Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

den Ausbruch des Krieges verschuldet zu haben. 
Dieses Machwerk entsprang der gekränkten Eitelkeit 
und war zwar ohne jede Beweiskraft oder bewies 
nur das eine, was für Diplomaten vor dem 
Kriege die wichtigsten Amter anvertraut gewesen 
waren. Aber den Engländern paßte sie natürlich 
ganz vorzüglich in ihren Kram. Sie druckten sie in einer 
Millionenausgabe nach und druckten zugleich mit ihr 
Aussprüche des Kaisers ab, die den Ententevölkern die 
Schuld am Kriege zuschrieben. Sie wurde dann durch 
englische Flieger über den deutschen Linien abge- 
worsen, damit die deutschen Soldaten erkennen sollten, 
daß der Kaiser sie betrogen habe. Die Oberste 
Heeresleitung verlangte, daß gegen den Fürsten vor- 
gegangen werde, denn eine solche Veröffentlichung 
in dieser Zeit sei Hochverrat. Er aber behauptete, 
er habe sie nur Freunden gezeigt und in die Hand 
gegeben, und so sei sie durch eine Indiskretion in 
die Öffentlichkeit gelangt. Er erreichte dadurch, daß 
die Sache dem Reichsgericht übergeben und auf die 
lange Bank geschoben wurde. So durfte er frei 
herumlaufen, und es geschah ihm gar nichts. Da- 
durch wurden die deutschen Soldaten irre an der 
Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe ihres obersten Kriegs- 
Herrn; die Disziplin wurde in unerhörter Weise 
untergraben, aber weder gegen den Verfasser, noch 
gegen den Verbreiter der Broschüre, einen Haupt- 
mann v. Beerfelde, wurde vorgegangen. 
In einer anderen Angelegenheit wollte Michaelis 
gegen die Hoch- und Vaterlandsverräter kraftvoll 
durchgreifen, kam aber darüber selber zu Fall. Es 
war im August zu einer sehr ernsten Verschwörung 
auf der deutschen Flotte gekommen. Die Meuterer 
beabsichtigten nach ihrem eigenen Geständnis, auf 
allen Schiffen Vertrauensmänner zu wählen und 
die gesamte Mannschaft der Flotte zur Gehorsams- 
Verweigerung zu bringen. Offiziere, die sich ent- 
gegenstemmen würden, sollten mit Gewalt beseitigt 
werden. 
Zweck der Verschwörung war, durch Lahm- 
legung der Flotte das Ende des Krieges herbeizu- 
führen. So furchtbar ernst und gefährlich der 
Plan war, so milde wurden die Verschwörer be- 
handelt. Die meisten wurden nur zu längeren Frei- 
heitsstrafen verurteilt. Von den zum Tode verur- 
teilten — eigentlich hatten nach strengem Kriegsrecht 
alle den Tod verdient — wurden nur zwei erschossen, 
die anderen zu Freiheitsstrafen begnadigt. Der 
Kaiser wollte seine „blauen Jungen" schonen, an 
denen er später das größte Herzeleid erleben sollte. 
Er hielt sie für Leute, deren Jugend oder Dumm- 
heit von gewissenlosen Hetzern und Verführern ge- 
mißbraucht worden sei. Die eigentlich Schuldigen, 
meinte er und meinten seine Berater, die das Gift 
der Untreue und des Verrats in die Marine hinein- 
getragen hätten, die müßten mit dem Tode bestraft 
werden, nicht die Verführten. Das machte seinem 
guten Herzen alle Ehre, diente aber nicht dazu, die 
bedenklich gefährdete Manneszucht auf der Flotte 
wieder zu festigen. Elemenceau ließ, als französische 
Soldaten meuterten, die Verbrecher reihenweise an 
die Wand stellen und erschießen und erreichte damit 
das, was er wollte. 
Wo die saßen, die sowohl in das Heer wie in die 
Marine die Zersetzung hineintrugen, wußten sehr 
viele in Deutschland, sie konnten es nur nicht juri- 
stisch beweisen. Auch Michaelis wußte es, und leider 
unternahm er den Versuch, ohne durchschlagende 
juristische Beweise die Schuldigen anzugreifen. In 
der Reichstagssitzung am 9. Oktober erklärte er unter 
ungeheurer Bewegung des Hauses, er stehe allen 
Parteien in voller Objektivität gegenüber, sofern sie 
nicht den Bestand des deutschen Reiches und Staates 
gefährdende Ziele verfolgten. „Die Partei der 
Unabhängigen Sozialdemokraten", fuhr er mit er- 
hobener Stimme fort, „steht für mich jenseits dieser 
Grenze." 
Der Marinestaatssekretär v. Capelle gab darauf die 
Begründung dieses Ausspruches, der zum ersten Male 
klipp und klar anerkannte, daß das Kaiserwort „Ich 
kenne keine Parteien mehr" hinfällig geworden war. 
Capelle bezeichnete es als eine Tatsache, daß die 
meuterischen Matrosen Beziehungen zur Unabhän- 
gigen sozialistischen Partei hatten. „Es steht akten- 
mäßig fest, daß der Hauptagitator hier im Reichstage 
im Fraktionszimmer der Unabhängigen Sozialisten 
den Abgeordneten Dittmann, Haafe und Vogtherr 
seine Pläne vorgetragen und Billigung gefunden hat. 
Die Abgeordneten haben auf die Gefährlichkeit des 
Unternehmens hingewiesen und zur größten Vorsicht 
gemahnt, aber ihre volle Unterstützung durch Uber- 
mittlung von Material zur Aufreizung der Flotte 
zugesagt. Dieser Lage gegenüber war meine erste 
Pflicht, das Einbringen des zugesagten Materials 
in die Flotte unmöglich zu machen." 
Was der Staatssekretär mit Billigung des Reichs- 
kanzlers den drei Abgeordneten vorwarf, war schwerer 
Vaterlandsverrat, der, wenn er gerichtlich erwiesen 
worden wäre, den Herren eine langjährige Zucht- 
haussirafe hätte zuziehen müssen. Er war aber 
juristisch nicht zu beweisen, und deshalb war es höchst 
unklug vom Kanzler, die ganze Frage hier aufzu- 
rollen und nun vollends ein derartiges scharfes Ur- 
teil über die ehrenwerten Männer der Unabhängigen 
auszusprechen und aussprechen zu lassen. Später 
haben sie sich ja damit gerühmt, daß es ihnen gelungen 
sei, „in langsamer, zielbewußter und zäher Arbeit" die 
Disziplin in Heer und Flotte zu untergraben, jetzt 
aber war es noch zu gefährlich, sich zu solcher Ar- 
beit zu bekennen, und so erhoben sie denn gegen 
die Anschuldigungen des Staatssekretärs den heftigsten 
Widerspruch, und nun ereignete sich eine Szene, die 
eben nur im Reichstage des politisch dümmsten aller 
Völker möglich war: Mit Ausnahme der Konserva- 
tiven nahm das ganze Haus Partei für die ange- 
griffenen Unabhängigen. Der Abgeordnete Naumann 
von der fortschrittlichen Volkspartei formulierte seinen 
Widerspruch gegen Michaelis und seine Schildknappen 
942
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.