Volltext: 192. Heft 1914/18 (192. Heft 1918)

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dieser Versuchung gegenüber fest, weil es notwendig 
war, die Bedeutung und die Folgen solcher Arbeitsein- 
stellungen in ihrem ganzen Ernst erkennen zu lassen. 
Es sollte gezeigt werden, daß es jetzt in der Not des Vater- 
landes nicht die Zeit war, durch politische Druckmittel 
Parteivorteile zu erreichen. Daher stellte die Regierung 
die Streikenden vor ein unerschütterliches Entweder- 
Oder. Und es zeigte sich, daß das in der Tat das Richtige 
war. Nach wenigen Tagen war der Ausstand, der einen 
vereinzelten beschämenden Rückschlag in der sonst so 
glänzenden und heldenhaften Haltung unsres Volkes 
darstellt, beendet. Damit fiel Trotzkis letzte Hoffnung, 
nachdem ihm die Ereignisse einer kurzen Woche schon 
die Erfüllung seiner Träume vorgespiegelt hatten, 
gänzlich in sich zusammen. Dank dem raschen Eingreifen 
der deutschen Militärbehörde, die 
die am Streik beteiligten Waffen- 
und Munitionsfabriken sofort unter 
militärische Leitung gestellt hatte, 
blieb auch der Schaden, der unsrer 
Kriegführung dadurch zugefügt 
wurde, auf ein verhältnismäßig 
geringes Maß beschränkt. 
Neben der Enttäuschung, die 
dem russischen Bolschewistenführer 
durch das Fehlfchlagen feiner Er- 
Wartung einer deutfchen Revolution 
bereitet wurde, erfuhr er äuch sonst 
mancherlei, was seine Stellung 
nachgerade bedenklich machte. Die 
Auslösuug des russischen Heeres 
machte weitere Fortschritte. Schon 
Ende Januar veröffentlichte die 
russische Presse ein Telegramm des 
Stabschefs des russischen Ober- 
kommandos, des Generals Bontfch- 
Brujewitsch, das fo bezeichnend ist, 
daß es wörtlich wiedergegeben 
werden muß. Es lautete: 
„Vollkommene Machtlosigkeit. 
Viele Teile der Front sind entblößt. 
Auf der Westfront kommen auf die Werst nur 160 Ba- 
jonette. Die Reserven lösen die Kameraden in den 
Schützengräben nicht ab. Eine ungeheure Zahl erfahre- 
ner militärischer Vorgefetzter ist bei den Wahlen aus- 
geschieden. Der jetzige Bestand an Stäben ist ohne Er- 
fahrung. Stab und Behörden werden in Kürze zu 
arbeiten aufhöre«, da niemand mehr arbeiten kann. 
Generalsstabsoffiziere sind nicht vorhanden. Die Arbeits- 
bedingungen in den Stäben sind entsetzlich. Wirtschaft- 
lich herrfcht vollkommene Auflösung. Ausbildung und 
Ordnung der Truppen ist nichts wert. Ordnung im Heere 
gibt es nicht mehr. Die Befehle werden nicht ausgeführt. 
Desertionen finden massenhaft statt. Beurlaubte kehren 
nicht zurück. Der Zusammenhang ist an vielen Stellen 
zerrissen. Der Bestand an Pferden ist fast vernichtet, 
Befestigungen der Stellungen zerfallen, die Draht- 
hinderniffe sind zur Erleichterung der Verbrüderung und 
des Handels entfernt., Einen Angriff des Feindes aus- 
zuhalten, ist unmöglich. Einzige Rettung des Heeres 
ist Rückzug hinter natürliche Grenzen." 
