Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

und der Kriegskredite, aber mit einer 
sehr, sehr schwachen Mehrheit. Im 
August wurde bekannt, daß er den 
Plan hege, Osterreich in einen Bundes- 
staat zu verwandeln, und das; die 
Krone diesem Plane geneigt sei. Dann 
wurde das wieder von halbamtlicher 
Seite in Abrede gestellt, und die öfter- 
reichischen Bischöfe erließen sogar einen 
gemeinsamen Hirtenbrief, in dem sie 
sich gegen die Zersplitterung der Mo- 
narchie wandten. Aber der bekannte 
Pazifist Professor Lammasch arbeitete 
insgeheim mit Feuereifer für den Plan, 
und die Regierung stand ihm schwer- 
lich fern. So wie die Dinge nun 
einmal lagen, war es vielleicht das 
einzige, was Osterreich noch retten 
konnte, freilich ein anderes Osterreich als es bis- 
her gewesen war. Aber die österreichische Staats- 
kunst hatte mit der deutschen eines gemein: Sie 
kam immer zu spät. Ein Jahr früher wären 
vielleicht die einander feindlichen Nationen noch in 
ein loses Staatsgefüge unter gemeinsamem habsbur- 
gischeu Szepter zusammenzuhalten gewesen, jetzt war 
die gegenseitige Erbitterung viel zu hoch gestiegen. Am 
5.Oktober ereignete sich etwas in Osterreich noch nie 
Dagewesenes: Die Deutschen stellten zum ersten Male 
ein festes Programm auf und waren zum ersten Male 
einig. Sie wollten nicht mehr das Rückgrat dieses 
vielgestaltigen Staates sein und ihre Mühe darauf ver- 
wenden, ihn zusammenzuhalten, sondern sie erklärten: 
„Hinfort wird dieZukunst unseres eigenen Volkes unsere 
einzige Sorge sein, und wir fordern deshalb auch 
für uns das volle uneingeschränkte Selbstbestimmung?- 
recht und die Errichtung eines selbständigen deutsch- 
österreichischen Staates, der alle deutschen Minder- 
heiten schützen und schirmen wird." Bürgertum und 
Sozialdemokratie bekannten sich einmütig zu diesen 
Sätzen. Damit war das alte Osterreich zum Tode 
verurteilt, denn es hatte seine letzte Stütze verloren. 
Das begriff auch Se. apostolische Maje- 
slät in Wien und erließ am 16. Ok- 
tober einen Ausruf „An meine ge- 
treuen österreichischen Völker", worin 
er die Umwandlung des Reiches dies- 
seits der Leitha in einen Staaten- 
bund verkündete und mitteilte, daß 
seine Regierung beauftragt sei, zum 
Neuaufbau Österreichs ohne Verzug 
alle Arbeiten vorzubereiten. Alles zu 
spät, viel zu spät! Die Völker waren 
nicht mehr getreu und nicht mehr 
österreichisch. In Prag war die tsche- 
chische Republik ausgerufen, in Wien 
vereinigten sich die rumänischen Ab- 
geordneten zu einem rumänischen Na- 
tionalrat, in Agram trat ein südsla- 
vischer Nationalrat zusammen, ja sogar 
Vizeadmiral Vekmke. 
(Phot. Urbahns. Kiel.) 
Graf Vrockdorff-Rantzau, 
wurde im Dezember 1918 zum Staats¬ 
sekretär des Nutzeren ernannt. 
(Phot. Alex Binder. Berlin.) 
die 600000 Nachkommen Abrahams 
in Oitgalizien kündigten dem öster- 
reichischen Ministerpräsidenten an, daß 
sie nach dem Rechte der Selbstbestim- 
mung zur Gründung eines National- 
rates schreiten würden. Der südslavische 
Nationalrat in Agram erklärte die Ver- 
einigung der Kroaten, Slovenen und 
Serben zu einem einheitlichen, voll- 
kommen souveränen, demokratischen 
Staatswesen und lehnte das kaiserliche 
Manifest ab. Die Tschechen taten das- 
selbe, forderten auch Teile von Ungarn 
für ihren Staat. . Wilson erkannte in 
einer Note an die österreichische Re- 
gierung die Tschecho-Slowaken aus- 
drücklich als kriegführende Macht an 
und verlangte, daß die Wiener Regie- 
rung die Prager Rebellen und die desertierten Sol- 
daten auch als kriegführende Macht anerkenne — wohl 
der blutigste Hohn, der einer Regierung jemals geboten 
worden ist. Es ging zu Ende mit Osterreich, und Karl 
der Erste und Letzte sorgte dafür, daß das Ende kein 
ehrenvolles war. Hussarek trat zurück, in seine Stelle 
wurde Lammasch berufen. Burian trat zurück, ihm folgte 
Andrassy, und der richtete an Lansing eine Note, 
worin er die Tschecho-Slowaken als gleichberechtigte 
kriegführende Macht anerkannte. Am 27. Oktober 
bot dann Österreich-Ungarn der Entente einen Sonder- 
frieden an. Das war der Lohn für die „Nibelungen- 
treue", die das Deutsche Reich unter Führung seines 
romantischen Kaisers dem verrotteten Habsburger- 
staate vier furchtbare Kriegsjahre hindurch gehalten 
hatte. Aber wenn Karl I. gemeint hatte, durch den 
Verrat an seinem Bundesgenossen die wankende Krone 
auf seinem Haupte neu zu festigen, so sah er sich 
bitter enttäuscht. Die Staaten, die sich aus den 
Trümmern Österreichs bildeten, wollten überhaupt 
keinen Herrscher mehr, am wenigsten ihn, der allen 
ein Fremdling war. In Ungarn, d. h. in Budapest, 
brach am 28. Oktober die Revolution aus. Die Füh- 
rung hatte zunächst der Gras Karolyi, 
der Gegner des Grafen Tisza, schon 
längst ein Feind des deutsch-österrei- 
chisch-ungarischen Bündnisses. Die 
Truppen wurden zum Teil in blutigen 
Kämpfen überwältigt, zum Teil gingen 
sie zu den Aufständischen über. Tisza 
wurde am 31. Oktober ermordet. Er 
war ein Mann von ungeheurer Wil- 
lenskraft und ebenso ungeheurer Be- 
schränktheit und gehörte zu den 
Leuten, die den Weltkrieg verursacht 
und die Schuld daran haben, daß er 
verloren ging. Als im Juli 1914 
Graf Berchtold und seine Kollegen in 
schändlicherLeichtfertigkeitdahindräng- 
ten, daß der Konflikt mit Serbien auf 
kriegerischem Wege ausgetragen werde, 
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