Volltext: 129. Heft 1914/17 (129. Heft 1914/17)

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Die Waldstadt. 
Der Krieg zerstört nicht nur, er baut auch auf. Nicht 
immer liegen Ortschaften, die zur Unterbringung größerer 
Truppenmassen geeignet sind, an der Stelle, wo man 
aus taktischen oder anderen Gründen die Truppe gerade 
haben will. Zumal im dünnbesiedelten Osten ist dies 
sogar meist der Fall. Der Soldat weiß sich zu helfen: 
er baut. So entstehen an den gewählten Stellen oft 
völlig neue Ortschaften. Sie liegen auch abseits jeder 
großen Straße, an einsamen Stellen, wo niemand eine 
menschliche Behausung vermuten dürfte. Je nach der zur 
Verfügung stehenden Zeit sind sie mehr oder weniger 
sorgsam ausgebaut. Da sind große Baracken für die 
Mannschaften, Ställe für Pferde, Schuppen für Fahr¬ 
zeuge, Wohnhäuser für Offiziere, Brunnen, Müll¬ 
gruben, Latrinen, Schmiedewerkstätten errichtet. Ein 
großer Saal dient dem Gottesdienst, daneben wird er 
auch für Festlichkeiten der Kompagnien benutzt oder 
dient ab und zu einem unternehmenden Kientopp als 
Schauraum. Natürlich herrscht in diesen Lagern eine 
peinliche Reinlichkeit und Ordnung, einmal dient dies 
zur Erziehung der Leute, dann aber zur Fernhaltung 
der Seuchen, deren Bekämpfung auch durch Badeanstalt 
verbunden mit „Lausoleum" gefördert wird. Offiziere 
vom Truppendienst überwachen die Sauberkeit, unter¬ 
stützt von den Unteroffizieren vom Kompagniedienst. 
Sogar ein als Feuerwehr gut ausgebildeter „Lösch¬ 
trupp" ist in der Lage, bei Bränden mit einer guten 
Spritze einzugreifen. 
Mit großer Freude rückt nach hartem Kampf und 
Grabendienst die Truppe in das Lager. Die ersten Tage 
werden der Erholung, Reinigung und dem Jnstand- 
setzen der Sachen gewidmet. Allmählich setzt der Dienst 
ein. Es gilt, den nachgestellten Ersatz mit den alten 
Leuten zusammenzuschweißen, die etwas verlorenge¬ 
gangene Haltung und Strammheit auf die alte Höhe 
zu bringen, die Führer aller Grade spielen sich und die 
Truppe in größeren Übungen für den immer im Auge 
zu behaltenden Bewegungskrieg ein. Aber auch die 
weitere Ausbildung im Stellungskampfe kommt nicht 
zu kurz; drüben zu beiden Seiten des Baches sind zwei 
einander gegenüberliegende Linien vollständig als neu¬ 
zeitliche Schützengräben mit allen Feinheiten ausgebaut. 
Dort üben sich die Stoßtrupps, Handgranaten und Minen 
werden geworfen, ab und zu wird ein vollkommener 
Sturmangriff so lange durchgeprobt, bis alles sitzt. Nicht 
weit davon hallt vom Schießstand der einsörmige Knall 
des Schulschießens: die schlechten Schützen werden ge¬ 
fördert, die guten in Übung gehalten. Am Rande des 
Übungsplatzes werden an Turn- und Sturmgerüsten 
die Glieder geschmeidig gemacht, dort am Reck tagt sogar 
in den dienstfreien Nachmittagstunden der Turnverein 
„Deutsche Eiche"; zahlreiche Zuschauer liegen rings¬ 
herum im sonnigen Grase, bekritteln die Turner und 
spenden bei besonders gelungenen Leistungen lauten 
Beifall. Auch in der Badeanstalt im nahen See herrscht 
reges Leben, das Ufer ist besetzt mit stillen Anglern, dem 
Feldgrauen ist dies unstreitig die liebste „Tätigkeit". Plötz¬ 
lich rennt alles am Ufer zusammen, ist dort jemand ins 
Wasser gestürzt? Nein, aber „Emil" hat einen Hecht 
gefangen statt des sonst üblichen Weißfisches. Alles 
will die seltene Beute sehen, und der aufgeregte, glück¬ 
liche Fischer setzt den Zuhörern ganz genau auseinander, 
wie der Hecht gebissen, wie er aber rasch „angehauen" 
und ihn kunstgerecht „gelandet" hat. Maxe hat noch ein 
bißchen Butter im Kochgeschirr, Salz ist auch zur Hand, 
und fünf Minuten später schmurgelt der über den raschen 
„Stellungswechsel" sicher sehr erstaunte Hecht bereits 
auf dem schnell entfachten Feuer. Brüderlich wird er 
dann geteilt, und nun geschieht etwas erstaunliches: der 
Hecht wächst — wenigstens in den Erzählungen — sehr 
schnell, der eben noch zwei Hand lange hat am Abend die 
Länge des Unterarms, in einigen Tagen die des ganzen 
Arms erreicht, nach Monaten gehörten schon drei Mann 
dazu, um ihn heraus zu ziehen — „Maxe war bei, nicht 
wahr, Maxe?" —, Maxe nickt bejahend. „Ja, damals, 
das war noch fein im Lager, da lebte man mal auf 
nach dem langen Dienst im Schützengraben!" Incus. 
