Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

lich, den Frieden herbeizuführen. Denn es steht jetzt 
unbedingt fest, daß Deutschland zu keiner Zeit des 
Krieges einen „Verständigungsfrieden" hätte haben 
können, wie ihn die Resolution des Reichstags vom 
17. Juli 1917 erträumte. Gegen die bedingungslose 
Räumung Belgiens und Nordfrankreichs, die Ab- 
tretung der deutschen Kolonien und Elsaß-Lothringens 
und den vollen Verzicht auf seine Orientpolitik hätte 
Deutschland vielleicht im Sommer 1917 den Frie- 
den haben können. Aber solche Bedingungen konnte 
doch nur eine Großmacht annehmen, die geschlagen 
war und sich besiegt fühlte, nicht eine Großmacht, 
die bisher im Felde stets gesiegt hatte und deren 
Heere tief im Feindeslande standen. Es scheint so, als 
ob England etwa im Juni oder Juli 1917 unter dem 
Eindruck der furchtbaren Verluste des ungehemmten 
Unterseekrieges zu einer „Verständigung" unter diesen 
oder ähnlichen Bedingungen geneigt gewesen wäre. 
Aber selbst diese Geneigtheit verflog bei den eng- 
lischen Staatsmännern sehr rasch. Man hat dem 
Reichskanzler Michaelis den Vorwurf gemacht, daß 
er einem Versuch zur Herbeiführung des Friedens, 
den England über die römische Kurie unternommen 
habe, nicht in der rechten Weise entgegengekommen 
sei. Der Vorwurf besteht nicht zu recht, denn Eng- 
land hat mit seinen Verhandlungen in Rom nichts 
weiter bezweckt, als Deutschland über seine Kriegs- 
ziele auszuhorchen. Ebensowenig kann dem Grafen 
Hertling vorgeworfen werden, er habe eine Gelegen- 
heit vorübergehen lassen, zum Frieden zu kommen, 
wohlgemerkt zu einem für Deutschland erträglichen 
Frieden. Er lud die Ententestaatsmänner ein, nach 
Brest -Litowsk zu kommen und sich mit Deutsch- 
land und Rußland an den Verhandlungstisch zu 
setzen, aber sie waren taub für seine Einladung. 
Er versuchte durch Privatleute mit den Feinden über 
den Frieden Verhandlungen anzuknüpfen — denn 
weder der Hamburger Großkaufmann Max Warburg, 
noch der Oberst von Haeften, noch der Reichstags- 
abgeordnete Konrad Haußmann haben ohne sein Ein- 
Verständnis derartige Bemühungen unternommen — 
aber es war alles vergeblich. Die Feinde waren 
nur zu einem Frieden bereit, in dem sich Deutschland 
unterwarf. Die Führer der Entente wußten durch 
ihre Agenten ganz genau, wie es in Deutschland und 
Osterreich stand, und die großen Streiks und schweren 
Unruhen in Berlin und Wien, die sich im Januar 
1918 ereigneten, bestärkten sie in der Meinung, daß 
die Mittelmächte bald in sich zusammenbrechen würden. 
Besonders aber schöpften sie den Mut zu unbeug- 
samem Widerstand aus der Kenntnis der Tatsache, 
daß Deutschland in Gefahr stand, von seinem öfter- 
reichischen Bundesgenossen im Stiche gelassen zu 
werden. Durch die Prinzen von Parma war ihnen 
genau bekannt, wie der Kaiser Karl und, was noch 
mehr zu bedeuten hatte, die Kaiserin Zita zu dem 
deutschen Bündnisse standen. Sie wußten aber noch 
mehr. Graf Ezernin hatte für seinen kaiserlichen 
Herrn eine Denkschrift ausgearbeitet, in der er aus¬ 
führte, Osterreich sei an der Grenze seiner Leiftungs- 
fähigkeit angelangt und werde innerlich zusammen- 
brechen, wenn nicht bald Friede geschlossen werde, 
die Revolution klopfe an die Tür der Hofburg. So 
sei denn die Doppelmonarchie gezwungen, auf alle 
Fälle und um jeden Preis Frieden zu schließen. 
Deutschland müsse bewogen werden, ihr auf diesem 
Wege zu folgen und dafür Opfer zu bringen. Tue 
es das nicht, so müsse Osterreich Frieden schließen 
ohne Deutschland. Von diesem Schriftstück gab es 
mehrere Abschriften, und eine davon kam in die Hände 
des deutschen Reichstagsabgeordneten Erzberger, der 
sich in irgendeiner geheimnisvollen Mission in Wien 
aufhielt oder dorthin entboten worden war. Er 
wurde vom Kaiser persönlich empfangen, und es ist 
sehr glaublich, daß ihm die Majestät selber das ganz 
vertrauliche Memorandum übergeben hat. Erzberger 
reiste damit nach Deutschland zurück und machte von 
seinem Inhalt einigen seiner Freunde in Frankfurt 
am Main vertraulich Mitteilung. Von denen kamen 
die Ausführungen des Grafen Ezernin vertraulich 
zur Kenntnis der französischen Regierung. Es gibt 
Leute, die behaupten, gerade das sei von Karl von 
Osterreich und vom Abgeordneten Erzberger beab- 
sichtigt gewesen, aber das ist kaum anzunehmen. Der 
Kaiser hatte genug andere Wege nach Paris; er 
hat dem einflußreichen Zentrumsabgeordneten das 
Schriftstück zugänglich gemacht, damit er im öfter- 
reichischen Interesse auf seine Partei wirke, und der 
hat dann das, was geheim bleiben sollte, ausge- 
plaudert. Es wirkte ja auch zu großartig, wenn 
der frühere Dorffchullehrer als der Eingeweihteste der 
Eingeweihten vor seine Parteifreunde hintrat und 
ihnen die unermeßliche Wichtigkeit seiner Person be- 
weisen konnte. Dem sei nun, wie ihm wolle — 
jedenfalls wußten die Feinde Deutschlands nun ge- 
nau, woran sie waren, und wenn irgendetwas ge- 
eignet war, ihre Zuversicht und Widerstandskraft zu 
stärken, so war es die wohlgegründete Hoffnung, 
daß den Deutschen wahrscheinlich in nicht allzulanger 
Zeit ihre berühmte „Nibelungentreue" übel werde 
vergolten werden. Nichts trug zur Verlängerung 
des Krieges mehr bei, nichts machte es der deut- 
schen Regierung schwerer, trotz aller militärischen 
Siege zum Frieden zu kommen. 
Im Februar 1918 schien es, als solle der Frieden 
über Amerika erreichbar sein. Am 11. Februar richtete 
Wilson eine Botschaft an den Kongreß, worin er 
vier Grundsätze aufstellte, die für etwaige Friedens- 
Verhandlungen die Grundlage abgeben könnten. Diese 
vier Punkte Wilsons lauteten: 
1., daß jeder Teil einer endgültigen Vereinbarung im wesent- 
lichen auf der Gerechtigkeit in dem bestimmten Falle und auf 
einem solchen Ausgleich aufgebaut sein muß, von dem es am 
wahrscheinlichsten ist, daß er einen Frieden, der dauernd ist, 
herbeiführen wird; 
2., daß Völker und Provinzen nicht von einer Staatsober- 
Hoheit in eine andere herumgeschoben werden, als ob es sich 
lediglich um Gegenstände oder Steine in einem Spiel handelte, 
wenn auch in dem großen Spiel des Gleichgewichts der Kräfte, 
das nun für alle Zeiten diskreditiert ist; daß jedoch 
948
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.