Volltext: 48. Heft 1914/15 (48. Heft 1914/15)

330 ooQoaooooooooooQOooooacooooooQoaooDooooaaoaooc 
ein regelloser Strom, in jäher, an keinerlei ernstlichen 
Widerstand mehr denkender Flucht, auf den letzten noch 
freien Wegen durch unwirtliches Sumpf- und Wald¬ 
gebiet zurück. In dem Wahne, ihren Verfolgern ein 
neue? 1812 liefern zu können, brennen sie alles hinter 
sich nieder, vernichten sie die Ernte und — echt russisch — 
plündern sie im eignen Lande. Und alles, .was irgendwie 
die Begehrlichkeit dieser Halbwilden lockte, alles, was nicht 
niet- und nagelfest ist, das schleppen sie auf ihrer Flucht 
mit sich — bis sie es am Wege liegen lassen müssen, weil 
es immer mehr gilt, das nackte Leben zu retten; hat man 
doch unter solchem Wegwurs kürzlich bei Meist zwei 
Säcke mit — Rehgehörnen gefunden, die in ostpreuhi- 
schen Oberförstereien zufammengestohlen waren. Bei 
der Geringschätzung des Menschenlebens im Zarenreiche 
ist es verständlich, daß die Losung bei dieser wilden Flucht 
vor allem „Rettung des Kriegsmaterials" heißt. Aber so 
atemlos setzt die Verfolgung hinter den Fliehenden drein, 
daß sie mehrfach selbst ihre Kanonen einfach im Stiche 
ließen oder durch Vergraben zu retten suchten. Den 
Strom der geschlagenen Armeen engen und hemmen 
die überall einmündenden Wogen der Flüchtlinge aus 
den Dörfern und Städten, Greife, Frauen und Kinder, 
Untertanen des Zaren, denen die Kosaken die Häuser 
in Brand setzten und die Habe stahlen. Mehrfach haben 
die Russen diese bedauernswerten Opfer ihrer Ver¬ 
blendung mit Gewalt den deutschen und österreichisch¬ 
ungarischen Verfolgern entgegengetrieben, um so Zeit 
zum Verschnaufen und gewisse Sicherheit der Flucht zu 
gewinnen. Und das ist ihnen auch für kurze, Stunden 
dank unsren Anschauungen von Menschlichkeit gelungen. 
Doch kann dies das Tempo der Verfolgung nicht hemmen, 
und immer mehr bröckelt die Masse der sliehenden Sol¬ 
dateska nach allen Seiten ab. Von der Führung aus¬ 
gegeben, sich selbst überlassen — „sauve qui peut!“ 
heißt es ja längst — ist dieser bunt zusammengewürfelten 
Menschenmenge jede Ordnung, jedes Disziplinempfinden 
verlorengegangen: die Gefangenschaft scheint ihnen die 
einzige Erlösung. Und so lausen sie, die Waffen von sich 
wersend, nichtseltenden Verfolgern hastig entgegen. „Wie 
ein breiter Treibriemen endlos über eine Transmissions¬ 
scheibe läuft," schildert jüngst, Ganghofer solche Szene 
äußerst anschaulich, „so quillt ununterbrochen über den 
zerfetzten Bahndamm ein dichter Strom von waffen¬ 
losen Russen herüber, die sich gefangen geben wollen. 
Vierhundert, fünfhundert müssen es fein, achthundert, 
tausend, zweitausend, noch mehr! Man kann nimmer 
zählen, nimmer schätzen. Die Unsren, die den Bahn¬ 
damm noch nicht erreicht haben, geben sich mit 
dieser Kleinigkeit nicht ab. Immer vorwärts schrei¬ 
tend, zeigen sie den Russen nur durch rasche Arm- 
bewegungen die Richtung an, in der die Sehnsucht.nach 
deutscher Gefangenschaft sich stillen läßt. Und nun geht 
es hin und her, Freund und Feind, in raschem Wirbel 
aneinander vorüber, Reihe und Gegenreihe wie bei 
einer grandiosen Quadrille ohne Damen, die Unsren 
vorwärts, die Russen nach rückwärts. Und die Feld¬ 
bauen schreiten ruhig, während die braune Karawane 
haftet und hetzt." A. Hn. 
’ * * 
Dualaspione zeigen dem Feinde geheime Wege 
durch die Mangrovekrieks. 
