Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

für das bevorstehende Etatsjahr mit 205 Booten zu rech- 
nen, die im Dienst, im Vau und in der Erprobung standen, 
davon 147 im Vau befindliche, die noch während des Etats- 
jahres zur Ablieferung kommen sollten. Hiernach berechne 
man das Ergebnis, das ein wirklicher U-Vootskrieg im Jahre 
1916 gehabt haben mutzte. Man wird den Engländern recht 
geben müssen, daß sie damals den Krieg verloren haben würden, 
wenn wir den Mut gefunden hätten, ihn zu gewinnen." 
Nachdem im Oktober 1918 die Regierung Max 
von Vaden-Scheidemann den 11-Bootskrieg eingestellt 
hatte, entschloß sich der Admiral Scherr, die U=23oote 
zu anderen Zwecken zu verwenden. Es sollte ein 
Vorstoß der deutschen schnellen Seestreitkräfte nach 
dem Ostausgange des Kanals unternommen und der 
Vorstoß durch die Schlachtflotte selbst gedeckt werden. 
Dabei konnte es zur Schlacht kommen, 
und es war wohl sicher von dem Ad- 
miral beabsichtigt, die Engländer zur 
Schlacht zu locken oder zu zwingen. 
Fiel sie für die Deutschen günstig aus, 
so konnte sie mit einem Schlage dem 
ganzen Kriege in letzter Stunde noch 
eine ganz andere Wendung geben. Es 
war auch die einzige Möglichkeit, ihm 
noch eine für Deutschland günstige 
Wendung zu geben. Besaßen die Deut- 
schen mit einem Male — was aller¬ 
dings nur durch rücksichtsloses Einsetzen 
der Flotte zu erreichen war — das 
Übergewicht zur See, so hörte das 
Vordringen der feindlichen Heere in 
Frankreich und Flandern auf der Stelle 
auf. Es sollte also wirklich im gewissen 
Sinne „hazardiert" werden, sowie etwa 
Friedrich der Große bei Zeuthen Ha- 
zard spielte, als er das dreimal stärkere 
Heer der Österreicher angriff. Aber wie 
es der große König seinem Offizierkorps 
und seinen „Kerls" zutraute, daß sie dem überlege- 
nen Feinde mehr als gewachsen seien, so glaubte der 
Sieger in der Skagerrakschlacht das auch seiner Ma- 
rine zutrauen zu dürfen. Aber er sah sich aufs furcht- 
barste enttäuscht. Wie war die deutsche Marine in den 
ersten Kriegsjahren von Tapferkeit und Wagemut 
durchglüht gewesen! Nichts hatten die Leute sehn- 
licher gewünscht, als an den Feind heranzukommen. 
Das bezeugen Tausende von Feldbriefen und Tausende 
von Augen- und Ohrenzeugen. Was war davon 
übrig geblieben? Die Flammen waren zu Asche 
geworden. Von Siegeszuversicht, Kampflust und 
Todesverachtung war, bei der Mannschaft wenigstens, 
nichts mehr vorhanden. Als die Leute von der ge- 
planten Ausfahrt Kunde erhielten, verweigerten sie 
den Gehorsam, und im Verlaufe von etwa einer 
Woche wurden fast alle Schiffe vom Geiste des Auf- 
ruhrs ergriffen. Fast die ganze deutsche Flotte wurde 
in den letzten Oktobertagen nach Kiel zusammen- 
gezogen, und von Schiff zu Schiff pflanzte sich die 
Losung fort: Greift der Engländer uns an, so ver- 
leidigen wir uns, aber wir selber greifen nicht an. 
Wir fahren nur bis Helgoland, weiter nicht! 
Noch schien es am 31. Oktober dem Flotten- 
kommando möglich, die Meuterei zu dämpfen. Auf 
den Linienschiffen „Großer Kurfürst" und „Friedrich 
der Große" wurde eine Anzahl von Verhaftungen 
vorgenommen. Ein Versuch, die Gefangenen aus 
dem Marine-Arrestlokal in Kiel zu befreien, führte 
zu einer blutigen Schießerei am Sonntag, den 3. No- 
vember, der für die Aufständischen ungünstig auslief. 
Aber am folgenden Tage hißten fast alle Schiffe die 
rote Flagge. Die Offiziere, die dagegen auftraten, 
wurden gemißhandelt und von Bord gejagt. Auf 
dem Linienschiffe „König" kam es zu einem Feuer- 
gefechte zwischen den Rebellen und den Offizieren, 
die die Flagge verteidigten. Der Kom- 
mandeur und ein Offizier wurden er- 
schössen, alle anderen Offiziere schwer 
verwundet. In der Nacht vom 3. zum 
4. November wurden überall Soldaten- 
räte gewählt. Am 4. November unter- 
breiteten die Aufständischen, denen sich 
die ganze Garnison von Kiel und die 
Arbeiterschaft der Stadt angeschlossen 
hatten, ihre Forderungen dem Gouver- 
neur. Sie verlangten die Freilassung 
aller Inhaftierten und politischen Ge- 
fangenen, vollständige Rede- und Preß- 
freiheit, die Aufhebung der Briefzensur, 
sachgemäße Behandlung der Mann- 
schaften durch die Vorgesetzten, straffreie 
Rückkehr aller Kameraden in die Ka- 
fernen, unbeschränkte persönliche Frei- 
heit jedes Mannes von Beendigung 
des Dienstes bis zum Beginn des näch- 
sten Dienstes. Außer Dienst solle es 
keine Vorgesetzten mehr geben. Die Aus- 
fahrt der Flotte habe unter allen Um- 
ständen zu unterbleiben, ebenso jegliche Schutzmaß- 
nähme durch Blutvergießen. Alle Maßnahmen zum 
Schutze des Privateigentums sollten vom Arbeiter- und 
Soldatenrat festgesetzt werden. Jeder Angehörige des 
Soldatenrates ist von jeglichem Dienste zu befreien. 
Offiziere, die sich mit den Maßnahmen des jetzigen Sol- 
datenrates einverstanden erklärten, sollten ihnen in 
ihrer Mitte willkommen sein. Die anderen hätten ohne 
Anspruch auf Versorgung den Dienst zu quittieren. 
Sämtliche in Zukunft zu treffende Maßnahmen 
sollten nur mit Zustimmung des Soldatenrates zu 
treffen sein. Für jede Militärperson sollten diese 
Forderungen Befehle des Soldatenrates fein. — 
Das sofortige Auftauchen von Arbeiter- und 
Soldatenräten in Kiel zeigte deutlich, woher der 
Aufruhr seine geistige Nahrung bezogen hatte, 
nämlich von Rußland. Es waren die Gedanken- 
gänge des Bolschewismus, die Köpfe und Gemüter 
der deutschen Seesoldaten verwirrt hatten: Die Dinge 
sind rettungslos verfahren; die Welt kommt aus 
dem Blutmeere überhaupt nicht mehr heraus, wenn 
sie nicht der kleine Mann herauszieht. Darum müssen 
die Letzten die Ersten werden und alle Gewalt an 
Alexander Malinoro, 
bulgarischer Ministerpräsident und 
Minister der Auswärtigen Angelegen- 
Helten. 
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