Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1901 (1901)

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Der Phonograph. 
Von Theodor Waldmann. 
Eines Tages sprach die schöne Miß Arabella Wardle den Wunsch aus, einen 
Phonographen zu hören. Der Phonograph ist bekanntlich jenes Wunderwerk Edisons, 
das die menschliche Stimme wiedergibt. Ich war ein glühender Verehrer Arabellas 
und noch mehr ihrer Mitgift; ihr Wunsch war mir Daher Befehl. Ich schrieb sofort 
an einen Freund in New-York, mir umgehend für Geld oder aus Freundschaft 
(letzteres hätte ich bei meinen finanziellen Verhältnissen vorgezogen) einen Phono¬ 
graphen zu besorgen. In kürzester Zeit traf dieser ein, und ich hatte für ihn bloß 
die Kleinigkeit von 350 Gulden zu bezahlen. 
Ich bin kein reicher Mann, im Gegentheile. Doch Dank meines vertrauens¬ 
seligen Schneiders und der gewissen Kunst, Schwierigkeiten leicht zu bewältigen, war 
war ich fähig, meine Huldigungen dem Mädchen meiner Wahl ohne Erröthen über 
mein Aeußeres darzubringen. Ich muß freilich bekennen, daß ich einen kleinen Betrug 
betreffs meines Vermögens in Szene setzte, einesteils um der Geliebten durch den Ge¬ 
danken an meine Armuth Qualen zu ersparen, theils weil ich voraussah, daß ihr sehr 
reicher Vater, wenn er meine wahren Verhältnisse kennen würde, aus diesem Grunde 
Schwierigkeiten machen würde. 
Sobald der Phonograph ankam, eilte ich zu Miß Arabella, um ihr den 
Apparat zu erklären. 
Vielen Lesern dieser traurig endenden Geschichte ist gewiß die Thätigkeit dieses 
Instrumentes, das die menschliche Sprache und andere Laute zu zeichnen und nach 
beliebiger Frist wiederzugeben vermag, bekannt. 
Arabella und ihr Vater zeigten großes Interesse für die neue Erfindung. Der 
alte Herr lud mich ein, zu Tische zu bleiben. Im Laufe des Nachmittags mußte 
ich verschiedenen Freunden des Hauses, die dort eintrafen, die Maschine erklären. 
So war ich der Löwe des Abends, und wie ich heimging, trunken von meinen Er¬ 
folgen, glaubte ich niemals einen günstigeren Augenblick als jetzt für meine Be¬ 
werbungen zu bekommen. Die Gelegenheit war günstig und mußte benützt werden. 
Den größten Theil der Nacht verbrachte ich schlaflos — ich überlegte mir meine 
Anrede und die passende Zeit, meine Liebe zu erklären, ohne gestört zu werden. 
Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke. Wie wäre es denn, wenn ich den Antrag 
durch meinen Phonographen sprechen ließ? Je mehr ich darüber nachdachte, desto 
mehr gefiel mir der Plan. Als ich nun am nächsten Morgen ausstand, war ich fest 
entschlossen, ihr nur auf diesem Wege meine Liebe zu bekennen. 
Sehr sorgsam verfaßte ich nun meinen Antrag und dann sprach ich ihn in 
den Phonographen hinein. 
„Geliebte Arabella!» begann ich, „erschrick nicht über meine kühne Anrede. 
Monatelang habe ich Dich in meinem Herzen so genannt, obgleich meine Lippen sich 
niemals getrauten, Seinen Namen auszusprechen. Hast Du nie in meinen Augen 
untviderstehltche Liebe flammen gesehen, die schließlich die Bande durchbrechen 
EM? Die Stunde ist nun gekommen, ich kann nicht länger schweigen. Mein 
Schicksal liegt in Deiner Hand. Mich selbst und Alles, was ich besitze, biete ich Dir 
®r,7,?reJnicfr ~ ^ bin so glücklch, wie es noch kein Sterblicher gewesen 
ist. stoßt Du mich aber zurück, so ist das Leben für mich nur eine Last zu schwer 
um sie zu tragen. Antworte geschwind. Jede Minute, die vergeht, bis mein Urtheil 
gesprochen wird, ist eine Ewigkeit voll Folterqualen. Antworte, o antworte günstig!
	        
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