Fast alle an der Westküste Afrikas mündenden 
Ströme neigen zur Deltabildung und zeigen vor ihrer 
Mündung ein vielfältig zmd weitverzweigtes System 
von schmalen und sumpsigen Wasserrinnen. Einige sind 
für größere Seefchiffe passierbar, und es ist ein merk¬ 
würdiger Anblick, einen Ozeandampfer in einem schmalen 
Urwaldflüßchen, von den Zweigen des ewigen Grüns 
gestreift, fahren zu sehen. Die User sind mit Mangrove¬ 
bäumen bestanden, die unmittelbar im Waffer wachsen 
und mit ihren Lustwurzeln und weißlichen Stämmen 
einen fremdartigen Eindruck machen. Erst im Anfang 
des vorigen Jahrhunderts wurde in Europa bekannt, 
daß die Mündung, des Nigerstroms, die man bis dahin 
nicht kannte, mit den sogenannten Olslüssen identisch 
ist. Viele der schmalen Wasserwege oder Krieks, die der 
Europäer des mörderischen Klimas wegen am liebsten 
meidet, sind nur den Eingeborenen bekannt, und sie 
spielen daher auch in der Geschichte der jetzigen Kämpfe 
im Kamerunlande eine Rolle. 
Am 26. September 1914 erlag die schwache Be¬ 
satzung von Duala der feindlichen Übermacht. Die wenigen 
deutschen Verteidiger hatten mitsamt der Eingeborenen¬ 
soldatentruppe nur 600 Gewehre mit vier alten Ge¬ 
schützen und fünf Maschinengewehren und die Armierung 
der Dampfer „Herzogin" und „Nachtigal" zur Verfügung, 
während der Feind mit fünf Kriegsschiffen, etwa einem 
Dutzend Flußkanonenbooten, fünf Barkassen, zehn Trans¬ 
portdampfern, zahlreichen mit 9-om-Geschützen bewaff¬ 
neten Barredampfern und 2000 Soldaten anrückte. 
Der Angriff erfuhr noch wesentliche Unterstützung durch 
zahlreiche Duala-Überläufer, die dem Feinde Fahrwege 
und zahlreiche ihm unbekannte Krieks zur Annäherung 
verraten haben. Die Überwachung der Duala schwächte 
die Kräfte der Besatzung von Duala ebenso wie die 
Sicherung der vielen Umgehungsgelegenheiten. Die 
deutsche Europäerabteilung, geriet in Gefangenschaft, 
während es der farbigen Besatzung gelang, sich zurück¬ 
zuziehen. 
Die Duala, die sich schon von jeher unbotmäßig 
zeigten, was auch seinen Ausdruck fand in allerlei Pro¬ 
zessen, die sie in Deutschland anhängig machten, sowie 
andere Küstenstämme wie die Malimba und Batanga 
usw. halten offen zu den Engländern, zu denen sich die 
christlichen Hofenneger jedenfalls besonders hingezogen 
fühlen, weil sie sich in den englischen Küstenkolonien 
Lagos und Sierra Leone jede Dreistigkeit erlauben 
dürfen, während die deutsche Regierung ans zwar ge¬ 
rechte aber strenge Zucht hält. Die zum Glück weniger 
von der Zivilisation beleckten, dafür aber kulturell weit 
höher stehenden, größtenteils zum Islam sich bekennenden 
Stämme im Norden Kameruns haben bislang treu zur 
deutschen Verwaltung gehalten. C. Atrien s. 
* * 
* 
Vom Sanitätsdienst in der Front. 
So mannigfaltig wie der Krieg sich gestaltet, ebenso 
mannigfaltig gestaltet sich die Art der Fürsorge für 
die Verwundeten. Verhältnismäßig einfach und rafch 
können diese versorgt werden, wenn im Bewegungs¬ 
kriege das Gefecht vorwärts geht. Die Verwundeten 
verbinden sich allein oder mit Hilfe des danebenliegenden 
Kameraden und bleiben zunächst so lange liegen, bis das 
zu jeder Kompagnie gehörige Sanitätspersonal, das 
mit Bahren ausgerüstet den Gefechtsstreifen des Truppen¬ 
teils absucht, sie nach hinten zum Truppenverbandplatz 
befördert. Leichtverwundete gehen dahin. Dort prüfen 
die Ärzte den Verband und erneuern ihn, falls es not¬ 
wendig. Erachten die Arzte den Verwundeten für trans¬ 
portfähig, fo wird er auf kleinen, bereitgestellten Wagen
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.