Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

fürchteten wegen der Revolutionsgefahr eine schnelle 
Demobilisierung ihrer Heere, und sie alle, besonders 
Frankreich, wollten während des Waffenstillstandes 
noch aus Deutschland herauspressen, was irgend 
herauszupressen war. Dazu bot sich ihnen eine vor- 
zügliche Handhabe. Die Bedingungen des Waffen- 
stillstandes waren zum großen Teil unerfüllbar, die 
verlangten Räumungen und Ubergaben waren beim 
besten Willen nicht in der vorgeschriebenen kurzen Frist 
zu bewerkstelligen. So konnten die Sieger immer mit 
einem Schein des Rechts die Kündigung des Waffen- 
stillstands androhen und auf diese Weise immer neueZu- 
satzbedingungen herausquetschen. So gaben die deut- 
schen Unterhändler schon am 13. November zu, daß die 
Verbündeten das Recht haben sollten, Helgoland zu 
besetzen, wenn die deutschen Schiffe nicht innerhalb 
der festgesetzten Zeit abgegeben würden. Am 13. De- 
zember verlängerte Foch in Trier den Waffenstillstand, 
nur unter der Bedingung, daß er die neutrale Zone 
auf dem rechten Rheinufer nördlich des Kölner 
Brückenkopfes bis zur holländischen Grenze besetzen 
könne, wenn er das „für angezeigt halte". Die Eng- 
länder erschienen am 4. Dezember mit einem Ee- 
schwader vor Wilhelmshaven und gingen dort vor 
Anker. Am 6. Dezember begab sich der englische 
Admiral Browning nach Hamburg und verlangte 
nicht nur die Herausgabe aller während des Krieges 
internierten Handelsschiffe des Verbands, sondern 
auch aller der Schiffe, die durch Prisengericht rechts- 
kräftig zur Einziehung bestimmt waren. Beides bis 
zum 17. Dezember. Ging das schon über die Be- 
stimmungen des Waffenstillstandes hinaus, so noch 
mehr die Forderung der Einreichung einer Liste aller 
fertigen und im Vau befindlichen deutschen Kriegs- 
schiffe und Unterseeboote. Die Deutschen legten da- 
gegen Protest ein, aber natürlich vergebens. Die 
Engländer wiesen diese Proteste ebenso kühl ab wie 
die Franzosen,- alle, im Namen der Menschlichkeit und 
anderer schöner Dinge erhobenen Proteste über die 
rohen Massenausweisungen von Deutschen aus Elsaß- 
Lothringen oder über die Behandlung der deutschen Ee- 
fangenen oder über dieBeschimpfung deutscher Beamten, 
die das rollende Material der Eisenbahnen nach Frank- 
reich und Belgien überzuführen hatten, blieben ohne 
Erfolg. Entweder wurden die Protestierenden einer Ant- 
wort überhaupt nicht gewürdigt oder ihre Proteste wur- 
den mit scharfem Hohn zurückgewiesen. Denn mit 
jedem Tage erkannten die Staatsmänner der Entente 
deutlicher, daß sie auf das besiegte Deutschland auch 
nicht die geringste Rücksicht mehr zu nehmen brauchten. 
Bis Mitte Dezember war nicht nur das deutsche Heer 
zurückgeführt, sondern auch vollkommen zersetzt. Bei 
den Truppen, die in den Etappen standen, löste sich 
sofort nach dem Bekanntwerden der Revolution und 
der — vorläufig erlogenen — Abdankung des Kaisers 
fast überall alle Zucht und Ordnung aus. In Berlin 
und in fast allen Städten Deutschlands wurden vor 
allem die Offiziere beschimpft und verfolgt. Auf der 
Straße riß ihnen der Janhagel die Achselstücke und die 
Kokarde herunter — ein unsäglich widerwärtiges 
Schauspiel, besonders, wenn sich halbwüchsige Vengel 
im Verein mit Dirnen und aus den Gefängnissen 
und Zuchthäusern befreiten Sträflingen auf alte, ehr- 
würdige und verdiente Truppenführer stürzten. Das 
wurde in der Etappe getreulich nachgeahmt, die Offi- 
ziere wurden abgesetzt und verjagt und Soldaten- 
räte gewählt, von denen sich einige Mühe gaben, 
eine Art von Ordnung aufrecht zu erhalten, andere 
jegliche Ordnung zerstören halfen. Das Heeresgut 
wurde verschleudert. Deutsche Soldaten verkauften 
ihre Gewehre, Pferde, Uniformstücke, raubten aus den 
Heeresvorräten, was ihnen dienlich erschien, und über- 
ließen das, was sie nicht mitnehmen konnten, der 
Zivilbevölkerung. Vieles verdarb, vieles wurde sinnlos 
zerstört. Solches geschah nicht nur im Feindeslande 
bei der Räumung, sondern auch auf deutschem Boden. 
Wahrhaft ungeheure Werte gingen so dem Vater- 
lande verloren; man schätzt den Eeldeswert der ver¬ 
schleuderten Heeresvorräte auf über fünf Milliarden 
Mark, und vieles war mit Geld nicht wieder zu kaufen, 
weil es in Deutschland nicht mehr vorhanden war. 
Das gilt vor allem von den Anzügen und Anzugs- 
stoffen und dem Leder, woran in Deutschland 
ein solcher Mangel herrschte, daß bereits ein Anzug 
400 bis 500 Mark kostete, ein Paar Männerstiefel 
90 bis 120 Mark. 
Das Heer aber, das an der Front gestanden und 
sich bis zum letzten Tage glänzend geschlagen hatte, 
war noch in der Hand seiner Offiziere, und es ge- 
lang, die Massen in guter Ordnung zurückzuführen. 
Es war dieser Rückzug die letzte Großtat des ge- 
waltigen Führers, der einst an seine Fahnen den 
Sieg geknüpft hatte und nun miterleben mußte, 
daß sein Vaterland zusammenbrach. „Niemals" so 
schrieb damals eine englische Zeitung „ist Hinden- 
bürg größer gewesen als in diesen Tagen des Un- 
glücks seiner Nation." In der Tat, wäre er von 
seinem Posten zurückgetreten, hätte er das Volk ver- 
lassen, das ihn verließ und jetzt in den Versamm- 
lungen der Arbeiter- und Soldatenräte beschimpfte, 
so wäre alles zusammengebrochen, und das Heer 
wäre als eine zuchtlose Rotte heimgekehrt. Aber der 
alte Feldherr folgte auch in dieser grauenhaften Lage 
dem eisernen Pflichtgebot, das der Leitstern seines 
Lebens von jeher gewesen war, und das kann ihm 
Deutschland niemals genug danken. 
Die Haltung der heimkehrenden Truppen zeigte, 
daß es dem Kaiser wohl möglich gewesen wäre, mit 
ihnen die Revolution niederzuschlagen, wenn er gewollt 
hätte. Vielfach rissen sie bei ihrem Einzug in die 
Heimatsgarnisonen die roten Fahnen ab, die ihnen 
überall entgegenleuchteten, und wollten die Soldaten- 
räte, die sich dort gebildet hatten, nicht anerkennen 
und auch keine aus ihrer Mitte wählen. Aber Wil- 
Helm II. hatte ja seinem Volke den Bürgerkrieg er- 
sparen wollen, und am 28. November verzichtete er 
auf die Krone Preußens und die deutsche Kaiserkrone. 
Der Kronprinz tat am 1. Dezember das Gleiche, und 
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