Volltext: 9. Heft 1914 (9. Heft 1914)

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bünbeten Englänber unb Franzosen ausgeübt worben, 
ber wohl bie Hoffnung auf eine Umfassung unb eine Ab- 
brängung ber Englänber von ber Küste nahe legte. 
Erwog man weiter, baß ein erfolgreicher Vormarsch 
gegen bie Linie Paris—Verbun in seinem weiteren Ver¬ 
lauf bie beutschen Streitkräfte in ben Rücken ber stärksten 
französischen Sperrfortlinie bringen konnte, so war für 
sanguinische Naturen bie Versuchung groß, sich in aus- 
schweifenben Hoffnungen über bie nächste Periobe un¬ 
seres Felbzuges in Frankreich zu wiegen. Es ist nicht zu 
leugnen, baß bie sich fast überstürzenben Siegesnach¬ 
richten ber ersten Kriegswochen bas bentsche Volk etwas 
verwöhnt hatten, so baß ber nun bdb bar auf eintretenbe 
veränberte Charakter bes Kriegsverlaufs bie öffentliche 
Meinung vor eine nicht ganz leichte Probe stellte. Es 
ist ein ehrenvolles Zeugnis für ben Ernst unb bie 
Reife bes beutschen Vaterlanbsgefühls in unserer großen 
Zeit, baß bas bentsche Volk biese Probe bestaub unb sich 
nicht aus bem Gleichgewicht werfen ließ. Ging etwas 
anbers, als jene hochfliegenben Erwartungen sich gebacht 
hatten, mußte man aus bem fortwährenben Taumel 
erregenber Siegesbotschaften auf längere Zeit zum 
Üben ber Tugenb ber Gebulb zurückkehren, so fügte sich 
alles mit Würbe, Ernst unb festem Vertrauen in bas Un- 
vermeibliche; unb bas hohle Geschwätz, bas mißvergnügte 
ober verzagte Raunen wagte sich ernstlich nicht über bie 
engen Kreise hinaus, aus benen bie Bebürfnisse ber Bier¬ 
bank unb ber gewohnheitsmäßige Klatsch niemals ganz 
zu verbannen sinb; bort aber blieben sie für bie große 
Öffentlichkeit unb für ben Kern ber Nation völlig be- 
bentnngslos. 
Daß unsere Heeresleitung sich in entschlossenem An¬ 
sturm so schnell wie möglich mit ihrer Hauptkraft auf 
Frankreich werfen mußte, ergab sich aus ber politischen 
Lage unb ber vorhanbenen Kräfteverteilung. Ebenso war 
es selbstverstänblich, baß bei biesem kühnen Vorstoß alle 
Vorteile mitgenommen würben, bie bie Kriegführung 
erhaschen ließ. Es burfte benennt auch nicht bie Möglich¬ 
keit einer überraschenben Einnahme von Paris gänzlich 
ans jeber Berechnung ausgeschaltet werben. Wenn man 
aber aus ber Nichterfüllung bieser unb anbetet: burch bie 
Ereignisse angeregten Hoffnungen schließen wollte, baß 
baburch bie Pläne unb Erwartungen unserer Führung 
burchkreuzt unb zerstört worben seien, baß wir also in 
unvorhergesehener Weise zu einem anhexen System ber 
Kriegführung übergehen mußten, so fehlt für biese Auf¬ 
fassung min bestens jebe nachweisbare Unterlage. Man 
barf es ruhig aussprechen, baß unser Generalstab in seiner 
langjährigen, gewissenhaften unb mühevollen Arbeit 
unsere Gegner eher überschätzen als unterschätzen gelernt 
hat. Es liegt bah er auch nicht bie geringste Wahrschein¬ 
lichkeit bafür vor, baß unsere oberste Heeresleitung auf 
bie sich balb entwickelnbe neue Kriegslage nicht vor¬ 
bereitet gewesen sein sollte. Unvorhergesehene Mo¬ 
mente bietet aber jeber Krieg. „Es gibt keine menschliche 
Tätigkeit, welche mit bem Zufall so bestänbig unb so all¬ 
gemein in Berührung stäube als ber Krieg", sagt ber 
große Kriegstheoretikec, General Earl von Elausewitz, ber 
Lehrmeister unseres Moltke unb aller unserer großen 
mobernen Heerführer. Einem begabten unb gutgeschulten 
Führer können bie Unberechenbarfeiten bes Krieges nicht 
allzuviel anhaben, solange bie physische unb moralische 
Leistungsfähigkeit ber Truppen auf ber notwenbigen 
Höhe bleibt. Aber Bebingung ist freilich, baß ber Felb- 
herr bie Fähigkeit besitzt, alle überhaupt vorhanbenen 
Möglichkeiten auf bas schärfste zu burchbenken, so baß ihn 
auch ber merkwürbigste Zufall nicht überraschen kann. 
