Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

dahin: „Es ist kläglich, wenn wir sehen, daß eine 
Negierung vorhanden ist, die aus dem Marinefall 
und den Begleitumständen eine Waffe im politischen 
Kampfe zu machen sucht. Da der Reichsanwalt nicht 
beim Reichstag die Aufhebung der Immunität 
beantragt hat, um eine Strafverfolgung zu ermög- 
lichen, so folgt dar- 
aus mit Sicher- 
heit, daß in den 
Akten des Reichs- 
anwalts nichts 
ist, was in den 
Ausführungen 
des Staatssekre- 
tärs als vorhan- 
den vorausgesetzt 
wird. Nach dem 
4. August 1914 
ist es eine mora- 
lische Unmöglich¬ 
keit, eine Partei 
außerhalb des na- 
tionalen Falles 
zu stellen." Er 
merkte nicht und 
hatte nicht be- Auffahren eines schweren Geschützes in 
merkt, daß die Nach einer Zeichnung 
Partei der Kriegs- 
kreditverweigerer den nationalen Boden schon längst 
verlassen hatte, und dabei war dieser Mann eine Er- 
scheinung, die an Geist und Charakter über die große 
Mehrzahl der deutschen Volksvertreter weit hinaus- 
ragte, geistvoll, begeisterungsfähig, gedankenreich, ein 
glänzender Redner, aber politisch ein vollkommener 
Phantast. Auch der Redner des Zentrums mißbilligte 
den Michaelis - Capellefchen Vorstoß, denn es schien 
den Herren vom Zentrum „recht bedenklich und nicht 
angängig, die Partei der Unabhängigen Sozial- 
demokraten in ihrer Gesamtheit ohne weiteres mit den 
Anschuldigungen in Zusammenhang zu bringen, die 
gegen drei Abgeordnete erhoben sind." Es versteht 
sich von selbst, daß auch die Mehrheitssozialisten ihre 
Entrüstung und Mißbilligung über das Vorgehen 
des Kanzlers zum Ausdruck brachten. So hatte denn 
Michaelis in aller Form und noch dazu mit großer 
Schärfe ein Mißtrauensvotum der Mehrheitsparteien 
erhalten. Kanzler konnte er nunmehr nur dann 
bleiben, wenn der Kaiser sich darüber hinwegsetzte 
und ihn hielt, wie einst Wilhelm l. seinen Minister- 
Präsidenten Bismarck gehalten hatte einer noch viel 
größeren und kraftvolleren Mehrheit gegenüber. Aber 
das lag Wilhelm II. sehr fern. Er hatte Bethmann- 
Hollweg so lange wie möglich im Amte gehalten, 
weil der ein Mann nach seinem Herzen war. Zu 
Michaelis stand er in gar keinem inneren Verhältnis, 
hatte ihn wohl vom ersten Tage an nur als Not- 
behelf betrachtet. Michaelis hatte das hohe und ver- 
antwortungsvolle Amt auch nur zögernd und seiner 
eigenen Kraft mißtrauend angenommen und mochte 
wohl jetzt fühlen, daß er ihm in der Tat nicht gewachsen 
war. So reichte er sein Abschiedsgesuch ein, und nach 
einer Anstandsfrist von einigen Wochen entließ ihn 
derKaiser—natürlich mit dem üblichen gnädigenHand- 
schreiben und der Verleihung eines hohen Ordens. 
An seiner Statt wurde Reichskanzler der bayerische 
Ministerpräsident 
Graf Georg v. 
Hertling. Er war 
ein Mann von 
nicht gewöhnlicher 
Klugheit, unbe- 
streitbarer persön- 
licherEhrenhaftig- 
feit und großer 
parlamentarischer 
Gewandtheit, ein 
langjähriger Füh- 
rer der Zentrums- 
partei im Reichs- 
tage. Diesmal 
war der Kaiser so 
wohlberaten, daß 
er dem Reichstage 
nicht einen Mann 
Schlamm und Regen im Kampfgebiet, zufandte, den kei- 
von Berthold Adolph. ner kannte und 
wenige mochten, 
sondern er holte vor der Ernennung des neuen Kanz- 
lers den Rat der Parteiführer ein. Die einigten sich 
aufdenbayrischenZentrumsgrafen.undderKaisernahm 
ihn an, wohl vor allem in der Hoffnung, daß nunmehr 
das unberechenbare Zentru m eine sichere Stütze d er neuen 
Regierung sein werde. Diese Hoffnung ging ebensowenig 
in Erfüllung wie die meisten anderen, die der Kaiser 
auf den gewandten Parlamentsredner und -sichrer 
gesetzt haben mochte. Der böse Geist des Zentrums, 
der vielgeschäftige Abgeordnete Erzberger, wurde zwar 
nach einiger Zeit von Hertling durchschaut und nicht 
mehr empfangen, aber weder wurde dadurch seine 
unheilvolle Tätigkeit unterbunden, noch sein Einfluß 
auf die Partei, besonders auf ihren linken Flügel. 
Graf Hertling war trotz seiner noch eben ge- 
nügenden körperlichen Rüstigkeit ein alter Mann, 
75 Jahre alt, als er die Zügel der Regierung in ge- 
fahrvoller Zeit ergriff. Clemenceau wgr freilich auch 
nicht jünger, aber der war eine Ausnahmenatur, was 
von Hertling niemand wird behaupten wollen. 
Seine Ernennung war auf eine Weise zustande 
gekommen, die sich der von den Mehrheitsparteien 
ersehnten „Parlamentarisierung" einigermaßen näherte, 
denn zum ersten Male hatte ein deutscher Kaiser 
den Reichstag um seine Meinung befragt, ehe er 
den obersten Beamten des Reiches in seine Stel- 
lung berief. Schon aus diesem Grunde wurde der 
neue Kanzler von der Presse dieser Parteien warm 
begrüßt. Die preußischen Konservativen dagegen emp- 
fingen ihn sehr kühl. Er hatte, ehe er das Kanzler- 
amt übernahm, sich mit den Parteien im Reichstage 
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