Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Das Empörende an diesem Schriftstück war, daß 
es die Dinge geradezu auf den Kopf stellte. Die 
Verbandsmächte erschienen in ihm als die ruchlos 
Angegriffenen. Der Überfallene sollte, weil er das 
Verbrechen begangen hatte, sich zu wehren, Genug- 
tuung leisten. Die griechische Regierung war aber 
zu schwach zum Widerstand. Er hätte die Vernich- 
tung Athens und fast des ganzen Volkes zur Folge 
gehabt; darum antwortete sie am 15. Dezember: 
„Vom Wunsche geleitet, nochmals einen Beweis der freund- 
schcistlichen Gefühle zu geben, von denen sie gegenüber den 
Entente-Mächten beseelt ist, stimmt die königliche Regierung 
den in der gestrigen Note enthaltenen Forderungen zu. Sie 
hat befohlen, daß Verschiebungen von Truppen- und Kriegs- 
Material, die in der dem Ultimatum beigefügten „technischen 
Note" umschrieben sind, schon heute beginnen und gemäß den 
Anordnungen der erwähnten Note möglichst schnell beendigt 
werden. Eine Truppenbewegung gegen Norden hat nicht statt- 
gefunden. Die Wegführung des Kriegsmaterials nach dieser 
Richtung wird sofort aufgehoben werden. Was die Frage 
einer Genugtuung für die unglücklichen Vorgänge am 1. De- 
zember betrifft, wobei wider alles Erwarten Zusammenstöße 
zwischen griechischen Soldaten und Ententetruppen stattgefunden 
haben, so bezieht sich die Königliche Negierung auf ihre Er- 
klärungen im vorgestern übergebenen Memorandum, woraus 
der feste Wille hervorgeht, jede loyale Genugtuung zu leisten; 
sie spricht zugleich die Hoffnung aus, die Ententemächte möchten 
auf ihre Beschlüsse über die Weiterführung der Blockade der 
griechischen Küste und Inseln zurückkommen. Diese Beschlüsse 
lasten schwer auf den guten Beziehungen zwischen den Alliierten 
und Griechenland und beeinflussen die öffentliche Meinung 
des Landes. Möchten sich die Mächte davon überzeugen, daß 
die beste Garantie für die Ausschließung jedes Mißverständnisses 
für die Zukunft im starken, aufrichtigen Wunsche der Königlichen 
Regierung und des griechischen Volkes liegt, die traditionellen 
ausgezeichneten Beziehungen zum Vierverbande baldmöglichst 
wiederhergestellt und fester geknüpft zu sehen zu enger Freund- 
schaft, die auf gegenseitigem Vertrauen gegründet ist." 
Es kam noch schlimmer. Am 31. Dezember unter- 
Zeichneten die Gesandten Englands, Frankreichs und 
Rußlands ein Ultimatum, das von der Königlichen 
Regierung in Athen forderte: 
Bürgschaften. 
1. Die griechischen Streitkräfte auf dem griechischen Fest- 
lande und im allgemeinen in allen Gebieten außerhalb des 
Peloponnes werden auf denjenigen Mannschaftsstand herab- 
gesetzt, der unumgänglich nötig ist für den Ordnungs- und 
Polizeidienst. Alle Waffen und Munition, welche das diesem 
Stande entsprechende Maß überschreiten, weiden nach dem 
Peloponnes gebracht, wie auch alle Maschinengewehre und 
die gesamte Artillerie des griechischen Heeres mit ihrer Muni- 
tion, so daß nach Beendigung der Überführung außerhalb des 
Peloponnes weder Kanonen, noch Maschinengewehre noch 
Material verbleiben. Die Fristen für die Ausführung werden 
im gemeinsamen Einvernehmen festgesetzt, sobald die griechische 
Regierung die Truppen- und Materialverschiebungen im Grund- 
satz angenommen hat. 
Die so geschaffene militärische Lage bleibt so lange bestehen, 
als die alliierten Regierungen es für nötig halten, und zwar 
unter Überwachung besonderer Delegierter, die von ihnen 
für diesen Zweck bei den griechischen Behörden beglaubigt 
werden. 
2. Verbot aller Vereinigungen und Versammlungen von 
Reservisten in Griechenland nördlich von der Landenge von 
Korinth. Strenge Durchführung des Verbots für alle Zivil- 
Personen, Waffen zu tragen. 
