kranke kann eines Tages das harte, drückende 
Lager verlassen. O wie strahlt da sein Angesicht vor Wonne und wie dankbar 
blickt er zum Himmel auf! 
„Paul ist nicht zu Hause. Er ist in den Wald gegangen. Die Lust im Walde 
thut ihm wohl. Er wird 
bald wiederkommen." So 
spricht eine freundliche, 
schlicht, aber sauber ge¬ 
kleidete Frau zu mir, als 
ich eines Tages den 
kleinen Dulder aussuche. 
Ant Garten, wo ich sie 
treffe, vernehme ich nun 
auf mein Befragen nach 
seinem Befinden eine gar 
lehrreiche Geschichte aus 
ihrem Munde. „Ach, 
wie freue ich mich, Herr 
Lehrer, daß Sie ihn be¬ 
suchen. Ich muß Ihnen 
Vieles erzählen. Einen 
solchen Jungen werden 
Sie nicht bald wieder 
finden. Denken Sie sich, 
„Paul, ärgerst Du Dich denn nicht, daß es andere Kinder besser haben, als Du? 
Da meinte er: „Das hilft mir gar nicht, wenn ich mich darüber ärgern 
thu'. Das ist nun einmal so; manche Menschen haben es gut und manche haben 
es schlecht. Kaiser Friedrich ist es auch schlecht gegangen. Er sagte aber: Lerne leiden, 
ohne zu klagen. So mach' ich's auch. Und dabei war er ganz vergnügt. Seh'n 
Sie, Herr Lehrer, da wird mirs leicht, wenn ich ihn jeden Tag so krank sehe und 
es will gar nicht besser werden. Nicht wahr, er ist doch ganz anders, als viele 
andere Kinder." So schloß die erregte Frau ihren ergreifenden Bericht und wie 
heller Sonnenschein legte sich die Freude über einen so ausgezeichneten Sohn aus 
ihr Angesicht „Sie haben ganz recht, Frau Müller", gab ich zur Antwort. „Ihr 
Sohn ist ein prächtiger Junge, auf den sie stolz fein können. Ich hatte nicht ge¬ 
dacht, daß er so ergeben sein und einen festen Willen zeigen könnte. Ich freue mich 
sehr über ihn." „Ach, es thut mir auch recht noth, daß er mir Freude macht, sonst 
könnte ich's nicht mehr länger aushalten," erwiderte sie betrübt; „der Junge ist 
nämlich dem Vater im Wege. Er redet wenig mit Paul und schimpft manchmal 
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er ist so krank gewesen 
und hat so viele Schmer¬ 
zen gehabt, aber dabei 
ist er w still und gut. 
Früh betet er und Abends 
auch. „Mutter", sagte 
er einmal zu mir, „wir 
haben in der Schule je¬ 
den Tag gebetet; ich bete 
darum auch alle Tage, 
und da denk ich, daß mir 
der liebe Gott schon 
helfen wird." 
Hat er große Schmer¬ 
zen, da drückt er die 
Lippen fest zusammen. 
Hat er keine Schmerzen, 
da lacht er und pfeift 
sich manchmal eins. Ein¬ 
mal sagte ich zu ihm:
	        
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