Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

densvertrag" ging so weit darin, daß die Patente, die 
Deutsche in den Ententeländern erworben hatten, hin- 
fällig waren, während umgekehrt die Patente (Lizenzen) 
der Ententegenossen in Deutschland in Geltung bleiben 
sollten. So wmde sogar das geistige Eigentum der 
Deutschen für vogelfrei erklärt. Für alle Waren, die 
aus den Ententeländern nach Deutschland und durch 
Deutschland geführt werden würden, mußte Deutsch- 
land die Meistbegünstigung zusagen, sich also in 
Hinsicht auf spätere Handelsverträge von vornherein 
die Hände binden lassen. Auch dem Auswanderer- 
verkehr der Zukunft durfte es keine Schwierigkeiten 
in den Weg stellen usw. 
Damit nun die Unterworfenen niemals in die 
Lage kämen, gegen diese Bestimmungen dereinst re- 
bellieren zu können, wurde die deutsche Militärmacht 
völlig zerschlagen. Luftschiffe und Seefahrzeuge sollten 
ausgeliefert werden bis auf einen geringen Rest, der 
Deutschland nicht einmal zu einem Seekriege mit 
Dänemark oder Norwegen die Kräfte lassen sollte. 
Alle Seebefestigungen mußten geschleift, der Kieler 
Kanal den Schiffen aller Nationen geöffnet werden. 
Zu Lande sollte Deutschland nur 100000 Mann 
Soldaten halten dürfen, eine Polizeitruppe, die kaum 
genügen konnte, bei unruhigen Zeiten die Ruhe im 
Innern zu schützen. Damit aber Deutschland nicht 
wie Preußen in den Jahren 1807—1813 durch das 
Krümpersystem ein Heer ausbilde, sollten die Sol- 
baten dieses „Heeres" geworbene Söldner sein, die 
sich zu 12 jähriger Dienstzeit verpflichten mußten. 
Die Offiziere sollten vor dem 45. Lebensjahre den 
Dienst nicht verlassen dürfen. Selbst die Zahl und 
Art der Geschütze und Gewehre, mit denen das 
deutsche Heer ausgerüstet sein durfte, war genau 
vorgeschrieben. 
Deutschland sollte also verkleinert, wirtschaftlich halb 
erdrosselt und auf immer wehrlos gemacht werden. 
Aber damit war der Haß Englands und die Rachsucht 
Frankreichs noch nicht befriedigt. Das deutsche Volk 
sollte nicht nur arm und elend gemacht, es sollte 
auch aufs tiefste entwürdigt werden. Seine Regie- 
rung sollte durch ihre Unterschrift anerkennen, daß 
Deutschland und seine Verbündeten die allein Schul- 
digen am Ausbruche des Krieges seien, und daß sie 
ihn in ungerechter, unmenschlicher Weise geführt 
hätten. Sie sollte ihre Zustimmung dazu geben, 
daß „Wilhelm II. von Hohenzollern, vormaliger 
Kaiser von Deutschland", vor einem Gerichtshöfe ab- 
geurteilt werde, der aus je einem Amerikaner, Eng- 
länder, Franzosen, Italiener und Japaner zu bilden 
iei. Die Anklage solle lauten auf „schwerste Ver- 
letzung der internationalen Sittengesetze und Heilig- 
keit der Verträge". Die deutsche Regierung sollte ferner 
alle Personen den alliierten und assoziierten Mächten 
zur Bestrafung ausliefern, die ihr bezeichnet würden auf 
Grund der Anklagen, sich gegen die Gesetze und Ge- 
brauche des Krieges vergangen zu haben. — 
Als diese Bedingungen in Deutschland bekannt 
wurden, gingen Schrecken und Entsetzen durch das 
Volk, und es schien, als ob sogar diese Regierung und 
Nationaloersammlung eines heroischen Entschlusses 
fähig wäre. Aber es schien nur so. Der Vertrag wurde 
nicht abgelehnt und dem Feinde nicht erklärt: Macht 
was ihr wollt — unsere Schande unterschreiben wir 
nun und nimmermehr! Vielmehr suchte die deutsche 
Regierung durch Verhandlungen in Versailles bei 
dem Führerrat der feindlichen Großmächte Milde- 
rungen und Änderungen der Bestimmungen durch- 
zusetzen, aber trotz der nicht unbedeutenden Geschick- 
lichkeit ihres Führers, des Grafen von Brockdorff- 
Rantzau, erreichte die deutsche Gesandtschaft so gut 
wie nichts. Wäre die Nationalversammlung fest- 
geblieben, so wären wenigstens die Schand- und 
Schmachbestimmungen gestrichen worden; die Feinde 
waren schon bereit dazu. Aber am 22.Juni wurde in 
Weimar der Friedensvertrag ohne jeden Vorbehalt 
angenommen, am 28. Juni in Versailles unter- 
zeichnet. Die Sozialdemokraten beider Richtungen, 
das Zentrum und ein Teil der Demokraten hatten 
dafür gestimmt. Am lautesten hatten wider die 
Gegner der Unterzeichnung die unabhängigen So- 
zialdemokraten getobt. Sie fürchteten die Besetzung 
Deutschlands, zu der es dann wahrscheinlich gekommen 
wäre, denn dann wäre es freilich mit Straßenun- 
ruhen und Streiks zu Ende gewesen, und die na- 
tionale Ehre wurde von ihnen als gleichgültig er- 
klärt, hatte ja auch um so weniger für sie zu be- 
deuten, als die Mehrzahl ihrer Führer kein deutsches 
Blut in den Adern trug. 
Ein paar Monate später, am 10. September, unter- 
zeichnete Deutsch-Osterreich sein Todesurteil im Frieden 
von St. Germain. Der Anschluß an Deutschland, den 
es ersehnte, war ihm nicht gestattet worden, denn das 
Selbstbestimmungsrecht der Nationen galt nur für die 
andern Völker, nicht für die Deutschen. Die 372 Mil¬ 
lionen Deutsche in Böhmen und Mähren wurden 
von ihren Stammesbrüdern abgetrennt und dem 
neuen Tschecho-Slowakischen Reiche zugeteilt. Zwischen 
die Deutschen in Osterreich und die in Westungarn 
wurde ein Streifen eingeschoben, der zu dem neuen 
Reiche der Südslawen, den serbisch-kroatisch-sloweni- 
schen Staaten, gehören sollte, damit die Deutschen 
sich nicht unmittelbar berühren und später sich zu- 
sammenschließen könnten. Das alte Österreich-Ungarn 
wurde völlig zerrissen, zum Teil ausgeteilt zwischen 
Polen, Rumänen und Italienern, zum Teil in selb- 
ständige Staaten zerlegt, die untereinander nicht mehr 
in einem Bundesverhältnis stehen sollten. Es ent¬ 
standen nun ein tschecho-slowakischer Staat im Nord- 
westen, und ein südslawischer Staat im Südosten, 
beide bereichert aus weiten Gebieten, in denen das 
Deutschtum weit überwog oder die geradezu rein 
deutsch waren. Das Deutsch-Osterreich, das übrig 
blieb, umfaßte 6 Millionen Menschen, war vom 
Meere abgeschnitten, wohin es freilich einen Handels- 
weg bekommen sollte, hatte keine Kohlen und 
konnte sich landwirtschaftlich nicht selbst versorgen, 
konnte das um so weniger, als von seinen 6 Mil- 
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