Volltext: 205. Heft 1914/18 (205. Heft 1914/18)

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Berühmtheit gelangt sind unb int Herzett der Deutschen 
schmerzlich forttlingen werden. Die Somme erklären sie 
dagegen für eine Kleinigkeit, selbst Flandern samt nicht 
mit. Und nun sollte uns das Glück blühen, nach gut 
zwei Fahren wieder vor Verdun verschlagen zu werden. 
Eine geradezu düstere Stimmung herrschte im Zuge; 
je naher man auf dem wohlbekannten Schienenwege 
von der großen Strecke abseits rollte, je grollender 
wurden die Blicke, die das Gelände streiften: die weiten, 
welligen, etwas eintönigen Wiesenflächen, die langen 
nüchternen Häuserreihen der Arbeiterlolonien all der 
Bergwerksnester mit ihren Hochöfen, Gruben, rauchen¬ 
den Schloten. Denn man war ja im kostbaren 
Erzbecken von Longwy-Briey. Dabei ließ sich die Land¬ 
schaft gar nicht so unhübsch an, wie wir sie in Erinnerung 
trugen vom bösen, bösen Januar, Februar, März 
und April 1916 her, wo uns das nasse, schlammige, 
ewig düstere Verduuois mit seinen erbärmlichen Lehm- 
häuscru, seilten schmuiugen und trostlosen Ruinendörfern 
vorkam wie das Ende der Dinge, gemessen am Maßstabe 
des freundlichen, sauberen.und menschenregen Flandern, 
von dem wir kanten. Der Sommer verlieh auch diesem 
Stiefkind Frankreichs seine verschönenden Reize. Die 
grauen, schmutzigen Wiesen standen tm grünen Kleid mit 
bunten Blumen; all die Hecken längs des Bahndammes 
standen grün, die Dörfer auf den Kuppen, Hügeln 
und Rücken hoben sich malerisch und weiß ans dem mäch¬ 
tigen, weiten Naturbilde, und die vielen Wälder, die so 
unendlich düster und mürrisch unter dem ewigen, wolken- 
gejagtett Sturmhimmel, deut rastlos rinnenden Regen 
gestanden hatten, betteten sich nun gefällig und ruhe (ant 
in die Landschaft ein. Diefes Sommerbild aber paßte 
nicht in unsre Stimmung, darum übersahen wir es. 
Und da tut hielt der Zug an der Rampe der wohl-, 
bekannten Ausladestation mit den riesigen Anlagen. 
Rings war kein Mensch zu sehen, die Flur, der Ort wie 
erstorben. Auf der mächtigen Landstraße mit den 
uralten Bäumen kroch unsre Truppe wie eine winzige 
Sei;lange dahin, und über die ganze großartige"Landschaft, 
bekannt bis auf jeden Tümpel, jede Waldecke, breitete 
sich flimmernder Sonnenglast, und in verschwindender 
Ferne dämmerten die bläulichen Wälder der Cvtes —wie 
damals, ehe wir sie erstiegen hatten, der stärksten Festung 
der Welt, zum Trotz. Das Herz wollte einem schwer 
werden, die Faust sich ballen beim Anblick dieser ver¬ 
ruchten Hohem 
Aber warum denn? Nur das Heute gilt den Feld¬ 
grauen. Er rechnet mit nackten Tatsachen und tut 
recht daran. Diese, nackte Tatsache heißt für Verdun 
ruhige Front. So unglaubhaft ruhig ist es um diese 
böse alte Wetterecke geworden, daß man sich wie in 
einem Traume vorkommt; aber gewiß keinem garstigen. 
Das Unglaubliche ist Wahrheit geworden: Bor Verdun 
schweigen die Geschütze tagelang; für die Westfront 
ein geradezu bemerkenswerter Umstand. 
Verdun gehört also zu einer; der angenehmsten 
Fronsüberraschungen, die keiner dankbarer anerkennt, 
als der Feldgraue, und die er mit rührender Hingabe voll 
auskostet. Dazu treten noch die besonderen, geheimen 
Reize für den Kenner, der allerorten ins Vergleichen 
mit damals kommt, dabei oft traurig werden möchte 
im Hinblick auf liebe Kameraden und treue Leute, die 
er hier verloren hat, während er wie ein lebendiges 
Wunder nocb immer au der Westfront herumsteigt und 
doch über der Genugtuung der angenehmen Gegenwart 
aus einer behaglichen Stimmung' nicht herauskommt. 
