Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

nun die Regierung, sie möge mit der Streikleitung 
verhandeln, aber der alte Graf Hertling bewies hier 
eine sehr anerkennenswerte Festigkeit. Er lehnte jede 
Verhandlung ab, der Staatssekretär Wallraf tat das 
Gleiche. Der Oberbefehlshaber in den Marken, Ee- 
neraloberst v. Kessel, erklärte den Belagerungszustand 
über Berlin und Vororte und setzte außerordentliche 
Kriegsgerichte ein. Alle Arbeiter, die bis zum 31. Ja- 
nuar die Arbeit nicht wieder aufnehmen würden, 
sollten zur Waffe eingezogen werden. Die Muni- 
tionsfabriken wurden unter militärische Leitung 
gestellt, die Arbeiter militarisiert und erhielten nur 
Soldatenlöhnungen statt ihrer hohen Löhne. Das 
wirkte. Der Streik flaute ab und war etwa am 
4. Februar zu Ende. In den anderen Städten ver- 
lief die Sache in gleicher Weise. Zu Blutvergießen 
kam es nur an wenigen Stellen, so zu einer Schießerei 
in Charlottenburg und Berlin-Moabit. In Treptow 
wurde eine Streikversammlung durch Militär zer- 
sprengt und der sozialistische Abgeordnete Dittmann, 
der zur Fortführung der Streiks aufgefordert hatte, 
wegen versuchten Landesverrates vor Gericht ge- 
stellt und — milde genug — zu 5 Jahren Festung 
verurteilt. 
In London und Paris war die Enttäuschung nicht 
gering, als die Welt erfuhr, wie rasch die Streiks 
in Deutschland unterdrückt worden waren. Auf die 
erste Kunde von ihrem Ausbruch waren in London 
Sonderblätter verkauft worden mit der Uberschrist 
„Zusammenbruch der Mittelmächte". Damit war es 
nun vorläufig noch nichts. Die Mehrzahl der älteren, 
besonnenen Arbeiter hatte sich von der Bewegung 
ferngehalten; ihre Hauptträger waren Jugendliche 
und Frauen gewesen, woraus die Regierung gleich 
sehen konnte, welches Heil dem Staate aus dem 
Wahlrechte der Frauen und der noch unreifen jungen 
Menschen erblühen mochte. 
Die Kanzlerschaft des Grafen Hertling war so arm 
an Taten, daß darüber kaum etwas zu berichten ist. 
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Wahl- 
reform in Preußen durchzuführen und sie als Ver- 
treter der Krone dem Abgeordnetenhause zu empfehlen, 
obwohl er innerlich gewiß nicht damit einverstanden 
war. Ein Versuch der Konservativen, jetzt während 
des Krieges die Verhandlungen über die ganze Sache bis 
nach dem Friedensschlüsse hinauszuschieben, scheiterte. 
Der unabhängige Sozialist Adolf Hoffmann erklärte 
bei der Beratung dieses Antrags, den Graf Spee ein- 
gebracht hatte, dann werde seine Partei die deutschen 
Soldaten in den Schützengräben auffordern, solange, 
zu streiken, bis das allgemeine, gleiche, direkte und 
geheime Wahlrecht erreicht sei! Die Frage kam zur 
Abstimmung, und es ergab sich keine Mehrheit für die 
Regierung. Nun hätten Neuwahlen ausgeschrieben 
werden müssen, aber wurden sie nach der alten Weise 
vollzogen, so kam jedenfalls die gleiche Mehrheit zu- 
stände, wurde sie nach einer anderen Weise vollzogen, 
so war's ein Staatsstreich. Im Herrenhause hätte 
die Regierung nur durch einen ungeheuerlichen Pmrs- 
schub eine Mehrheit finden können. Vor beiden scheute 
der Kanzler zurück, und so geschah eigentlich gar nichts, 
als daß mit den Parteien immer wieder verhandelt 
wurde. — Am 10. Juli erfolgte der Rücktritt des 
Staatssekretärs v. Kühlmann, der die Sozialdemo- 
kratie so erregte, daß sie beinah die geforderten Kriegs- 
kredite nicht bewilligt hätte. Kühlmann, der deutsche 
Unterhändler in Brest-Litowsk und Bukarest, hatte 
im Reichstage eine Rede gehalten, worin er alle Schuld 
am Weltkriege Rußland aufbürdete, England nach 
Möglichkeit weiß wusch und überdies erklärte, der 
Krieg könne durch militärische Machtmittel allein nicht 
mehr zur Entscheidung gebracht werden; man müsse 
mit dem Feinde eine Verständigung suchen. Seine 
ganze Rede klang wie ein neues Friedensangebot, 
und da die Oberste Heeresleitung und der Reichs- 
kanzler ein solches zur Zeit nicht wünschten, so wurde 
der eigenmächtige Friedensrufer in die Wüste geschickt 
(15. Juli) und an seine Stelle v. Hintze zum Staats¬ 
sekretär ernannt, der frühere deutsche Gesandte in 
Mexiko. Er war eigentlich zum deutschen Gesandten 
bei der Sowjet-Republik in Moskau bestimmt gewesen, 
denn die Bolschewisten hatten den dortigen deutschen 
Gesandten Grafen Mirbach ermordet. Der politische 
Mord war ja in Rußland althergebracht; le des- 
potisme, modere par l'assassinat hatte einer, der es 
wissen konnte, die russische Regierungsform genannt. 
Jetzt suchte die Mordbande, die zur Zeit Rußland 
regierte, sich durch das altbewährte Mittel die Männer 
vom Halse zu schaffen, die ihr unbequem waren. So 
fiel am 30.Juli auch der General v. Eichhorn, „der Eon- 
verneur der Ukraine", neben Woyrsch und Mackensen 
Hindenburgs bedeutendster Unterführer im Osten, bol- 
schewistischen Mördern zum Opfer. 
Hintze wurde von der regierenden Mehrheit des 
Reichstags mit großem Mißtrauen aufgenommen, 
denn es ging ihm der Ruf voraus, er sei alldeutsch 
gesinnt. War er das wirklich — und er hat sich 
wenigstens als tüchtiger, aufrechter Mann gezeigt — 
so hatte er keine Zeit, es an den Tag zu legen, denn 
das Unheil brach herein, als er kaum ein paar Mo¬ 
nate in seinem Amte war. Am 30. September schied 
Hertling aus seiner Stellung. Er unterlag der fort- 
währenden Wühlerei der Demagogen, die im Haupt- 
ausschuß des Reichstags und im Reichstage selber 
Stürme gegen ihn entfesselten. In seiner eigenen Partei 
fand er nicht mehr die Unterstützung, deren er be- 
durfte. Der linke Flügel des Zentrums unter Füh- 
rung Erzbergers wandte sich von ihm ab. Es ist 
hier nicht der Ort, alle die Machinationen und Treibe- 
reien ans Licht zu stellen, die gegen den Kanzler 
unternommen wurden. Genug, Hertling erkannte, 
daß seine Stellung unhaltbar geworden war. Unter 
dem Schlagworte, die „Einheitsfront" müsse herge- 
stellt werden, schickten sich Sozialdemokraten und Demo- 
kraten an, die parlamentarische Regierung in Preußen 
und dem Reiche einzuführen, die bisherige Macht der 
Krone zu zertrümmern. Staatssekretär v. Hintze über- 
zeugte den Kaiser persönlich im Großen Hauptquartier 
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