Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1901 (1901)

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aber mit sehr geringem Erfolge. Korporal Weise, der Erzieher Kapusts, behauptete, 
das wäre so wie so vergeblich, denn aus einem Schwein würde niemals eine Nachtigall. 
Dagegen lernte Kapust seine militärischen Obliegenheiten ziemlich rasch und was er 
einmal erfaßt hatte, behielt er auch. 
Eines Morgens fluchte der Feldwebel von der vierten Kompagnie, bei der 
Kapust stand, weil er plötzlich den Auftrag erhalten hatte, zum Bataillonsadjutanten 
Wagner einen stellvertretenden Burschen zu kommandieren, der etwas von Pferde¬ 
behandlung verstehe. Der Bursche des Bataillonsadjutanten war erkrankt und es 
mußte schleunigst für ihn Ersatz geschafft werden. Vergeblich aber sah sich der Feld¬ 
webel in der Kompagnie nach einem tauglichen Mann mit „Pferdeverstand" um; 
die Mannschaften der Kompagnie verstanden sich auf alles Mögliche, sogar auf das 
Halten politischer Reden in Volksversammlungen, aber nicht auf die Behandlung 
von Pferden. 
Es blieb als einzig Tauglicher Herr Kapust übrig. Diesen griff sich der Feld¬ 
webel heraus, hielt ihm eine fürchterliche Standrede, in der er ihn darauf hinwies, 
daß er auf gräßliche Weise um's Leben gebracht werden würde, sollte er als stell¬ 
vertretender Bursche Dummheiten machen; dann schickte er ihn zum Lieutenant 
Wagner, der ganz ein gemüthlicher Mann war. und dem es anscheinend Spaß 
machte, auch einmal einen echten polnischen Burschen zu haben, der ein so drolliges 
Kauderwelsch von Deutsch sprach. 
Der Lieutenant zeigte Kapust selbst, was seine Obliegenheiten waren, und 
Kapust führte die ihm gewordenen Aufträge zur ganz besonderen Zufriedenheit des 
Lieutenants aus. Nach drei Tagen war Kapust so sicher, als wäre er schon seit 
Monaten Bursche des Lieutenants Wagner. Lieutenant Wagner bedankte sich beim 
Feldwebel der vierten Kompagnie noch extra für den tüchtigen Burschen, was Ver¬ 
anlassung wurde, daß der Feldwebel aus reiner Verwunderung über den unerwarteten 
Erfolg Kapusts beinahe schwermüthig wurde. 
Kapust selbst fühlte sich sehr behaglich. Er schlief ihm Stalle neben dem Pferde, 
er wurde nicht mit Dienst gequält, hatte viel freie Zeit und dann gab es auch hin 
und wieder einen guten Bissen, zu dem ihn aber nicht etwa der Lieutenant einlud. 
Kapust war nämlich sehr naschhaft und machte sich nicht das geringste Gewissen 
daraus, hie und da einen kleinen Diebstahl an Eßwaaren oder auch an trinkbaren 
Sachen zu begehen. 
Für Kapust war Manches ganz unbegreiflich von dem, was der Lieutenant 
that. So siel es ihm auf, daß der ziemlich alte Jüngling jeden Morgen ein Wein¬ 
glas einer weißen Flüssigkeit trank, die er sich aus einer braunen kurzhalsigen Flasche 
einschenkte. Dieses Weinglas voll weißer Flüssigkeit trank der Lieutenant stets aus 
nüchternen Magen, und das war nach Kapusts Glauben allein der Grund zur An¬ 
nahme, daß die weiße Flüssigkeit etwas besonderes Vortreffliches sei. 
Die Flasche begann Kapust, der sonst nicht von Gedankenbeschwerden gequält 
wurde, zu beschäftigen, auch wenn er sie nicht sah. Er empfand eine förmliche Sehn¬ 
sucht nach dieser Flasche. Er ging an einem Nachmittage sogar zweimal in das 
Zimmer des Lieutenants und sah sich die Flasche an. Sie enthielt mindestens einen 
halben Liter und trug eine rothe, weißbedruckte Etiquette, die fast den ganzen Flaschen¬ 
bauch bedeckte. Auf der Etiquette standen allerlei Krikel-Krakel, die Kapust sehr 
richtig für Buchstaben hielt; als Analphabet konnte er sie aber nicht lesen. Dann, 
befand sich noch auf der Etiquette ein Medaillonbild eines Ritters mit einem ge® 
wältigen Schnurrbart und Lockenhaaren.
	        
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