Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

garten zu verlassen. Den Deutschen und Österreichern 
wurde eine ebensolange Frist gewährt, um ihre 
Truppen und militärischen Organe aus dem Lande 
zu ziehen. 
Es schien nun freilich zunächst nicht so, als ob die 
Deutschen und Österreicher die Absicht hätten, diese 
Frist zu dem genannten Zwecke zu verwenden. Viel- 
mehr wurden alle Truppen, die nur irgendwie ver- 
fügbar waren, aus die Balkanhalbinsel geworfen. 
Denn die Lage war dort für die Mittelmächte im 
höchsten Grade gefahrdrohend. Das Heer der En- 
tente konnte Serbien befreien oder in Ungarn ein- 
fallen oder auf Konstantinopel marschieren. Die 
Hauptstadt des türkischen Reiches war mit einem 
Male aufs äußerste bedroht. Sie war bisher vor 
allem durch das bulgarische Heer an der Struma ge- 
deckt gewesen. Türkische Kräfte waren zu ihrem 
Schutze nur in geringer Stärke vorhanden. Verstär- 
kungen waren nur schwer herbeizuschaffen, denn die 
letzten Monate waren für die Türkei in Syrien und 
in der Gegend von Damaskus sehr ungünstig ver- 
laufen. Die Engländer hatten in Syrien mehrere 
beträchtliche Siege erfochten und waren ganz wohl 
in der Lage, von dort Truppen abzugeben und nach 
Mazedonien und Bulgarien zu werfen. Gegen Da- 
maskus schoben sie sich immer näher heran. Kon- 
stantinopel konnte in wenigen Wochen in der Hand 
der Entente sein, wenn nicht schleunigst durchgreifende 
Hilfe gebracht wurde. So wurde denn eine deutsche 
Division von Sewastopol nach Bulgarien geschickt und 
drei weitere deutsche Divisionen, die soeben vom 
Osten aus der Fahrt nach der hartbedrängten deutschen 
Westfront begriffen waren, wurden nach Serbien ge- 
schafft; auch das Alpenkorps wurde dorthin entsandt, 
obwohl es der Ruhe dringend bedürftig war. Oster- 
reich sandte drei Divisionen, von denen zwei gerade 
zur deutschen Westfront hatten abgehen sollen. 
Von Bulgarien erwartete die deutsche Heereslei- 
tung nichts mehr, weder vom Zaren, noch vom Volke, 
noch vom Heere. Zar Ferdinand hatte sehr schnell 
begriffen, daß es nicht mehr in seiner Macht stand, 
den Dingen eine andere Wendung zu geben. Seit 
einunddreißig Jahren hatte er mit eiserner Energie 
und größter Klugheit und Selbstbeherrschung daran 
gearbeitet, Bulgarien über alle Mächte auf der Balkan- 
Halbinsel zu erhöhen, und hätten die Deutschen ge- 
siegt, so hätte er das auch erreicht. Nun sah er 
sein Lebenswerk zusammenbrechen. Er war für die 
Vulgaren erledigt und die Bulgaren wohl auch für 
ihn. Auch wußte er genau, daß England sieglose 
Könige anders zu behandeln pflegt, als die Deut- 
schen den rumänischen Ferdinand behandelt hatten. 
Auch seine Verwandtschaft mit der englischen Königs- 
familie wäre nicht strafmildernd für ihn ins Gewicht 
gefallen, denn erstens hatte Georg V. nichts zu sagen, 
und zweitens hatte der Zweig des Hauses Koburg, 
der in England „regierte" sich im Laufe des Krieges 
als „Haus Windfor" aufgetan, um damit anzudeuten, 
daß er sich von der deutschen Abstammung und Ver¬ 
wandtschaft lossagen wolle. So dankte Zar Ferdi- 
nand denn schon am 26. September freiwillig ab, verließ 
das Land und fuhr nach Koburg, von wo sein aben- 
teuerndes Geschlecht ausgegangen war. Den sehr 
schwankenden Thron Bulgariens bestieg nun sein 
ältester Sohn, Boris, dessen erste Regierungshandlung 
die Unterzeichnung des Waffenstillstandes war. Die 
Massen der Hauptstadt begrüßten das „mit frene- 
tischem Jubel", und in den übrigen Städten des Landes 
regte sich nichts in Widerstand dagegen. 
Die deutsche Heeresleitung beschloß, trotzdem den 
Krieg in Bulgarien fortzusetzen, was ihr allerdings 
nur möglich war, wenn Osterreich-Ungarn fest blieb. 
Wie erbärmlich und wahrhaft hoffnungslos die 
Dinge dort standen, wußte sie noch nicht, wie es 
denn niemand in Deutschland wußte. Aber daß 
dort alles wankte und schwankte und daß auf die 
Habsburgermonarchie kein rechter Verlaß mehr war, 
das wußte im deutschen Hauptquartier wohl so ziem- 
lich jedermann, etwa mit Ausnahme des Kaisers, 
dem solche Dinge schwer klar zu machen waren, weil 
er immer nur sah. was er sehen wollte. In Alba- 
nien hatte Osterreich-Ungarn im August schöne Er- 
folge errungen, hatte Berat und Fieri den Italienern 
entrissen. Aber die österreichisch-ungarische Front 
in Italien hielt sich nur noch mühselig, und im In- 
nern wurden die Massen der großen Städte immer 
rebellischer, die Nationalitäten strebten immer heftiger 
auseinander. Der Krieg stand wesentlich nur noch 
auf den Deutschen und Magyaren; die meisten an- 
deren Regimenter waren unsicher. Auch die Persön- 
lichkeit Karls von Osterreich und die Zuverlässigkeit 
seiner Regierung wurden stark beargwöhnt. Er war 
Mitte August mit seinem Minister des Äußern, Baron 
Burian — Graf Ezernin hatte im März seinen Ab- 
schied genommen — im deutschen Hauptquartier ge- 
wesen, und es soll da von einer Vertiefung des Bünd- 
nisses die Rede gewesen sein. Diese Vertiefung des 
Bündnisses zeigte sich dadurch, daß Burian am 14.Sep- 
tember gegen den dringenden Rat des deutschen 
Staatssekretärs v. Hintze und gegen den Willen der 
deutschen Obersten Heeresleitung an alle kriegfüh- 
renden Staaten die Aufforderung richtete, in Friedens- 
Verhandlungen einzutreten. Die Besprechungen sollten 
vertraulich und unverbindlich sein und an einem Orte 
des neutralen Auslandes stattfinden. 
Die deutsche Regierung war vor eine vollendete 
Tatsache gestellt, wie einstmals vor Beginn des Krieges, 
als Osterreich-Ungarn sein Ultimatum an Serbien 
geschickt hatte, ohne es zuvor in Berlin vorzulegen. 
Sie mußte sich mit der Tatsache abfinden und gab 
ihren ursprünglichen Plan auf, den Frieden durch 
Vermittlung der Königin von Holland zu suchen. 
Aber tun mußte sie nun etwas zur Herbeiführung 
des Friedens, nachdem sie seit der ersten Schwankung 
der Obersten Heeresleitung im August mehr als an- 
derthalb Monate hatte verstreichen lassen, ohne etwas 
zu tun. Am 29. September fand in Spa eine Un- 
terredung statt zwischen Hindenburg und Ludendorff 
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