Volltext: 171. Heft 1914/18 (171. Heft 1914/18)

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Aus dem Schaffen hinter der Front. 
Von Major a.D. Otto Romberg, Geschäftsführendem.Direktor 
des Deutschen Hilfsbundes für kriegsderletzte Offiziere. 
Wir kennen alle aus den Grimmschen Märchen die 
dort öfter wiederkehrende Geschichte von dem Soldaten, 
der sich tapfer vor dem Feinde geschlagen hat und bei 
Kriegsende vom Hauptmann mit 3 Kreuzern Wegzehrung 
entlafsen wird. Darin verkörpert fich die Aufsaffung der 
Landsknechtzeit, in der das Heer einen Fremdkörper 
bildete, den man nur ernährte, weil man esumder lieben 
Nachbarn willen mußte, den man aber so schnell als 
möglich ausschaltete, sowie der Friede in das Land kam. 
Der Soldat schlug sich für die Sache, sür die er bezahlt 
wurde, und nur solange, als er ausreichend und nicht 
schlechter als anderswo gelöhnt wurde. Die daraus 
entstehende meist gesinnungslose Freizügigkeit der Lands- 
knechte, die hohe sittliche und nationale Ideale nicht haben 
und verkörpern konnten, in Verbindung mit den Grausam- 
keiten der damaligen Kriegführung, machten die Soldaten 
zu Angehörigen eines gefürchteten, aber verachteten 
Standes. Man trug ihnen gegenüber kein Verant- 
Wortungsgefühl, auch wenn fie im Dienste der Sache und 
in tapferem Kampfe fchwer beschädigt waren. Nur die 
gesunde, seldverwendungssähige Kraft wurde bezahlt. 
Grundlegende Änderungen brachte erst die Auf- 
stellung der Volksheere und die Einführung der allge- 
meinen Wehrpflicht. Da der Staat jetzt die Waffen- 
leistung forderte, so wurde er von Ansang an mit Recht 
als derjenige angesehen, der zunächst die Verantwortung 
für jede bei ihr entstehende Schädigung der Gefundheit 
und der aus ihr herzuleitenden Verminderung der 
körperlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen und bei 
feinem Tode der von ihm wirtschaftlich abhängigen An- 
gehörigen trug. Es war aber natürlich, daß die Ver- 
wirklichung dieser Verantwortung sich im Hinblick auf die 
Staatskasse und die Beanspruchung der Steuerkrast in 
verhältnismäßig engen Grenzen halten mußte. Es war 
daher von Ansang an ganz unmöglich, alle Verluste und 
Schäden in Rentenwerten auszurechnen, die den tatsäch- 
lichen Verhältnissen nur einigermaßen Rechnung tragen. 
Jeder Gesetzesparagraph schasst trotz besten Willens Schran- 
ken, die zu Grenzsällen und Härten führen. Es ist unwei- 
gerlich zuzugeben, daß die beiden großen und stark 
unterschiedenen Gruppen der Offizier- und Mannschafts¬ 
versorgung dem heutigen Heeresersatz — es sei nur an 
die zahllosen Vertreter der deutschen Intelligenz in den 
Reihen des ungedienten Landsturms erinnert — in 
sozialer Beziehung nicht immer voll entsprechen. Auch 
das System der Zusatzrenten wird hierin nur in gewissem 
Maße eine Besserung herbeiführen können. Geld allein 
kann eben nicht helfen. Man kann vaterländifche Leistun- 
gen zahlenmäßig überhaupt nicht erfaffen. Bei ihrer 
Bewertung muß man von dem Recht des Einzelnen auf 
Arbeit im Rahmen der Gefamtarbeit ausgehen. Der 
durch feine Verwundung oder Krankheit aus feinem 
Beruf gedrängte Kriegsbeschädigte muß einem Wirkungs- 
kreise zugesührt werden, der ihn in die Lage setzt, sür 
das Verlorene Ersatz zu sinden und als innerlich zufriedener 
Mensch der Gefamtheit in ihrem nationalen und wirt- 
schastlichen Vorwärtsringen zu Helsen. Die ihres Er- 
nährers beraubten Frauen und Kinder sind, soweit er- 
forderlich, auf den gleichen Weg zu leiten. 
Damit wird der gesamten Nation eine große ver- 
ant w ortungsvoll e Aufgabe zuteil. Ihre Lösung ist in 
Deutschland erfolgreich und tatkräftig eingeleitet. 