3. Wiederherstellung der verschiedenen Aufsichtsbefugnisse 
der Alliierten in einer Form, die im Einvernehmen tritt der 
griechischen Regierung hergestellt wird, um sie so wenig lästig 
wie möglich zu gestalten. 
Genugtuung. 
4. Alle aus politischen Gründen, wegen Hochverrats, Ver- 
schwörung, Aufruhrs und ähnlicher Dinge Festgehaltenen sind 
sofort freizulassen. Diejenigen, welche infolge der Ereignisse 
vorn 1. und 2. Dezember und der folgenden Tage ungerechter- 
weise gelitten haben, werden nach einer Untersuchung, welche 
im Einvernehmen zwischen der griechischen Regierung und den 
Alliierten geführt wird, entschädigt. 
5. Der Kommandierende General des 1. Armeekorps soll 
abgesetzt werden, sofern nicht die Königliche Regierung zur 
Genugtuung der alliierten Regierungen festsetzt, daß diese Maß- 
regel auf einen anderen General angewandt werden soll, auf 
den die Verantwortung für die am 1. Dezember aeaebenen 
Befehle fiele. 
6. Die griechische Regierung soll dem Gesandten der Alli- 
ierten förmliche Entschuldigungen überreichen. Die englische, 
die französische, die italienische und die russische Flagge sollen 
auf einem öffentlichen Platz in Athen in Gegenwart des 
Kriegsministers und der versammelten Garnison feierlich 
salutiert werden. 
Nur eine Regierung, der das Messer an der Kehle 
saß, konnte solche Zumutungen annehmen. Besonders 
schmachvoll war das Ansinnen, die verhafteten Veni- 
zelisten loszulassen und auch noch zu entschädigen, 
denn Venizelos war von der griechischen Regierung 
als Hoch- und Landesverräter geächtet, vom Metro- 
politen Athens öffentlich verflucht worden. Er war, 
wie der Urheber alles Elends, das Griechenland be- 
troffen hatte, so auch der Anstifter der Unruhen in 
Athen. 
Am 11. Dezember hatte die Regierung einen seiner 
Briefe veröffentlicht, der in ihre Hände gefallen 
war, und aus dem das deutlich hervorging. Wäre 
der Griechenkönig ein von romantischen Gedanken 
erfüllter Mann gewesen, so hätte er wohl meinen 
müssen, es sei ehrenvoller, die schandbaren Anträge 
der übermächtigen Räuber abzuweisen und dann mit 
den Waffen in der Hand ritterlich kämpfend unter- 
zugehen, aber er war kein Ritter, sondern ein nüchtern 
erwägender Staatsmann, und außerdem wußte er, 
daß sein Untergang als ritterlicher Held ein Volk 
von mehreren Millionen Menschen mit in den Ab- 
grund gerissen hätte. Darum gab er nach und unter- 
zeichnete die Annahme des Ultimatums. In einem 
Briefe an den Präsidenten Wilson stellte er alles zu- 
sammen, was Griechenland bisher an Vergewaltigungen 
erlitten hatte und erbat Vermittelung gegen die Mächte, 
die angeblich den Krieg zum Schutze der kleinen Na- 
tionen führten. Er täuschte sich über die Wesensart 
und die Absichten des wiedergewählten Oberhauptes 
der Vereinigten Staaten ebenso gründlich, wie sich 
die deutschen Staatsmänner von Anbeginn des Krieges 
in ihm getäuscht hatten und noch täuschten. Wilson 
fand kein Wort der Entrüstung über die Quälerei 
des kleinen Volkes, das nur mißhandelt wurde, weil 
es in Frieden leben wollte. Auch die öffentliche Mei- 
nung seines Landes zwang ihn nicht zu einer Kund- 
gebung gegen die Raubmächte; was England tat, 
erschien den Amerikanern als recht und gut, oder sie 
taten wenigstens so, denn an England verdiente die 
amerikanische Großindustrie ungeheure Summen, und 
wenn England nicht siegte, so verloren die amerika- 
nischen Bankhäuser ihr schweres Geld. Und so gebot 
denn der allmächtige Gott Dollar seinen Söhnen, 
den Dankees, daß sie zu allem Unrecht Englands Ja 
und Amen sagen mußten. 
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