Volltext: Dur und Moll aus dem Schulleben 1. Bändchen (1. Bändchen / 1918)

so kam die ganze Gesellschaft verspätet in die Schule 
und wurde verdientermaßen mit einem Donnerwetter 
empfangen. Besonders gegen den Spätling, der sich als 
Letzter in die Klasse geschlichen hatte, richtete sich der Unmut 
des Lehrers. Nachdem jeder der Sünder zum Nachsitzen 
verurteilt worden war, schrie der Lehrer den Zuletztgekom 
menen noch an: „Und wie siehst denn du aus? Deine 
Hose ist ja über dem Knie zerrissen! Na, du mußt auch 
eine schöne Mutter haben, daß sie dich so in die Schule 
gehen läßt!" 
Der Knabe wurde kreidebleich. Daß der Lehrer sein 
Zuspätkommen in so strengen Worten rügte, das mußte er 
ertragen, aber die Mutter hätte er aus dem Spiele lasten 
sollen. Die Hose hatten vor ihm schon alle älteren Brüder 
getragen und es war nicht zu verwundern, daß sie dem 
vorangegangenen tollen Springen nicht mehr standgehalten 
hatte. Der unschuldigen Mutter, die die Kunst verstand 
und übte, aus alten Kleidern immer neue zu machen und 
die jeden Flick und Fleck dazu verwandte, war bitter unrecht 
getan. •— Der Lehrer hat den Vorfall vielleicht schon andern 
tags vergessen, der Schüler aber heute noch nicht, denn es 
ist der Mann daraus geworden, der nun, nach 40 Jahren, 
diese Geschichte niedergeschrieben hat. 
Die gebesserte Schülerin. 
Noch ein anderes Erlebnis fällt mir ein, das ebenfalls 
einem denkenden Lehrer zur Mahnung dienen kann, den 
Spruch zu beherzigen: 
Es ist so schnelle wehgetan und gutgemacht so schwer. 
Als ich vor 25 Jahren meinen neuen Posten in J 
antrat, führte mich der Schulleiter, wie dies üblich ist, in 
die Klasse ein. Es war eine sehr starke Klasse — über 
80 Kinder — und so glaubte der Schulleiter recht zu tun 
und es war sicherlich recht, mir ein sehr strenges Regiment 
empfehlen zu sollen. Der Schlußsatz seiner Rede aber war 
entschieden verfehlt, indem er sagte: „Auf eine Schülerin 
mache ich Sie besonders aufmerksam. Es ist die N. N. hier 
in der ersten Bank. Bei der werden Sie wohl nichts aus 
richten, denn sie lügt, so oft sie den Mund auftut.7 Damit 
reichte mir der Schulleiter die Hand und ging.
	        
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