Der Felbmarschall Moltke hatte biese Fähigkeit in einem 
seltenen Grabe; aber es ist ihm mehrfach begegnet, baß 
ber Gegner gerabe bas tat, was Moltke für bas Aller¬ 
unwahrscheinlichste gehalten hatte (z. B. ber Marsch ber 
Armee Mac Mahons nach ber belgischen Grenze!). Das 
Hinberte ihn nicht, auch barauf gerüstet zu sein. 
Daß nun ein Generalstab, ber aus ber Schule eines 
solchen Mannes hervorgegangen ist, seinen Kriegsplan 
ausschließlich auf bie Erfüllung von Hoffnungen auf¬ 
gebaut haben sollte, bie nur als besonberer Glücksfall 
gelten konnte, ist gerabezn unbenkbar. Alles spricht bafür, 
baß ein langes, zähes Ringen mit Frankreich unter 
Einsetzung ber äußersten Kraft erwartet würbe, baß bie 
Beteiligung Englanbs am Kriege biese Erwartung ver¬ 
stärkt hatte, unb baß ber energische Vorstoß ber ersten 
Kriegswochen nur ben Zweck hatte, vor Beginn bes nach¬ 
haltigen Ringens noch möglichst viele Vorteile in bie Hanb 
zu bekommen, bie geeignet sinb, im letzten Augenblick 
bem Sieger ben entscheibenben Überschuß an Kraft zu 
sichern unb ben Gegner zu Fall zu bringen. Vor allem 
mußte mit einer entschlossenen Offensive Frankreichs 
gerechnet werben, unb gerabe beshalb war es notwenbig, 
rechtzeitig alles zu tun, was ben Krieg vom beutschen 
Boben fernhalten konnte. 
Die Franzosen ihrerseits waren burch bie Schnellig¬ 
keit unb Energie bes beutschen Vorgehens zwar bis zu 
einem gewissen Grabe überrascht worben unb hatten 
mancherlei erheblichen Schaben erlitten. Wenn man sich 
aber aus einer Übersichtskarte von Frankreich bie Kriegs¬ 
lage Anfang September in großen Zügen vergegen¬ 
wärtigt, so muß sogleich klar werben, baß zu einem Ver¬ 
zicht auf bie beabsichtigte Offensive für Frankreich gar 
kein Grunb vorlag. Man wirb sich überzeugen, baß ber 
von uns besetzte Grenzstreifen im Vergleich zum Gesamt¬ 
gebiet ber französischen Republik sehr klein war, unb baß 
bie französische Regierung in bem bei weitem größten, 
geographisch sehr günstig gelegenen unb gestalteten Teil 
ihres Laubes frei schalten unb walten konnte. Ein Gro߬ 
staat, ber sich Jahrzehnte hinburch auf einen großen 
Krieg vorbereitet hat, läßt sich nicht burch ein paar erste 
Mißerfolge in einem Grenzgebiet von wohlerwogenen 
unb in biesem Falle noch bazu mit mächtigen Bunbes- 
genossen verabrebeten Plänen abbringen. Frankreich 
hatte ungeheure Anstrengungen gemacht, um bie Zahl 
seiner Streitkräfte auf eine Höhe zu bringen, bie im Hin¬ 
blick auf bie Bevölkerungsziffer bisher unerhört war. 
Die ersten Nieberlagen, so empfinblich sie sein mochten, 
hatten ben Kern ber zur Verteibigung bes Laubes bemt- 
stehenben Truppen noch nicht berührt. Nach ber beut¬ 
schen Grenze hin fühlte man sich ausreichenb gesichert. 
Wenn man sich bemüht, bie Dinge vom französischen 
Stanbpunkt anzusehen, so war ferner anzunehmen, baß 
Rußlanb, bas über eine so ungeheure Übermacht an 
Menschen verfügte unb ben Krieg boch in bem Bewußt¬ 
sein, fertig zu sein, angefangen haben mußte, minbestens 
imstanbe sein würbe, eine sehr beträchtliche Zahl ber 
beutschen Truppen von bem westlichen Kriegsschauplatz 
abzuziehen. Es ist also immerhin begreiflich, baß Frank¬ 
reich im Verein mit ben englischen Hilfstruppen bas 
Gefühl sicherer Überlegenheit hatte. So orbnete ber 
französische Oberkommanbierenbe, General Joffre, ben 
Aufmarsch seiner Armeen Anfang September nach einem 
neuen Plan, ber eine starke Offensive gegen bie von 
Belgien her in norb-süblicher Richtung vorbringenben 
Deutschen in bestimmte Aussicht nahm.
	        
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