Volltext: Neuer Braunauer Kalender 1895 (1895)

57 
Zeitung und versuchte zu lesen Aber es war mir vollkommen 
unmöglich, meine Gedanken zusammenzuhalten. Immer von 
neuem tauchte die schwarze Gestalt vor mir auf. Ich theilte 
das Coupö mit drei Herren, zwei älteren und einem jüngeren, 
welche eine lebhafte Unterhaltung führten. Ich fand bald 
heraus, daß sie Juristen waren; ihr Gespräch drehte sich um 
einen Mordproceß, der heute vor dem Schwurgerichte in C 
zur Entscheidung kommen sollte. Der Eine, eia stattlicher 
Herr mit grauen Vollbart und goldener Brille, war felsenfest 
von der Schuld des Angeklagten überzeugt. „Die Vertheidigung 
war ja von vorneherein vollkommen verfehlt", sagte er. 
Der Jüngere, sein scharfgeschnittenes, intelligentes Profil 
kam mir bekannt vor, nickte: „Sicher, der Alibibeweis war 
zu mindestens gewagt. Aber auf der anderen Seite dürfen 
Sie nicht vergessen, daß auch nicht ein einziger direkter Zeuge 
des Mordes vorhanden ist. Und ich muß Ihnen offen ge¬ 
stehen, ich stehe einem reinen Indizienbeweis stets etwas mi߬ 
trauisch gegenüber." 
„Aber ich bitte Sie, werther Doktor Bergmann", rief 
der Dicke, „die Sache ist doch klar wie die Sonne. Und 
wenn ein Dutzend Zeugen dabei gestanden hätte, der Kerl 
könnte nicht schlagender überführt sein. Gar kein Zweifel, 
daß er der Mörder ist. 
„Ich wendete mich an mnn Ge/emiber. „Wir sind uns 
wohl nicht ganz unbekannt, Herr Doktor?" 
In der That,, der junge Rechtsanwalt erkannte mich 
wieder; wir hatten vor einem halben Jahre wiederholt ge¬ 
schäftlich zusammen zu thun gehabt. Dann bat ich um einige 
nähere Erklärungen; „um was handelt es sich denn eigentlich 
in diesem Processe? Ich habe leider während der letzten Zeit 
die Zeitung nicht regelmäßig gelesen " 
O, es ist ein interessanter Fall. Ein Buchhalter, der 
feine Stelle verloren hat, ist angeklagt, den Eastier seiner 
früheren Firma erschlagen und beraubt zu haben. Ein direkter 
Beweis kann, wie gesagt, nicht geführt werden. Die Ver¬ 
dachtsmomente sind freilich auch ohnehin schon schwer genug. 
Die Vertheidigung hat nun einen Alibi beweis zu führen 
gesucht; aber unglücklicherweise hat derselbe gerade für die 
kritischen Stunden, in denen die That wahrscheinlich begangen 
wurde, eine Lücke. Aber hier sind wir ja schon in C."
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.