Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1901 (1901)

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Eine seltsame ^chatzgeschichte. 
Bei Burghausen an der Salzach lebte vor längerer Zeit ein rechtschaffener 
Bauersmann, der ohne sein Verschulden in dag drückendste Elend gerathen war. 
Alle Anstrengungen, seine Lage zu verbessern, blieben erfolglos, und mit steigender 
Angst sah der unglückliche Familienvater den Tag herankommen, am welchem der 
Rest seiner Habe ihm von unbarmherzigen Gläubigern weggenommen würde. Doch 
nicht hoffnungslos ist, wer auf Gott vertraut, und der arme Landmann wußte gar 
wohl, woher noch Hilse kommen könne, wenn menschlicher Rath nicht ausreicht und 
wenn alle irdischen Hilfsquellen verstechen. Nachdem er eines Abends das traurige 
seiner Lage von allen Seiten erwogen und überdacht hatte, ohne einen irgend 
möglichen Ausweg zu finden, wendete er sich in heißem Gebet an den Geber alles 
Guten, Ihn anstehend Er möge Sich seiner und seiner hilflosen Kinder erbarmen 
und ihm einen heilsamen Gedanken eingeben, wie seinem Elend abzuhelfen sei. Ein 
gläubiges, vertrauenvolles Gebet verscheucht die bösen Geister der Schwermnth und 
der Verzweiflung und bringt Ruhe und Erquickung in jeder Bedrängniß. So wurde 
auch unser Bauersmann voll Freude und Zuversicht, und er fiel in einem ruhigen 
stärkeren Schlummer. Da träumte ihm, er solle nach Prag gehen, dort werde er 
auf der Moldaubrücke einen Schatz finden. Er war nie in Prag gewesen, sah aber 
die Brücke und alle Einzelheiten des Ortes, die Stelle, wo er den Schatz finden 
sollte, genau und deutlich vor sich, so daß er meinte, wenn er hinkäme, müsse er 
sich gut zurechtfinden. Beim Erwachen am nächsten Morgen war er ganz erfüllt 
von seinem Traume; aber wie der Strahl des Tageslichtes die nächtlichen Gebilde 
verdrängt, so ward auch im regen Getriebe seines Tagewerkes der Eindruck verwischt, 
den der Traum zurückgelassen, und die klügelnde Vernunft trug auch das Ihrige 
dazu bei, um den Traum als Gaukelspiel der Phantasie erscheinen zu lassen. Die 
wiederkehrenden Schatten der Nacht brachten indessen wieder denselben Traum mit 
sich und der Bauersmann hatte am folgenden Tage schon etwas mehr Mühe, sich 
die Sache während der Arbeit ans dem Sinne zu schlagen. Als aber auch in der 
dritten Nacht ihm das bekannte Bild und noch lebhafter als in den zwei Nächten 
vorher, erschien, da wurde unser Mann unruhig; er konnte den Gedanken daran 
nicht los werden. Gequält von Zweifeln und Hoffnungen begab er sich zum Herrn 
Pfarrer, um hier sich Rath zu erbitten. 
„Mein Sohn", sprach der ehrwürdige Geistliche, „nicht alle Träume sind zu 
verachten; es mag wohl Dein ehemaliger Traum ein Fingerzeig Gottes sein, der 
Deinem Elend abhelfen will. Geh' denn in Gottes Namen nach Prag, das dazu 
nöthige Reisegeld will ich Dir vorstrecken. Findest Du etwas dort, dann kannst Du 
mir das Geld wieder erstatten —' findest Du Nichts, nun, so sei Dir die Schuld 
erlassen." 
Voll Dank, Freude und Zuversicht machte sich der Bauer auf den Weg, und 
von froher Hoffnung getrieben, hatte er bald die Stadt Prag, das Ziel seiner 
Sehnsucht erreicht, wo er zu feinem erstaunen und Entzücken die im Traume gesehene 
Stadtgegend alsbald fand und wieder erkannte. Es ist leicht begreiflich, daß der 
gute Mann nichts Eiligeres zu thun hatte, als sich unverzüglich auf die Brücke zu 
begeben und an der Stelle zu suchen, wo nach feinem Traume der Schatz zu finden 
fein sollte. Er ging gesenkten Hauptes dort hin und her, schaute zur Rechten und 
zur Linken, kam wohl zehnmal am Ende der Brücke an, um von Neuem seine
	        
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