Volltext: Kriegsbilder aus den Hochalpen

176 Adolf Deye 
letzten , hohen , burgartigen Gipfelaufschwung . Allseits stürzt er in senkrechten , ab - weisenden Mauern ab , wodurch dem kletterfrohen Angreifer cüle Freuden gewährleistet werden , die in Kgminen , Bändern , Überhängen und Rissen der Erfüllung harren . 
Soll ich nun von der „ schmalen Leiste " erzählen , mit deren Hilfe ich in die untere Wandhälfte einstieg und von der „ Felskanzel " , die , „ über abgründige Tiefe hinaus - gebaut " , mir zum willkommenen Rastplatz wurde ? Diese immer wiederkehrenden Redewendungen , die den Reiz der landläufigen Kletterfahrt schildern sollen , mögen mir und dem Leser erspart bleiben . Für mich war jene „ Crstersteigung " mehr als eine solche . Sie war mir mit den Bergen und alter Bergbegeisterung ein Wieder - sehen und Wiedererkennen . ! lnter dem Zwange der Pflichterfüllung war mein Blick für das eigentliche Wesen der Berge getrübt worden und ich dachte daran , wie es gleich mir vielen anderen gegangen war , die ehemals jede freie Zeit in den Bergen verbrachten und nun davon sprechen , wie sie es anstellen werden , um ihnen im Frieden möglichst ferne zu bleiben . In jener stillen Stunde , im schwierigsten Aufwärtsringen durch die drohend - ernsten Schieferwände , erkannte ich alles das wieder , was uns früher an die Bergwelt gefesselt hatte und von dem der echte Gläubige sich nimmer frei machen kann , so lange er lebt und hofft . Denn ein immerwährendes Hoffen verleiht unserem Leben seine notwendigste Kraft und dieses Hoffen und den Glauben an den richtigen Weg schöpfen wir aus den Bergen immer wieder von neuem ; ob wir uns auch der Erfüllung nähern oder nicht , das gilt uns gleich , denn für uns ist Kämpfen und Streben seliger , als eine Erfüllung , über die wir nicht mehr hinauskönnten . 
In später , feierlicher Nachmittagsstunde erreichte ich den weitragenden Scheitel meines Gipfels . Gerade klangen die dumpfen Donnerschläge des um diese Zeit ge - wohnten Geschützfeuers aus dem Kampfgebiet herüber , als ich einen dauerhaften Steinmann baute . Nicht weit , ein Nachbargipfel , grüßte der steile , breite Firndom der Presanella , um mich zu erinnern , daß ich vor wenigen Tagen dort oben den Ent - schluß zur heutigen Ersteigung gefaßt hatte . 
In einer leeren Sardinenbüchse verwahrte ich unter dem Steinmann eine postkarte , auf die ich folgende Worte schrieb : „ Am 29 . August 1916 bestieg ich als erster diesen schönen Gipfel und benenne ihn in heimatlichem Gedenken und zu Ehren der Sektion „ Baherland " des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins „ Bayer - länderspitze " . Das Donnern der Geschütze und Maschinengewehre am nahen T . . . - Passe gibt den feierlichen Salut zu dieser Taufe . " 
Bis zur Neige des Tages verharrte ich auf der aussichtsreichen Hochwarte . Beiin Abstieg fand ich von der Scharte unter dem Gipfelturme einen näheren Weg ins Tal und zwar unmittelbar zu dem erwähnten , kleinen Hängegletscher . 
Spät wanderte ich über die duftenden , nächtigen Weiden des P . - Tales hinaus zu meinem Standort . Der vergangene Tag hatte mich wieder ganz zum Bergsteiger ge - macht und seither bin ich , trotz mancher gegenteiligen Meinung , der Ansicht , daß sich der Alpinismus auch nach diesem furchtbarsten Kriege nicht überlebt haben wird . Viel - leicht wird sich die Zahl seiner Jünger vermindern — doch das kann uns nicht an - fechten , denn es sind nur faule Früchte , die abfallen . 
Wohl ist verständlich , daß mancher Wackere , der unter den schweren Verhältnissen und Eindrücken des Krieges durch viele Monate auf einer abgelegenen Gipfelstellung aushalten mußte , beim Geläute der Friedensglocken gerne wieder ins Tal steigen wird . Nicht lange aber und es werden auch in seinem Gedenken wieder die Bilder von jenen langentschwundenen Feiertagen aufsteigen , da er mit den Bergen sein Bündnis schloß . Sie haben es ihm treulich gelohnt , denn sie gaben seinem Leben tieferen Gehalt und jene Richtung , die ihn in den Tagen vaterländischer und alpenländischer Not zum Schützer seiner Hochburgen und Zwingherrn welscher Niedertracht bestellte .
	        
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