Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

läge sich wieder zu Deutschlands Gunsten ändern 
könne, ja sie war der Meinung, daß auch eine Besse- 
rung der Lage an der Front die deutsche Nieder- 
läge nicht abwenden werde. Diese Auffassung war 
im ganzen richtig. Siegen konnte selbst Hindenburg 
nicht mehr, nachdem die Bundesgenossen abgefallen 
waren, während die feindliche Übermacht an Men- 
schert und Kriegsmaterial mit jedem Tage bedroh- 
licher anwuchs. Die Heeresleitung selbst riet der Re- 
gierung, sobald wie möglich einen Waffenstillstand 
herbeizuführen und Friedensverhandlungen anzu- 
knüpfen. Aber die unglücklichen Ereignis^ seit dem 
8. August erklären sich doch nicht nur aus der feind¬ 
lichen Ubermacht. Mit welcher Ubermacht hatten 
Hindenburg und Ludendorff in Rußland gefochten 
und waren doch Sieger geblieben! Nun, das deutsche 
Heer konnte jetzt deshalb über keine Übermacht mehr 
siegen, weil es nicht mehr das alte war, und es war 
nicht mehr das alte, weil es von der Heimat her 
zersetzt worden war. Darum ist der Niedergang im 
Felde, das Friedensgesuch und nun vollends der 
völlige Zusammenbruch der deutschen Kraft, der gleich 
nach dem Waffenstillstandsgesuch begann, nur dem 
verständlich, der weiß, wie sich im Innern Deutsch- 
lands während des letzten Kriegsjahres die Dinge 
entwickelt hatten. 
Politische und wirtschaftliche Zustände in Deutschland vom Beginn des ersten Kriegs- 
jahres bis zum Friedensgesuch. 
6chon im Frühling des Jahres 1915 verglichen 
deutsche Staatsmänner und Politiker die Lage 
der Mittelmächte mit der Lage einer von Feinden ein- 
geschlossenen Stadt, die nur in den spärlichsten Mengen 
Nahrungsmittel und Rohstoffe von außenher erhalte. 
Der Vergleich war richtig und wurde mit jedem Jahre, 
ja, mit jedem Monate richtiger, denn immer mehr machte 
sich die Abschließung von allem Weltverkehr geltend, 
immer unerträglicher wurden ihre Folgen. Als Ruß- 
land niedergerungen war, die baltischen Provinzen 
und die Ukraine besetzt waren, da flammte im deut- 
schen Volke die Hoffnung hell empor, daß es nun 
besser werden müsse mit der Ernährung und der 
Versorgung mit Rohstoffen, aber schon im Herbste er- 
kannte man, daß nichts besser geworden sei und daß 
man vor einem höchst traurigen, entbehrungsreichen 
Winter stehe. Die großen Eetreidevorräte, die man 
in der Ukraine erwartet hatte, waren zum Teil gar 
nicht vorhanden gewesen, zum Teil waren sie von 
den Bolschewisten vernichtet worden, zum Teil konnten 
sie bei dem elenden Zustand der dortigen Bahnen und 
dem Mangel an Wagen nicht abtransportiert werden, 
und von dem, was wegzuschaffen war, erhielten noch 
dazu die Bundesgenossen den Löwenanteil. Mag 
das Getreide, das aus der Ukraine angekommen 
ist, dem deutschen Volke das Durchhalten mit er- 
möglicht haben, eine Besserung seiner Ernährungsver- 
Hältnisse hat es nicht herbeizuführen vermocht, und 
die Bevölkerung der deutschen Städte, also zwei Drittel 
der Gesamtbevölkerung, litt seit Mitte des Jahres 1916 
nicht nur Mangel, nein, sie hungerte buchstäblich. Auf 
den Tag gab es in den Städten 350 Gramm Brot, 
zuweilen, so im Sommer 1917, sank die tägliche 
Menge auf 210 oder 220 Gramm herab. Von 
Kartoffeln waren auf den Kopf wöchentlich, je nach- 
dem sie heranzuschaffen waren, 8, 5 oder 3 Pfund 
gewährt. Oft waren sie überhaupt nicht herbeizu- 
schaffen, denn eine wirklich gute Kartoffelernte hat 
Deutschland während des ganzen Krieges nicht ge- 
habt, und zwei Ernten waren halbe Mißernten. 
Manchmal fehlten in den Großstädten die Kartoffeln 
ganz, dann half man sich mit Kohlrüben. Während 
des Winters von 1916 auf 1917 hat die städtische 
Einwohnerschaft wesentlich von Kohlrüben gelebt, 
wenigstens in Nord- und Mitteldeutschland. In wahr- 
Haft furchtbarer Weise wurde bald der Mangel an 
Fett empfunden. Die Menschen magerten in er- 
schreckender Weise ab; Gewichtsabnahmen von 30, 40 
und mehr Pfund waren an der Tagesordnung. Wer 
das Geld dazu hatte, half sich einigermaßen durch 
den überall blühenden Schleichhandel. In Scharen 
zogen die Städter auf die Dörfer hinaus, um bei 
den Bauern Butter oder Eier oder sonstige Nahrungs- 
mittel zu „erHamstern". Auf kleinen, entlegenen Eisen- 
bahnhaltestellen, die sonst kaum einen Verkehr an 
Menschen gehabt hatten, stiegen jetzt tagaus-tagein 
Hunderte von „Hamsterern" mit Rucksäcken und Körben 
aus und ein, um Lebensmittel einzukaufen. Das 
war gesetzlich streng verboten, fast in jedem Kreise 
war die Ausfuhr von Lebensmitteln untersagt. Das 
Gesetz und zahlreiche Verordnungen bedrohten den 
Schleichhandel mit Strafen, sogar mit sehr schweren 
Strafen — vergebens, es war nichts dagegen zu 
machen. Bestraft sollte werden nicht nur der Ver- 
käufer von Lebensmitteln, sondern auch der Käufer, 
wenn er über den gesetzlichen Höchstpreis zahlte. Es 
war also durch die Behörde dafür gesorgt, daß keiner 
den andern anzeigen konnte und daß nur die aller- 
wenigstens Fälle des Schleichhandels die Gerichte be- 
schäftigten. Mit der Zeit sahen die Behörden, daß 
sie gegen die ganze Sache machtlos waren. Die Kon- 
trolle auf den Bahnhöfen und in den Dörfern, die 
anfänglich zum Teil sehr streng gewesen war, wurde 
zwar nicht amtlich eingestellt, aber sie schlief allmählich 
ein. Daß diehungerndenStädtebewohner kleine Mengen 
von Kartoffeln, Eiern und dergleichen vom Lande 
holten, wurde wohlwollend übersehen. Da die Be- 
stände auf dem Lande nun einmal nicht vollkommen 
erfaßt wurden, war der Schleichhandel auch gar nicht 
zu unterbinden. Das hätte nur geschehen können, 
wenn es gelungen wäre, alles Getreide, alle Kartoffeln 
usw., überhaupt alles, was der Selbstversorger nach 
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