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mit einem eigenen Sowjet und eigenen Roten Garden.
Aus der Nähe gesehen sieht das Nest zum Verzweifeln
typisch aus: Marktbuden, Stadthaus, Hauptstraße, Bank¬
gebäude, Kaffeehaus mit Fliegen, in dem ein Kaffee
vier Mark kostet, Stadtpark mit zertrampelten Beeten
und hölzernem Theater (heute abend: „Lustige Witwe"),
Kino, Gymnasium — die russische Gouvernementstadt,
wie sie leibt und lebt, aber voll Sonne, voll bunten
Obstes und exotischer Menschen. Unsre Uniformen
rufen Straßenaufläufe hervor; schon geht das Gerücht:
Die Österreicher wollen Noworossisk besetzen.
Aber wir sind nicht die einzigen Vertreter der
Zentralmächte hier. Unten an der Hafenmole liegt ein
kleines Schiff unter der deutschen Kriegsflagge. Wir
In einer Milchhalle (ein Glas blaue Milch zwei
Rubel) übersetzt mir jemand die „Schwarz-Meer-
Gazette". Leitartikel gegen Deutschland Wir be¬
schließen, ben Gouverneur ber Stabt unb bes Schwarz-
Meer-Gouvernements Oberst Kutjepow aufzusuchen unb
zu interviewen.
Sein „Natschalnik Schtabu" (Generalstabschef)
be Noberti empfängt mich sofort, ich halte ihm, ber einer
französischen Familie Sohn ist,, eine lange französische
Nebe; wenn ich sage „Kuban" ober „Autriche", nickt er
unb sagt: „comme «ja!“ unb versteht, kurz, kein Wort.
Er schickt uns zum Gouverneur. Vor ber Villa
stehen zwei Kosaken mit gefälltem Bajonett unb bürsen
sich währenb zweier Stunben aus ihrer Olgötzenstarrheit
Zurückverlegung einer Artillerie-Werkstatt im Westen.
Aufn. Bild- und Filmarnt, Berlin.
gehen gleich an Borb. Der beutfche Kapitänleutnant
Aubriano, ein Sübbeutfcher, bessen Familie bie Familie
Klemens Brentanos ist, hält hier seit Monaten unter
Bolschewiki unb Kosaken unbekümmert Wacht, mit
einem Häufchen Leute von ber „(Soeben“, lebt wie ein
Robinson im wilben Meer ber Ftembe, hilft, wo er
kann, ben beutfchen unb österreichischen Kriegsgefangenen
(bie Denikin nicht freiläßt), ist Diplomat, Seemann,
Hanbelsagent, alles. Er wirb nachher Dinge zu er¬
zählen haben!
Wieber zurück in bie Stabt. Ein Trupp Solbaten
marschiert etwas vage herum; in sechserlei Uniformen,
wilb-kosakisch oder nüchtern russisch-braun, die einen
mit struppigen Fellmützen, bie mit Tellerkappen, bie
mit jrav,zö|ischen Helmen, alle mit ben Ärmelstreifen
in ben russischen Farben, bie bas Abzeichen bieser
Armee sind.
nicht rühren. Wir warten in einem etwas summarisch
eingerichteten Salon. Ein eleganter Kavallerieossizier
in roten Hosen kommt enblich unb oerkünbet Seine
Exzellenz. Sporenklirrenb wie ber Pascha in „Fatinitza"
kommt ein schwarzbärtiger Herr herein. Er sieht ans,
wie man sich einen gestrengen Gouverneur von Anno
Knute vorstellt; ein gebtungener Mensch, weiße Zähne,
sunkelr.be Diben, ein Satrap.
Neben ihm steht, ungeheuer bienstlich, ein Abjutant
unb verbolmetscht in bas vortrefflichste Deutsch, was
sein Gebieter uns zü sagen hat. Er sagt: „Meine Herren,
jeber russische Mensch (er sagt: russische Mensch) hat
nur ben einen Wunsch, Nußlanb wieber geeinigt zu
sehen. Die russische Armee kämpft weber für bie Re¬
publik noch für die Monarchie, sondern will in Rußland
erst einmal Ordnung machen. Wir wollen einen einigen
Staat, nur ein geringer Teil unsre Kubankosaken ist