W ohin man blickt, hat der Weltkrieg Unerwartetes und Ungewohntes mit sich
gebracht. Zu diesen Überraschungen dürfte wohl auch für viele zählen, daß
die scientia amabilis, die Botanik, Kriegsbedeutung gewonnen hat. Allerdings, die
Botanik von heute ist nicht mehr nur jene liebliche Wissenschaft, die Goethe am
Karlsbader Sprudel im Kreise schöner'Frauen trieb und die Rousseau eine Trösterin
auf seinen einsamen Wanderungen war. Die Ergebnisse ihrer Forschung haben
schon im Frieden tief in das praktische Leben eingegriffen. Die Kenntnis vom Bau
und Leben der Pflanze ist bestimmend geworden für Landwirtschaft und Forstkultur.
Besondere Teilgebiete, wie die Lehre von der Pflanzenzüchtung und die von den
Pflanzenkrankheiten, haben uns schon im Frieden mit zu dem Kulturpflanzenbestand
verholten, welcher uns heute im Kriege die so außerordentlich wichtige wirtschaftliche
Unabhängigkeit gewährleistet hat. Die pflanzliche Warenkunde und Rohst off lehre
ebenso wie die Lehre von den pflanzlichen Nahrungs- und Genußmitteln haben
schon im Frieden die Arbeiten vorbereitet, welche, wie wir sehen werden, im Kriege
zu leisten waren. Die Mikrobiologie oder die Lehre von den pflanzlichen und tierischen
Kleinlebewesen hat viel zu den Erfolgen beigetragen, welche während dieses Krieges
im Kampfe mit den zahlreichen kleinen Feinden des Menschen, den Bakterien, erzielt
wurden. Und zu den ältesten botanischen Wissenschaftszweigen zählt die Phar
makognosie, die Lehre von den Heilpflanzen, deren Bedeutung für den Krieg
jedermann verständlich sein dürfte. Wir wollen nun versuchen, ein kurzes Bild
davon zu entwerfen, welche Stellung der Botanik in ihrer Gesamtheit zum Kriege
zukommt, und welche Rolle die Pflanze in diesem Kriege spielt.
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Das, was uns in diesem Kriege nächst den Entbehrungen und Opfern an
der Front am meisten trifft, was uns den Sieg am ehesten in Frage stellen sollte,
ist der Mangel an Nahrungsmitteln und Rohstoffen der verschiedensten Art, zu
einem sehr großen Teil aber Stoffen aus der Pflanzenwelt. Jedem, der diese Kriegs
zeit miterlebt hat, wird diese Seite des Krieges dauernd in Erinnerung bleiben.
Abgeschnitten von fast der ganzen Zufuhr der Welt müssen die*Zentralmächte
mit dem auskommen, was ihnen der Boden ihrer Länder bietet. Neben der ver
nünftigen Einteilung und Rationierung ist da naturgemäß das oberste Gebot:
Steigerung und Ausnutzung des Vorhandenen.
Wie zu diesem Ziel die Botanik schon im Frieden mitgewirkt hat, wollen wir
zunächst kurz rückblickend betrachten.
Wollen wir die Pflanzen rationell anbauen und einen möglichst hohen Er
trag von einer bestimmten Anbaufläche erzielen, so müssen wir die Lebensbedin
gungen und Eigenschaften der zu kultivierenden Pflanzen möglichst sorgfältig