Die Arbeit hat bereits feste Wege gefunden, auf 
denen fie weiterschreiten kann. Der Beginn des Krieges 
fah vielen guten Willen und wenig praktisches Können. 
Es ist dem tatkrästigen Eingreifen des Landeshauptmanns 
der Provinz Westfalen zu danken, daß er alle Bestre- 
' bungen innerhalb seiner Provinz in einen festen Rahmen 
fügte. Die Provinz Brandenburg und weiterhin die 
übrigen preußischen Provinzen folgten. Die Kriegs- 
befchädigtenfürsorge wurde zu einer offiziellen Angelegen- 
heit der Provinzverwaltung. Die einzelnen Bundes- 
staaten schufen meist durch die Ministerien des Innern 
amtliche Organisationen, so daß bereits Mitte des Jahres 
1915 das System der heutigen amtlichen Hauptsürsorge- 
Organisationen bestand, das dann im September 1915 
seinen Zusammenschluß im Reichsausschuß sand. In 
dieser Zentralstelle besitzt die Kriegsbeschädigtensürsorge 
ein Organ, welches durch seine zweckmäßige und geschickte 
Zusammensetzung, seine Fühlung mit dem Parlament 
und den Verbänden unseres Wirtschaftslebens besähigt 
ist, einheitliche Richtlinien für das Zusammenarbeiten 
aufzustellen und die Fühlung nach außen ausrecht zu 
erhalten. In 10 Unterausschüssen wird nutzbringende 
Arbeit geleistet. Die einschlägigen Gesetze, insonderheit 
auf dem Gebiet des Militär-Rentenwesens, werden 
durchgearbeitet und auf ihre Ergänzungsnotwendigkeit 
und etwaige Neuaufstellung geprüft. Das neu eut- 
standene Kapital-Absindungs-Gesetz hat von hier aus 
manche nützliche Anregung erfahren. Der Reichs- 
ausschuß sieht es mit Recht als eine besonders wichtige 
Aufgabe an, die Fragen der Ansiedluugs-und Wohnungs- 
fürforge in jeder Weife zu fördern, um so großen sozialen 
Schwierigkeiten nach dem Kriege wirksam zu begegnen. 
Durch eine sehr gut geleitete, wissenschaftliche Zeit- 
schrist „Die Kriegsbeschädigtenfürsorge" werden die maß- 
gebenden Grundfätze und die gewonnenen Erfahrungen 
veröffentlicht. Heilbehandlung, Berufsberatung,' Be- 
rufsäusbildung, Arbeitsbeschaffung und Entlohnung sin¬ 
den ihre planmäßige Bearbeitung. 
Für die Bewältigung der gesamten Tätigkeit stehen 
der Reichsgeschästsstelle des Reichsausschusses, der eine 
Korporation des öffentlichen Rechtes ist, vom Reichstag 
bewilligte Mittel zur Verfügung. Für die Durchführung 
der Arbeit im einzelnen sind die Hauptfürsorgeorganisa- 
tionen zuständig. Sie können ihrer Aufgabe dadurch 
gerecht werden, daß fie lebhafte Unterstützung in den 
verschiedenen Verwaltungskörpern der Provinzen, den 
Städten, Kreisen und Gemeinden sinden. 
Das grundsätzliche Bestreben geht dahin, den Kriegs- 
beschädigten seinem srüheren Beruf wieder zuzuführen 
und unter allen Umständen zu verhindern, daß die Kriegs- 
schäden zum Ausgang unsozialer Wünsche des Einzelnen 
werden. Der heutige Stand der Medizin, insonderheit 
die Krüppel- und Blindenfürsorge, ermöglicht auch 
scheinbar ganz schwierige Fälle zu brauchbarer Arbeit 
zu ertüchtigen. Die Berufsberatung strebt dahin, die- 
jenigen, die ihrem eigentlichen Beruf nicht wieder zu- 
geführt werden können, wenigstens zunächst einem ver- 
wandten Beruf zuzuleiten und erst, wenn auch dieses 
ausgeschlossen ist, einen vollständigen Berufswechsel vor- 
zunehmen. Hierbei wird grundsätzlich vermieden, sog. 
bequeme Posten, Psörtner u. dgl., ohne ganz zwingenden 
Grund an andere als Schwerverletzte zu überweisen. 
Die gesamte Kriegsbeschädigtenfürforge trägt eine hohe 
Verantwortung für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit 
unferes deutschen Volkes und seiner Schlagfertigkeit auf 
dem Kampfplatz des internationalen Wirtschaftslebens.
	        
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