Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Rumänien in den Krieg hineingehetzt worden ist. 
Zugleich läßt es auf den Zustand des Königs ein 
grelles Schlaglicht fallen. Denn man fragt sich un- 
willkürlich: Wo war bei allem, was dort vorging, 
der König? Wo war die Volksvertretung? Wie 
kam es, daß Rumäniens Schicksal allein bestimmt 
werden konnte von einem gewissenlosen und wahr- 
scheinlich bestochenen politischen Halbnarren? Der 
Verfasser der furchtbaren Anklageschrift war einer 
der ersten Männer des Landes: Alexander Beldiman, 
der sein Vaterland lange Jahre hindurch als Ee- 
sandter in Verlin vertreten hatte. Er richtete von 
Kopenhagen aus am 6. Dezember einen offenen 
Brief an den rumänischen Ministerpräsidenten Vra- 
tianu, der in der rumänischen Zeitung „Gazette Vu- 
curestilor" unverkürzt veröffentlicht wurde und folgen- 
den Wortlaut hatte: 
„Herr Premierminister! 
Angesichts der rauchenden Trümmer unserer Heimat richte 
ich als derjenige, der Sie volle zwei Jahre lang unablässig 
vor den unseligen Folgen Ihrer Politik gewarnt hat, die 
Frage an Sie, roie Sie vor unserem Volke das furchtbare 
Unheil zu verantworten gedenken, das Sie über uns herauf- 
beschworen haben und für das die volle Schuld in erster 
Reihe Sie und Ihren Bruder Vintila trifft. 
Heute liegt der klare Beweis dafür vor, daß alle Verech- 
nungen und Voraussetzungen, auf denen Ihre Kriegspolitik 
fußte, falsch waren. Uber neun Monate lang haben Sie dem 
Lande weisgemacht, daß der Fall der Dardanellen unvermeid- 
lich sei. Sie haben unser wirtschaftliches Leben aufs schwerste 
geschädigt, während dank einer skandalösen Günstlingswirt- 
schaft eine kleine Clique unerhörte Gewinne einstecken durfte. 
Indem Sie hartnäckig jede Auskunft über die wahre militäri- 
sche Lage verweigerten und dadurch alle Ernsthaften und Be- 
sonnenen außerstand setzten, sich durch eingehende Studien ein 
eigenes Urteil zu bilden, haben Sie über das Schicksal des 
Landes auf Grund von gewissenlosen Fälschungen entschieden, 
die von der Regierung selbst mit allen ihr zu Gebote stehen- 
den Mitteln in Umlauf gesetzt worden waren. Es war nur 
selbstverständlich, daß alles, was sich auf diesem Grunde auf- 
baute, haltlos in sich zusammenfiel. Sie sind in den Krieg 
eingetreten: 
1. In der Voraussetzung, daß in der Dobrudscha eine große 
russische Armee bereitstehe, die gemeinsam mit der unseren 
operieren werde. Diese große Armee war nicht vorhanden, 
Rußland stellte für die Dobrudscha nur zwei bis drei Dioi- 
sionen bereit. Die elementarsten Gebote der Vorsicht hätten 
verlangt, daß Sie sich, ehe Sie den Krieg erklärten, absoluteste 
Gewißheit darüber verschafften, welche Heereskräfte für die 
Abwehr einer bulgarischen Offensive zur Verfügung standen. 
Sie können sich auch nicht darauf berufen, daß die Russen 
etwa nur durch unvorhergesehene Zwischenfälle am rechtzeitigen 
Eingreifen verhindert worden seien, denn selbst in den drei 
Wochen, während derer nach dem Fall von Tutrakan die 
Offensive des Generalfeldmarschalls von Mackensen ruhte, 
konnte die russische Dobrudscha-Armee nicht auf einen Stand 
gebracht werden, der ihr ermöglicht hätte, den Fall Constantas 
zu verhindern und damit den schwersten Schlag abzuwenden, 
der das Land treffen konnte. Was dieser Schlag für uns be- 
deutete, das wird man wohl vielleicht erst später in vollem 
Umfange ermessen können. 
Ich hatte Sie rechtzeitig darüber informiert, daß nach zu- 
verlässigen Mitteilungen, die mir geworden waren, die Zen¬ 
tralmächte bedeutende deutsch-bulgarisch-türkische Streitkräfte 
bereithielten, um sofort, in der Dobrudscha einzugreifen, wenn 
Sie in Aktion treten sollten. 
Nachdem wir Constanta und die Bahnlinie von Cerna- 
voda bereits verloren, hatten Sie noch Ende Oktober n. St. 
den traurigen Mut, öffentlich zu erklären, daß die schlimmste 
Gefahr für Rumänien überwunden sei, ja Sie haben das 
sogar in der englischen und französischen Presse vor Europa 
behauptet. (Siehe die Nummer des „Daily Chronicle" vom 
1. November 1916 n. St.) 
2. Sie haben weiter mit der Unterstützung Ihrer Pläne 
durch eine Offensive des Generals Sarrail gerechnet, obgleich 
nicht einmal in London irgend jemand daran glaubte, daß 
diese Offensive die Machtstellung, welche sich die Zentral- 
mächte auf dem Balkan geschaffen, tangieren könne. Heute 
weiß man auch in Paris die Wahrheit: die Einnahme Mona- 
fürs war weiter nichts als eine Abschlagszahlung an die un- 
glücklichen Serben, deren Schicksal dank Ihnen nun auch 
Rumänien teilt. 
