Volltext: 55. Heft 1914/15 (55. Heft 1914/15)

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fielen die auch von Norden bereits angegriffenen Forts 
der Nordfront, fowie die Ost- und zuletzt die gesamte 
Südfront." So war die ganze Festung endgültig in 
unsrem Besitz. 
Angesichts dieses außerordentlichen Erfolges ver¬ 
ließ auch die gewerbsmäßigen Lügenfabrikanten des 
Vi'erverbandes einen Augenblick die Fassung. Die Sache 
kam 511 unerwartet, als daß es nicht schwer gewesen 
wäre, sogleich die richtige Stellung dazu zu finden. 
Und so verrieten sich unsre Feinde selbst, ehe sie das 
seelische Gleichgewicht wiederfanden, um auch diese 
Niederlage mit eherner Stirn als eine selbstgewollte 
Räumung, die nichts auf fich habe, hinzustellen. Die 
gewaltigen Ziffern der Kriegsbeute deckten die Lüge auf 
und bewiesen, wie sicher sie diese Mengen von Kriegs¬ 
material hinter den starken Wällen von Kowno geglaubt 
hatten. Der Bericht über die Beute erwähnt über 
600 Geschütze, 
darunter zahllose 
schwersten Kalibers 
und modernster 
Konstruktion, ge- 
waltigeMunitions- 
massen, zahllose 
Maschinengewehre, 
Scheinwerfer und 
Heeresgerät aller 
Art, Automobile 
und Gummiberei¬ 
fungen, Millionen¬ 
werte an Proviant. 
Die Zahl der Ge¬ 
fangenen betrug 
20 000. Ferner 
wird berichtet,-daß 
Hunderte von Re¬ 
kruten in der vom 
Feinde verlassenen 
Stadt aufgegriffen 
wurden,nach deren 
Angaben erst im 
letzten Augenblick 15 000 unbewaffnete Ersatzmannschasten 
fluchtartig aus der Stadt entfernt worden waren. Alles 
Zeichen, daß die Rusfen auf einen langen Widerstand 
der Festung gerechnet hatten. In der Tat war der 
Fall von Kowno ein wieder einmal besonders über¬ 
raschender Beweis der außergewöhnlichen Tüchtigkeit 
unsrer Truppen und ihrer Führung. Einen besonderen 
Dank richtete der Kaiser aus diesem Anlaß sowohl an 
den Feldmarschall von Hindenburg und den General¬ 
obersten von Eichhorn, als auch an General Litzmann, 
dem der 'Kaiser das Eichenlaub zum Orden Pour le 
merite verlieh, da seine Anordnungen auf der Angrifss- 
sront den schnellen Erfolg sicherten. In dem Telegramm 
hieß es: „Diese Tat wird immer ein leuchtendes Beispiel 
dafür bleiben, was frisches Zugreifen mit deutschen 
Truppen zu erreichen vermag." 
In kurzen Zwischenräumen waren nun schon die 
größten und stärksten russischen Festungen gefallen; 
kein Wunder, daß man auch der baldigen Bezwingung 
von Brest-Litowsk mit der größten Zuversicht entgegen¬ 
sah. Es sollten in der Tat nur noch wenige Tage ver¬ 
gehen, bis auch diese Hoffnung verwirklicht wurde. 
Wie bereits erzählt wurde, wurde in der beginnenden 
zweiten Augusthälfte die deutsche und österreichisch¬ 
ungarische Front in Op.polen regelmäßig und stetig 
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Blick mir den 
weiter nach Osten vorgeschoben. Nur im Südosten 
hielten die Russen noch mit verzweifelter Zähigkeit 
den Landstreifen in Ostgalizien besetzt. Möglich wurde 
ihnen das durch den Besitz des wolhynischen Festungs¬ 
dreiecks Lnck—Dnbno—Rowno und der dadurch gesicher¬ 
ten guten Eisenbahnverbindungen in Wolhynien und 
Podolien. Aber nördlich von Sokal hatten die Russen 
ein weites Gebiet auf dem rechten Bugnfer geräumt, 
wo die Heeresgruppe Mackensen, in der rechten Flanke 
durch österreichisch-ungarische und . deutsche Kavallerie 
gedeckt, östlich von Wlodawa gegen Brest-Litowsk vor¬ 
ging. Dieser rechte Flügel der Heeresgruppe Mackensen 
erkämpfte sich am Switjaz-See und bei Piszeza, wo die 
Russen am 22. August Niederlagen erlitten, freie Bahn 
bis in die Nähe der Festung, die, wie wir sahen, in¬ 
zwischen durch den linken Flügel Mackensens auch von 
Norden unb Westen umklammert war. Osterreichisch- 
______ ungarische Trup¬ 
pen der Heeres¬ 
gruppe Mackensen 
gingen gegen die 
Südwestfront von 
Brest-Litowsk vor. 
Die jetzt ganz nörd: 
lich vom Bug vor¬ 
gehende Heeres¬ 
gruppe des Prin¬ 
zen Leopold von. 
Bayern näherte 
sich am 23. bereits 
dem berühmten 
Urwald von Bialo- 
wieza, dem aus¬ 
gedehnten Jagd¬ 
gehege des Zaren, 
dem letzten Zu¬ 
fluchtsort des euro¬ 
päischen Wisents, 
der hier allein noch 
in Freiheit lebt 
und sorgfältig ge¬ 
hegt wird (siehe Teil II, Seite 402 ff.). Mit wunder¬ 
barer Schnelligkeit entwickelte sich nun alles. Die 
Lage ließ es ratsam erscheinen, mit aller durch die 
Umstünde irgend zu rechtfertigenden Kühnheit gegen 
die Festung vorzugehen, da Anzeichen darauf deuteten, 
daß die Russen diesmal den Widerstand, den man von 
einer Festung solchen Ranges — noch dazu bei den 
Vorteilen der geographischen Lage — erwarten durfte, 
nicht mehr leistem würden, sondern den Aufenthalt, den 
der große Waffenplatz unsern Armeen selbstverständlich 
in jedem Falle bereiten mußte, nur benutzen würden, 
um möglichst viel von dem Kriegsmaterial, das dort 
lagerte, in Sicherheit zu bringen. Dazu den Russen 
möglichst wenig Zeit zu lassen, lag natürlich in unserm 
Interesse. Denn bald hinter Brest-Litowsk beginnt das un¬ 
geheure Sumpf-und Waldgebiet (sieheTeil II, Seite 399f.), 
das den Rückzug der Russen außerordentlich erleichtern 
mußte. Unterstützt wurden die infolgedessen mit größter 
Energie und Beschleunigung ins Merk gesetzten Unter¬ 
nehmungen gegen die Festung durch das Vorgehen der 
Kavallerie gegen Kobryn und Kowel. Am 23. August 
zog in Kowel die ans deuUchen und österreichisch-unga¬ 
rischen Regimentern bestehende Kavallerie der Armee 
des Feldzeugmeisters Puhallo ein, nachdem sie den 
Feind in siegreichen Gefechten geworfen hatte. 
Phot. R. Sennecke, Berlm. 
eil eines Schlachtfeldes vor Brest-Litowfk.
	        
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