Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Heere der Krieg nicht fortzuführen, der Sieg nicht 
zu gewinnen roar. 
Die Zahl der Leute, die so redeten und durch ihre 
Mießmacherei den Willen des Volkes zum weiteren 
Ertragen der Kriegsleiden lahmten,, stieg mit jedem 
Monat mehr. Wer in Deutschland reiste, traf in den 
Fahrabteilen häufig auf Leute, die den aufhorchenden 
Mitreisenden klar zu machen suchten, daß die Feinde 
durch ihre Zahl und ihre Machtmittel unbesiegbar 
seien und daß alle deutschen Erfolge im Felde nichts 
nützen könnten. Daß diese Erfolge nach Möglichkeit 
verkleinert und 
herabgesetzt wur- 
den, verstand sich 
von selbst. Auch 
wurden Schauer- 
geschichten in Um- 
laus gesetzt, die 
gänzlich erfunden 
waren. Reiste man 
in derEegend von 
Hamburg, so hörte 
man, daß in Leip- 
zig Meutereien 
von Regimentern, 
Volksaufläufe mit 
hundert Toten 
und dergl. stattge- 
funden hätten. 
Reiste man in der 
Gegend von Leip- 
zig, so wurde das- 
selbe von Ham- 
bürg erzählt. Zu- 
meist war an den 
Schauergeschichten kein wahres Wort, aber das alles 
trug dazu bei, die Stimmung des Volkes herabzu- 
drücken und zu vergiften. Schon damals wiesen einzelne 
deutsche Zeitungen daraus hin, daß die nationale 
Vergiftungsarbeit offenbar planmäßig betrieben werde, 
und ihre Ansicht war richtig. Etwa 10 Millionen 
Pfund verwendeten England und Amerika darauf, und 
für rund 200 Millionen Mark läßt sich schon eine 
große Menge von Agenten besolden, und das Geld 
war vortrefflich angelegt. Die Führer der Entente- 
staaten kannten den deutschen Volkscharakter ganz 
genau. Sie rechneten auf die deutsche Leicht- 
gläubigkeit, Parteioerblendung und Nörgelsucht und 
rechneten ganz richtig. 
Allmählich nahm in Folge dieser Machenschaften 
die Manneszucht im deutschen Heere ab, und die 
Kriegsverdrossenheit stieg von Tag zu Tage. Schwer- 
lich aber wäre es gelungen, die eiserne Disziplin dieses 
Heeres zu zermürben, wenn seine Führerschaft eine 
andere gewesen wäre. Das alte aktive Offizierskorps, 
das im Jahre 1914 an der Spitze seiner Truppen 
ins Feld gezogen war, lag längst unter dem Rasen. 
Damit hatte das Heer sein Rückgrat verloren, denn 
diese Leute von militärischer Erfahrung und Erziehung, 
Besprechung mit dem Ballonbeobachter vor dem Aufstieg. Am Vallonkorb ist die 
Karte des Geländeabschnittes angebracht. 
zum allergrößten Teile leuchtende Vorbilder kriegerischer 
Tugenden, waren durch nichts zu ersetzen. Nur Trümmer 
von ihnen befanden sich noch bei der Armee, und glück- 
licherWeise waren alle obern Führerstellen von ihnen be- 
setzt. Die unteren Führerstellen bis zum Vataillonskom- 
mandeur herauf waren zum großen Teil in den Händen 
von Reserveoffizieren, die Kompagnieführerstellen fast 
ausschließlich mit neugebackenen und blutjungen Leut» 
nants besetzt. Unter den älteren Reserveoffizieren, den 
Hauptleuten und Majoren, gab es viele sehr tüchtige und 
tapfere Leute, aber auch viele, die des Lebens Ruhe und 
Bequemlichkeit 
recht hoch einschätz- 
ten und nicht ein- 
sahen, weshalb sie 
allzu häufi- 
gen Aufenthalt in 
den vorderen Li- 
ihre Fami- 
lien daheim inGe- 
fahr bringen soll- 
ten, ihren Vater 
und Ernährer zu 
verlieren. Unter 
den jungen Leut- 
nants waren viele 
schon deshalb ihrer 
Stellung nicht ge- 
wachsen, weil sie 
noch halbe Kinder 
waren und eigent- 
lich auf die Schul- 
bank der Ober- 
sekunda gehörten. 
Welche Belastung 
der Heeresdisziplin, wenn diesen Knaben eine Kom- 
pagnie vierzigjähriger Landsturmmänner unterstellt 
wurde, unter denen sich unter Umständen — es 
ist nicht selten vorgekommen — ihre früheren Lehrer 
befanden! Im Laufe des Krieges wurden ja in 
Deutschland Menschen zum Heeresdienste eingezogen, 
von denen man früher auch nicht im Traume 
gedacht hätte, daß sie jemals in ihrem Leben ein 
Gewehr würden in die Hand nehmen müssen. Nur 
fast vollkommene Blindheit und schweres Herzleiden 
sowie der Verlust eines Beines befreite vom Dienst, 
sonst wurde auf Krankheit und Untauglichkeit um 
so weniger Rücksicht genommen, je länger der 
Krieg dauerte. Es konnte in der Tat vorkommen, daß 
der achtzehnjährige Leutnant seinen sechsundvierzig- 
jährigen Vater als Rekruten auszubilden hatte. Dabei 
wurde nur der Offizier, der das Einjährig-Freiwil- 
ligenexamen hinter sich hatte, ganz seltene Ausnahmen 
abgerechnet. Der Kreissekretär, der in seinem Kreise 
ein geachteter, einflußreicher Mann war, konnte es 
bei aller Tüchtigkeit höchstens bis zum Offizierssteil- 
Vertreter bringen. Wer aber das Notabiturium eines 
Volksschullehrer-Seminars gemacht oder die Versetzung 
in die Obersekunda eines Gymnasiums erreicht hatte, 
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