den Ausbruch des Krieges verschuldet zu haben.
Dieses Machwerk entsprang der gekränkten Eitelkeit
und war zwar ohne jede Beweiskraft oder bewies
nur das eine, was für Diplomaten vor dem
Kriege die wichtigsten Amter anvertraut gewesen
waren. Aber den Engländern paßte sie natürlich
ganz vorzüglich in ihren Kram. Sie druckten sie in einer
Millionenausgabe nach und druckten zugleich mit ihr
Aussprüche des Kaisers ab, die den Ententevölkern die
Schuld am Kriege zuschrieben. Sie wurde dann durch
englische Flieger über den deutschen Linien abge-
worsen, damit die deutschen Soldaten erkennen sollten,
daß der Kaiser sie betrogen habe. Die Oberste
Heeresleitung verlangte, daß gegen den Fürsten vor-
gegangen werde, denn eine solche Veröffentlichung
in dieser Zeit sei Hochverrat. Er aber behauptete,
er habe sie nur Freunden gezeigt und in die Hand
gegeben, und so sei sie durch eine Indiskretion in
die Öffentlichkeit gelangt. Er erreichte dadurch, daß
die Sache dem Reichsgericht übergeben und auf die
lange Bank geschoben wurde. So durfte er frei
herumlaufen, und es geschah ihm gar nichts. Da-
durch wurden die deutschen Soldaten irre an der
Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe ihres obersten Kriegs-
Herrn; die Disziplin wurde in unerhörter Weise
untergraben, aber weder gegen den Verfasser, noch
gegen den Verbreiter der Broschüre, einen Haupt-
mann v. Beerfelde, wurde vorgegangen.
In einer anderen Angelegenheit wollte Michaelis
gegen die Hoch- und Vaterlandsverräter kraftvoll
durchgreifen, kam aber darüber selber zu Fall. Es
war im August zu einer sehr ernsten Verschwörung
auf der deutschen Flotte gekommen. Die Meuterer
beabsichtigten nach ihrem eigenen Geständnis, auf
allen Schiffen Vertrauensmänner zu wählen und
die gesamte Mannschaft der Flotte zur Gehorsams-
Verweigerung zu bringen. Offiziere, die sich ent-
gegenstemmen würden, sollten mit Gewalt beseitigt
werden.
Zweck der Verschwörung war, durch Lahm-
legung der Flotte das Ende des Krieges herbeizu-
führen. So furchtbar ernst und gefährlich der
Plan war, so milde wurden die Verschwörer be-
handelt. Die meisten wurden nur zu längeren Frei-
heitsstrafen verurteilt. Von den zum Tode verur-
teilten — eigentlich hatten nach strengem Kriegsrecht
alle den Tod verdient — wurden nur zwei erschossen,
die anderen zu Freiheitsstrafen begnadigt. Der
Kaiser wollte seine „blauen Jungen" schonen, an
denen er später das größte Herzeleid erleben sollte.
Er hielt sie für Leute, deren Jugend oder Dumm-
heit von gewissenlosen Hetzern und Verführern ge-
mißbraucht worden sei. Die eigentlich Schuldigen,
meinte er und meinten seine Berater, die das Gift
der Untreue und des Verrats in die Marine hinein-
getragen hätten, die müßten mit dem Tode bestraft
werden, nicht die Verführten. Das machte seinem
guten Herzen alle Ehre, diente aber nicht dazu, die
bedenklich gefährdete Manneszucht auf der Flotte
wieder zu festigen. Elemenceau ließ, als französische
Soldaten meuterten, die Verbrecher reihenweise an
die Wand stellen und erschießen und erreichte damit
das, was er wollte.
Wo die saßen, die sowohl in das Heer wie in die
Marine die Zersetzung hineintrugen, wußten sehr
viele in Deutschland, sie konnten es nur nicht juri-
stisch beweisen. Auch Michaelis wußte es, und leider
unternahm er den Versuch, ohne durchschlagende
juristische Beweise die Schuldigen anzugreifen. In
der Reichstagssitzung am 9. Oktober erklärte er unter
ungeheurer Bewegung des Hauses, er stehe allen
Parteien in voller Objektivität gegenüber, sofern sie
nicht den Bestand des deutschen Reiches und Staates
gefährdende Ziele verfolgten. „Die Partei der
Unabhängigen Sozialdemokraten", fuhr er mit er-
hobener Stimme fort, „steht für mich jenseits dieser
Grenze."
Der Marinestaatssekretär v. Capelle gab darauf die
Begründung dieses Ausspruches, der zum ersten Male
klipp und klar anerkannte, daß das Kaiserwort „Ich
kenne keine Parteien mehr" hinfällig geworden war.
Capelle bezeichnete es als eine Tatsache, daß die
meuterischen Matrosen Beziehungen zur Unabhän-
gigen sozialistischen Partei hatten. „Es steht akten-
mäßig fest, daß der Hauptagitator hier im Reichstage
im Fraktionszimmer der Unabhängigen Sozialisten
den Abgeordneten Dittmann, Haafe und Vogtherr
seine Pläne vorgetragen und Billigung gefunden hat.
Die Abgeordneten haben auf die Gefährlichkeit des
Unternehmens hingewiesen und zur größten Vorsicht
gemahnt, aber ihre volle Unterstützung durch Uber-
mittlung von Material zur Aufreizung der Flotte
zugesagt. Dieser Lage gegenüber war meine erste
Pflicht, das Einbringen des zugesagten Materials
in die Flotte unmöglich zu machen."
Was der Staatssekretär mit Billigung des Reichs-
kanzlers den drei Abgeordneten vorwarf, war schwerer
Vaterlandsverrat, der, wenn er gerichtlich erwiesen
worden wäre, den Herren eine langjährige Zucht-
haussirafe hätte zuziehen müssen. Er war aber
juristisch nicht zu beweisen, und deshalb war es höchst
unklug vom Kanzler, die ganze Frage hier aufzu-
rollen und nun vollends ein derartiges scharfes Ur-
teil über die ehrenwerten Männer der Unabhängigen
auszusprechen und aussprechen zu lassen. Später
haben sie sich ja damit gerühmt, daß es ihnen gelungen
sei, „in langsamer, zielbewußter und zäher Arbeit" die
Disziplin in Heer und Flotte zu untergraben, jetzt
aber war es noch zu gefährlich, sich zu solcher Ar-
beit zu bekennen, und so erhoben sie denn gegen
die Anschuldigungen des Staatssekretärs den heftigsten
Widerspruch, und nun ereignete sich eine Szene, die
eben nur im Reichstage des politisch dümmsten aller
Völker möglich war: Mit Ausnahme der Konserva-
tiven nahm das ganze Haus Partei für die ange-
griffenen Unabhängigen. Der Abgeordnete Naumann
von der fortschrittlichen Volkspartei formulierte seinen
Widerspruch gegen Michaelis und seine Schildknappen
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