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Bastian Sclimid
Von den gewaltigen Problemen, die in sinnfälliger Ballung kulturell wie
sozial, vielleicht auch politisch zur Entfaltung und Auswirkung bestimmt sind,
seien nur einige hervorgehoben. Da ist in erster Linie die Jugendpflege zu erwähnen,
den Begriff im weitesten Sinne, in seiner physischen wie psychischen* Fundamen
tierung genommen, angefangen von dem Schutz von Mutter und Kund und den
Fürsorglichkeiten, wie die planmäßige und ausreichende Schaffung von Kinder
horten, Ferienkolonien, Suppenanstalten (Speisungen), bis zur freien Jugend
bewegung, namentlich im nachschulpflichtigen Alter bis zu den immer dringender
werdenden Forderungen der Jugendfürsorge sittlich gefährdeter und straffälliger
Jungen. Sodann drängen die Frage der körperlich-militärischen Erziehung und
die Einheitsschule nach Lösung. Letztere ist eine Schule mit breitester Basis,
die keinen Rangunterschied kennt, sondern nur nach Begabung wertet und den
Aufstieg der Begabten im Sinne einer natürlichen Auslese anstrebt 1 ). Dringlich
ist auch die Frage der Wiederaufnahme des vielfach durch den Krieg unterbrochenen
Studiums. Das alles sind Hauptfragen schwerwiegender Art, die mit hunderten
von Spezialfragen verwoben sind, die zu einem großen Teil auf das politische Gebiet
hinübergreifen und dort je nach Lebensanschauung, Parteistellung und Stand
eine verschiedene Beurteilung finden. Was diese Probleme verbindet, ist die Dring
lichkeit ihrer Lösung. Zu diesen Fragen kommen noch eine Reihe anderer, wie sie
sich schon seit ein paar Jahrzehnten herumwälzen, so die tatsächliche Gleich
wertung der drei höheren neunklassigen Schulgattungen oder die Einjährigenfrage.
Welche Bedeutung man diesen Dingen in der Volksvertretung beilegt, zeigt
der Umstand, daß der Hauptausschuß des Reichstages eine Resolution annahm,
die sich an den Reichskanzler mit dem Ersuchen wendet:
„Nach Beendigung des Krieges Vertreter der staatlichen und gemeind
lichen Schulverwaltungen, der pädagogischen Theorie und Praxis und der Schul
politik sowie andere geeignete Sachverständige zu einer Reichsschulkonferenz
zusammenzuberufen, die im Hinblick auf die Kriegserfahrungen die Gesamtheit
der pädagogischen, schulgesetzlichen und schulorganisatorischen Fragen zu
beraten und sich gutachtlich darüber zu äußern hat.“
Nun gibt es außer den oben berührten Fragen speziellere, auf dem Gebiete
des Unterrichtes liegende, die aber von einschneidender, kultureller Bedeutung
sind. Dahin gehören die zum Schlagwort gewordenen Begriffe: humanistische und
realistische Bildung, dahin die sich mit dieser Scheidung nicht erschöpfende Betonung
der Naturwissenschaften im Unterrichte. Speziell diese Frage ist es, die uns hier
ausschließlich berührt.
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In seiner Abschiedsvorlesung (1900) sprach der berühmte Wiener; Gelehrte
E. von Sueß die bemerkenswerten Worte:
„Im Laufe dieser 44 Jahre hat sich vieles auf der Erde zugetragen, aber
nichts ist so durchgreifend, nichts für die gesamte Kultur des Menschengeschlech-
x ) Vgl. hierzu: Für und wider die allgemeine Volksschule v. R* Seyfert und F. W. Foerster.
(Das neue Deutschland in Erziehung und Unterricht.) Leipzig, Veit & Co. 1918.