Man rühmt den großen, genialen Männern der 
KT 
S 
Kosakengeneral Kaledin. 
etwas Unmögliches zu verfolgen fcheinen. Aber diese 
Unmöglichkeit ist eben nur eine scheinbare; in Wahrheit 
sehen solche genialen Männer die Dinge schärfer uud 
richtiger als andre, und das gibt ihrer zähen Beharr- 
lichkeit im Handeln erst die innere Berechtigung. Mit 
den Genies haben auch die Fanatiker und Schwärmer 
das gemein, daß fie auch unter den widrigsten Um- 
ständen den Glauben an sich selbst bewahren; nur stützt 
sich ihr Handeln und Wirken nicht auf überlegene Ein- 
ficht, sondern auf deu fie beherrschenden Wahn. Sie 
glaub eu die Dinge durch unerschütterliches Festhalten 
meistern zu können und dabei nach dem Vorbild des 
Genies zu handeln, aber es fehlt ihnen die innere Frei- 
heit und Überlegenheit des Genies, weil sie in Wirklich- 
keit nicht über, sondern unter den Ereignissen stehen. 
Das zeigte sich auch jetzt bei Trotzki. 
Er verschloß seine Augen vor den 
Merkzeichen, die ihn auf die Fehler 
seiner Berechnungen und Beoh- 
achtungen hinwiesen. Er blieb 
dabei, das Heil allein in dem sana- 
tischen Glauben an den Sieg seiner 
Ideen zu suchen, obwohl ihn die 
Ereignisse täglich hätten belehren 
müssen, daß er das Spiel nicht ge- 
Winnen konnte. Er wich hartnäckig 
dem Drängen nach bestimmten Ab- 
machungen aus, weil er immer 
noch au einen Umschwung glaubte, 
der ihm recht geben werde. Eifrig 
wirkte er auch den Verhandlungen 
der Zentralmächte mit der Kiewer 
Rada entgegen, und zwar dadurch, 
daß er zwei Abgeorduete der 
Sowjetregierung in Charkow unter 
die ruffischen Delegierten aufnahm. 
Er selbst gab eine Erklärung für 
sein Verhalten, indem er durch 
seine Telegraphenagentur von 
Petersburg aus verbreiten ließ, der 
Kampf für ' den Frieden werde 
nicht am grünen Tisch, sondern wahrscheinlich auf den 
Straßen von Wien und Berlin ausgetragen werden. 
Auch die gar nicht zur Verhandlung stehende 
polnische Frage suchte Trotzki in den Bereich der Er- 
örterung zu ziehen. Als von polnischer Seite der Wunsch 
ausgesprochen wurde, daß auch ihre Delegierten an 
den Verhandlungen von Brest-Litowsk teilnehmen 
möchten, beeilte er sich, zwei polnische Sozialisten, die 
bis dahin in Petersburg gewesen waren, als angebliche 
Vertreter dieser Interessen nach Brest-Litowsk zu be- 
rufen. Auch das hatte nur den Zweck, die Verhandlungen 
hinauszuziehen. Nichtsdestoweniger kamen am 1. Fe- 
bruar die Verhandlungen zwifchen den Zentralmächten 
und der Ukraine in Gang, wenn auch immer wieder 
gestört durch die Winkelzüge Trotzkis. 
Wenige Tage fpäter erfuhren die Wirren innerhalb 
des ruffischen Reiches eine neue Steigerung. Mit be- 
sonderer Heftigkeit war der Bürgerkrieg in Finnland 
entbrannt. Das ehemalige Großfürstentum, auf dem 
seit dem Regierungsantritt Alexanders III. die Hand 
der russischen Zaren so schwer gelastet hatte, war wäh- 
Weltgeschichte nach, daß sie ihre großen Erfolge zum rend des Krieges in einer seltsamen Ausnahmestellung 
guten Teil der Zähigkeit und dem Selbstvertrauen ver- gewesen. Seine geographische Lage, innere nationale 
danken, mit dem sie auch dann an ihren Plänen und Gegensätze, sein Verhältnis zu Schweden, gegen das 
Ideen festhalten, wenn sie dem Durchschnittsmenschen noch ein altes Mißtrauen bestand und auf dessen
	        
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