❖ * 
Der rumänische Winter. 
(Ans einem Feldpostbriefe.) 
...... Ende Januar 1917 kamen wir an die Sereth- 
front. Inzwischen hatte hier der rumänische Winter mit 
Eis- und Schneestürmen eingesetzt, wie ihn die ältesten 
Leute sich nicht entsinnen können, erlebt zu haben. Drei 
Tage Märsche im Schneesturm durch unabsehbare Schnee¬ 
wüsten ohne Baum und Strauch, wir alle im Gänse¬ 
marsch hintereinander, vollständig überkrustet von Eis. 
Der Kassee in der Feldslasche und das Brot gefroren. 
Am Bestimmungsort angekommen, wurden wir so gut 
es ging untergebracht, doch konnte man nachts ost vor 
Kälte nicht schlafen. Die Stiesel blieben hart gefroren, 
so daß wir uns darauflegen mußten, um sie aufzutauen. 
Das Schlimmste war dann der Ausbau der Stel¬ 
lungen in Schnee- und Eissturm, doch mußte es geschasst 
werden. In frühester Morgenstunde bei Dunkelheit 
herunter von unserm harten Maisstroh, um ungesehen 
von der russischen Artillerie die etwa 17a Stunden 
entsernte Stellung zu erreichen, an der wir arbeiteten. 
Der tiefe Schnee ist leicht überfroren. Durch das dauernde 
Durchtreten der Eiskruste biegen sich die Sohlen vvrn 
nach oben und frieren fo hart, daß den ganzen Tag die 
Zehen schmerzhaft nach oben gerichtet sind. Der Kaffee 
ist in einer Stunde ein Eisklumpen in der Feldflasche, 
das Brot hart gefroren. Es knirscht und schmeckt wie 
Schnee, und die Lippen bluten, wenn man hineinbeißt. 
Warmes Essen heranzuführen oder sich am Feuer die 
erstarrten Glieder zu wärmen, ist während des ganzen 
Tages unmöglich. Über das völlig ebene Gelände rast 
der Sturm mit ungeschwächter Kraft; der Schnee, die 
Eisnadeln dringen durch den Kopfschützer bis auf die Haut. 
Mit Picke und Schaufel wird gearbeitet, und es ist gut, 
daß das Blut dabei in Bewegung gerät. Wenn die Füße 
abzusterben beginnen, wird im Schnee herumgerast.. 
Der Russe schießt mit schwerem Geschütz; zur Seite, 
wo die Gefchofse einschlagen, steigen Schneesäulen auf. 
Wir selbst werden aber nicht belästigt 
So ging es Tag für Tag, bis ich nach einiger Zeit 
wegen einer schmerzhaften Erkrankung ins Lazarett 
zurückgebracht wurde. Ein Bett — Waschwasser — ja 
sogar Bücher — ich fühlte mich wie im Paradiese, trotz 
meiner Schmerzen. Als ich geheilt war, erhielt ich eine 
andre Bestimmung, auch hier tat ich Dienst im Freien 
und erlebte Ende Februar abermals schwere Wintertage. 
Der Schneeftnrm begrub die Bahn, so daß der Verkehr- 
drei Tage unterbrochen war. 
Jetzt scheint ja nun der Frühling zu kommen. Den 
rumänischen Winter aber werde ich nie vergessen. Er 
war grimmiger, als ich ihn je in unserm nordischen 
Klima erlebt habe."
	        
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