Krieg und Völkerkunde
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ein. Absehen können wir hier von den zahlreichen, oft starken Kolonien fremder
Völker, wie Rumänen, Armenier, Bulgaren, Türken, Griechen u. a., die namentlich
in Südrußland sitzen.
Von der nationalen Bewegung, die die Fremdvölker Rußlands durchdringt,
gibt vor allem die tatarische, georgische und armenische Presse Andeutungen.
Eine wichtige, in ethnographischer und geschichtlicher Hinsicht schwerwiegende
und aufschlußreiche Kundgebung ist der gemeinsame Aufruf der Fremdvölker,
der unter dem Titel ,,Kennen Sie Rußland ?“ erschienen ist. Eine Ergänzung dazu
bietet die kleine Schrift von Ostmann. Reich an völkerkundlichen Angaben ist
auch die Darstellung der westrussischen Völker in P. Rohrbachs und M. Serings
vortrefflichem Buche, das Finnland, die baltischen Provinzen, Litauen, Polen und
die Ukraine berücksichtigt.
Wir wenden uns nun — nach den oben angedeuteten Gruppen — den einzelnen
Fremdvölkern Rußlands zu. Hingewiesen sei zunächst auf die Stellung der Deut
schen in Rußland. Am staatlichen Aufbau und an der Kultur Rußlands haben sie
seit 200 Jahren einen entscheidenden Anteil gehabt. Gerade diese Tatsache ist die
Ursache des Deutschenhasses in Rußland, wie es der bekannte Historiker Paul
von Mitrofanov in einem Aufsatz in den „Preußischen Jahrbüchern'‘ 1914 offen
dargelegt hat. Es ist hier ein Problem der Zukunft auf getreten, worüber die hier
genannten Schriften zur Orientierung dienen mögen. Besonders J. Hellers wert
voller Aufsatz verdient Beachtung.
,,Kennen Sie Rußland ?“ Herausgegeben von der Liga der Fremdvölker Rußlands. Berlin 1916.
Ekkehard Ostmann, Rußlands Fremdvölker, seine Stärke und seine Schwäche. München 1915.
P. Rohrbach und M. Sering, Westrußland und die mitteleuropäischen Interessen. Leipzig 1917.
Kurt Stevenhagen, Die Kriegsziele des Großrussentums und der Fremdvölker Rußlands. Char
lottenburg 1916.
Leon Wasilewski, Die nationalen und kulturellen Verhältnisse im sogenannten Westrußland. Wien
1915. (Behandelt Litauer, Letten, Weißrussen, Polen, Ukrainer, Juden.)
M. H. Boehm, Die Krisis des deutsch-baltischen Menschen. Berlin 1914.
H. v. R., Das Deutschtum in Rußland. Berlin 1915.
Gust. Roloff, Deutschland und Rußland im Widerstreit seit 200 Jahren. Stuttgart 1914.
Carl Cesar Eiffe, Zwei Millionen Deutsche in Rußland. München 1915.
J. Heller, Die Deutschen in Rußland. (Süddeutsche Monatshefte 1915, Juli.)
2. Die Polen.
Unter den Fremdvölkern Rußlands stehen an Zahl und geschichtlicher Be
deutung bei weitem an erster Stelle zwei slawische Völker, die den Westslawen ange
hörenden Polen und die der ostslawischen Völker gruppe zugehörigen Kleinrussen
oder Ukrainer, deren ethnische und sprachliche Selbständigkeit neben den Groß
russen heute lebhaft verfochten und auch wohl anzuerkennen ist.
Dem oft betonten Bedürfnis, das Polentum und seine Kultur wirklich
kennen zu lernen, wird ein glänzend hervortretendes Unternehmen dienen, die
von A. v. Guttry und M. v. Koscielski herausgegebene „Polnische Bibliothek“.
Die reiche Literatur über Polen dient zumeist den politischen Fragen, doch finden
sich in einigen geschichtlichen Schriften auch Erörterungen über das polnische Volks
tum und seine Kultur. Als Hauptwerk ist die ausgezeichnete Geschichte Polens von