Diese große Ruhe der noch vor nicht zu langer Zeit 
an gewissen Punkten lebhaften Verdunfront — der 
Heeresbericht nannte den Chaume-Wald, in dem da¬ 
mals unsre Zweiundvierziger standen, nannte den tief* 
eingeschluchteten Caurwres-Wald, der sich mit Rücken, 
Quereinschnitten (nach Vaux zu) und Gipfeln nach Be- 
zonvaux und deut Fort Douaumont zieht, als unruhige 
Stellen, wiewohl die Initiative meist von unablässig 
vorfühlenden deutschen Truppen ausging — ist dem Ge¬ 
lände baß zugute gekommen. Strahlende Sauberkeit ist 
in all die garstigen. Dörfer von 1916 eingezogen, Tischler 
und Maurer haben da sogleich gewaltet und die 
Unterkünfte sind glänzend. Weitab liegen die Gegner, 
behutsam gesichert und tief gegliedert natürlich, aber 
für den Feldgrauen, der da vorn ist, gibt es vorderhand 
weiter keine Wünsche, als daß es von ihm aus eine ganze 
Weile, ja bis zum Kriegsende so weitergehen möge, 
wenn etwa noch ein paar billigere, bessere und über 
Haupts mehr Zigarren, Zigaretten und Pfeifentabak 
dazukamen. 
Die Landschaft bietet herrliche, versonnene Bilder, 
bis zur tragischen Großartigkeit gesteigert. Eine erhabene 
Stimmung überkommt den Beschatter, der lautlos 
eines jener flinken Motorbähnchett fernab durch die 
Landschaft krauchen sieht als einzige lebendige Be¬ 
wegung in dem vollkommen ruhigen Bilde der langge¬ 
streckten Wälder, eines schmalen Sees mit einer zer¬ 
störten Mühle, einem äsenden Reh mit Kitz ant Wald¬ 
rand, dem ganzen sich ins Unendliche verlierenden 
Wiesenplatt mit seinen Wellen blutroten Mohnes, 
weißer Kamille, gelben Hederichs, während unbewegt ein 
Raubvogel über dem Walde steht. 
Die Dörfer haben fett 1916 nicht gelitten trotz 
der französischen Offensive von 1917 mit dem üblichen 
Granatenaufwände. Sie, die damals von Soldaten 
strotzten, während ans den Landstraßen ein Gewimmel 
von Autos, Karren, Reitern, Kolonnen und Truppen 
herrschte wie in der Friedrichstraße zu Berlin vor Kriegs¬ 
ausbruch, liegenheute schweigend und ohtte eine Menschen¬ 
seele. Getretene Pfade von damals find längst 
verwachsen; im gefällten Busch, aus dem die Hunderte 
von Feldküchen ihren laufenden Bedarf an Feuerholz 
herausschlugen, schießt üppig das Gestrüpp schon wieder 
hoch, und die riesigen Drahthindernisse der vielen, vielen 
Stellungen, Riegel, Flankenanlagen 'und vorbereiteten 
Artilleriestellungen sind wüt) überwuchert von Kamille 
wildem Beifuß, der Schweinsdistel und Brennessel! 
Es wächst auf dem harten, steinigen Boden, treulich 
bestellt von deutscher Hand, der Hafer, die Gerste und 
Kartoffel; doch ist es auch härtestem Fleiß unmöglich 
das schmackhafte Gras auf all den ungeheuren Wiesen¬ 
flachen abzuernten. Riesige Mengen werdend zwar 
gemäht und gleiten alltäglich in hochbArdenen ^Bahn- 
wagen zu den großen Depots und Proviantämtern 
als Winterfutter für brave deutsche Gäule; aber viel 
bleibt doch stehen und auch die fleißig weidenden Pferde 
die hier endlich einmal ungestört sich ausfounen und 
lagern dürfen, erschöpfen den Überschuß nicht. Unbe¬ 
kümmert vor feindlichem Flieger, der hier zu den großen 
Seltenheiten gehört, liegen die Feldgrauen der Heuernte 
ob. Stundenlang liegen die Straßen ganz ohne Leben 
- und kommt einmal was Lebendiges aus ihnen daher 
so ist es gewiß ein schwankender HeRwageu. 
Wenn die ungeheuren Massen der Fliegen nicht 
wären, so müßten die herrlichen Waldlager in den un¬ 
zähligen Waldstücken ein Paradies genannt werden.
	        
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