Volltext: 212. Heft 1914/18 (212. Heft 1914/18)

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mit einem eigenen Sowjet und eigenen Roten Garden. 
Aus der Nähe gesehen sieht das Nest zum Verzweifeln 
typisch aus: Marktbuden, Stadthaus, Hauptstraße, Bank¬ 
gebäude, Kaffeehaus mit Fliegen, in dem ein Kaffee 
vier Mark kostet, Stadtpark mit zertrampelten Beeten 
und hölzernem Theater (heute abend: „Lustige Witwe"), 
Kino, Gymnasium — die russische Gouvernementstadt, 
wie sie leibt und lebt, aber voll Sonne, voll bunten 
Obstes und exotischer Menschen. Unsre Uniformen 
rufen Straßenaufläufe hervor; schon geht das Gerücht: 
Die Österreicher wollen Noworossisk besetzen. 
Aber wir sind nicht die einzigen Vertreter der 
Zentralmächte hier. Unten an der Hafenmole liegt ein 
kleines Schiff unter der deutschen Kriegsflagge. Wir 
In einer Milchhalle (ein Glas blaue Milch zwei 
Rubel) übersetzt mir jemand die „Schwarz-Meer- 
Gazette". Leitartikel gegen Deutschland Wir be¬ 
schließen, ben Gouverneur ber Stabt unb bes Schwarz- 
Meer-Gouvernements Oberst Kutjepow aufzusuchen unb 
zu interviewen. 
Sein „Natschalnik Schtabu" (Generalstabschef) 
be Noberti empfängt mich sofort, ich halte ihm, ber einer 
französischen Familie Sohn ist,, eine lange französische 
Nebe; wenn ich sage „Kuban" ober „Autriche", nickt er 
unb sagt: „comme «ja!“ unb versteht, kurz, kein Wort. 
Er schickt uns zum Gouverneur. Vor ber Villa 
stehen zwei Kosaken mit gefälltem Bajonett unb bürsen 
sich währenb zweier Stunben aus ihrer Olgötzenstarrheit 
Zurückverlegung einer Artillerie-Werkstatt im Westen. 
Aufn. Bild- und Filmarnt, Berlin. 
gehen gleich an Borb. Der beutfche Kapitänleutnant 
Aubriano, ein Sübbeutfcher, bessen Familie bie Familie 
Klemens Brentanos ist, hält hier seit Monaten unter 
Bolschewiki unb Kosaken unbekümmert Wacht, mit 
einem Häufchen Leute von ber „(Soeben“, lebt wie ein 
Robinson im wilben Meer ber Ftembe, hilft, wo er 
kann, ben beutfchen unb österreichischen Kriegsgefangenen 
(bie Denikin nicht freiläßt), ist Diplomat, Seemann, 
Hanbelsagent, alles. Er wirb nachher Dinge zu er¬ 
zählen haben! 
Wieber zurück in bie Stabt. Ein Trupp Solbaten 
marschiert etwas vage herum; in sechserlei Uniformen, 
wilb-kosakisch oder nüchtern russisch-braun, die einen 
mit struppigen Fellmützen, bie mit Tellerkappen, bie 
mit jrav,zö|ischen Helmen, alle mit ben Ärmelstreifen 
in ben russischen Farben, bie bas Abzeichen bieser 
Armee sind. 
nicht rühren. Wir warten in einem etwas summarisch 
eingerichteten Salon. Ein eleganter Kavallerieossizier 
in roten Hosen kommt enblich unb oerkünbet Seine 
Exzellenz. Sporenklirrenb wie ber Pascha in „Fatinitza" 
kommt ein schwarzbärtiger Herr herein. Er sieht ans, 
wie man sich einen gestrengen Gouverneur von Anno 
Knute vorstellt; ein gebtungener Mensch, weiße Zähne, 
sunkelr.be Diben, ein Satrap. 
Neben ihm steht, ungeheuer bienstlich, ein Abjutant 
unb verbolmetscht in bas vortrefflichste Deutsch, was 
sein Gebieter uns zü sagen hat. Er sagt: „Meine Herren, 
jeber russische Mensch (er sagt: russische Mensch) hat 
nur ben einen Wunsch, Nußlanb wieber geeinigt zu 
sehen. Die russische Armee kämpft weber für bie Re¬ 
publik noch für die Monarchie, sondern will in Rußland 
erst einmal Ordnung machen. Wir wollen einen einigen 
Staat, nur ein geringer Teil unsre Kubankosaken ist
	        
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