3. Sie haben sich durch falsche Informationen zu der An- 
nähme verleiten lassen, es bedürfe nur Ihrer Kriegserklärung 
an die Zentralmächte, damit Bulgarien seine Verbündeten im 
Stich lasse. Sie haben diese Annahme zur Grundlage wich- 
tigster Entscheidungen gemacht, obgleich sie in direktem Gegen- 
satz zu allem stand, was ich Ihnen aus Berlin immer und 
immer wieder über den Charakter des Bündnisses zwischen 
Bulgarien und den Zentralmächten berichtet, jenes Bündnisses, 
das Sie durch ihre Haltung in der Dardanellenfrage im 
Jahre 1915 mit entscheidendem Erfolge gefördert haben. Ich 
weise Sie aus die Enthüllungen des Generals Avarescu hin, 
die der „Daily Telegraph" vom 9. Oktober 1916 veröffentlichte, 
und welche die katastrophalen militärischen Folgen nachwiesen, 
welche die absolut irrtümliche und grundlose Voraussetzung 
für den ganzen weiteren Verlauf des Feldzuges nach sich zog. 
4. Sie haben in unseren militärischen und politischen 
Kreisen den Glauben verbreiten lassen, daß man mit der 
Möglichkeit rechnen dürfe, Deutschland werde Österreich-Ungarn 
einen Krieg, den Rumänien der Doppelmonarchie aufzwinge, 
diese allein ausfechten lassen. Dabei ist Ihnen Monate zuvor 
amtlich in der kategorischen Weise erklärt worden, daß hieran 
gar nicht zu denken sei. Seit langem ist Ihre Regierung dar- 
über aufgeklärt worden, daß eine Kriegserklärung Rumäniens 
an Österreich-Ungarn eine Kriegserklärung Deutschlands an 
Rumänien sofort nach sich ziehen werde. Das war Ihnen 
aber ganz gleichgültig, sobald es Ihnen in den Kram paßte, 
Armee und Volk über diesen doch höchst wesentlichen Punkt 
zu täuschen. 
5. Sie bauten fest darauf, daß die Russen bei Kowel und 
Lemberg entscheidende Schläge führen könnten. Alles, was 
Ihnen aus bester Quelle berichtet wurde und was Ihnen zu 
den ernstesten Bedenken hätte Anlaß geben müssen, konnte 
Sie nicht einmal bestimmen, sich gründlich über das tatsächliche 
militärische Stärkeverhältnis zu unterrichten, das an den in 
Betracht kommenden Fronten bestand, nachdem die letzte 
russische Offensive ihren Hauptzweck, den Durchbruch, nicht zu 
erreichen vermocht hatte. General Brussilow selbst hat in den 
„Times" am 10. November erklärt, daß Rußland erst im kom- 
menden Frühjahr aus jene Höhe militärischer Leistungsfähig- 
keit gelangen werde, die ihm gestattet, die verlorenen Pro- 
vinzen wiederzuerobern. 
Ich frage Sie heute, welches ist das Schicksal, das Sie 
unserem Vaterlande bereitet haben, lange ehe es Frühjahr 
ward? 
Deutsche Kriegsberichterstatter, welche Augenzeugen der 
Kämpfe in Rumänien waren, und selbst die amtlichen deut- 
schen Heeresberichte haben zu wiederholten Malen bewundernd 
die Tapferkeit, Hartnäckigkeit und den Heldenmut anerkannt, 
mit dem die rumänischen Soldaten das Land ihrer Väter 
unter den schwierigsten Verhältnissen verteidigten. Alle diese 
ungeheueren Opfer an Gut und Blut und lebendiger Kraft 
haben Sie und Ihre Geschäftsfreunde unseren: Volk dadurch 
aufgezwungen, daß Sie uns zwei Jahre lang unablässig über 
die wichtigsten militärischen und politischen Vorgänge falsch 
informierten. Durch einen organisierten Betrug haben Sie 
das Schicksal dieses Landes besiegelt. 
Ich werde zu jeder Zeit auf Grund von Akten und Doku- 
menten beweisen können, daß Sie unsere Öffentlichkeit über 
die wahre Lage der Dinge getäuscht haben, indem Sie glauben 
machen wollten, wir könnten in diesen Krieg mit großen und 
begründeten Aussichten auf Erfolg eintreten, während es 
ein leichtes gewesen wäre, das Land vor dieser schrecklichen 
Katastrophe zu bewahren. Nicht um Rumänien eine reichere 
und schönere Zukunft zu sichern, sondern um den Ruin und 
die Vernichtung unseres Vaterlandes herbeizuführen, wurden 
die besten Kräfte unseres Volkes eingesetzt. 
So stellt sich Ihr Werk und das Ihrer Mitschuldigen dem 
objektiven und patriotischen Urteil dar. Sie müßten in tiefster 
Seele erschauern, wenn in Ihrem Innern auch nur noch der 
bescheidenste Rest eines Gewissens übriggeblieben wäre. 
(gez.) AleXander Beldiman." 
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