Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

dem sich's um ihr Sein oder Nichtsein handelte, bei 
dem ihre ganze Zukunft auf dem Spiele stand, aber 
wer die Berichte aus ihren Volksvertretungen las, 
der mußte zu der Überzeugung kommen, daß den 
Volksboten der drei Reiche ihre inneren Zwistigkeiten 
viel bedeutungsvoller erschienen als der ganze Krieg. 
Bei den Polen, Tschechen und Südslawen im öfter- 
reichischen Reichsrate war das in der Tat so. Sie 
wollten gar nicht, daß Osterreich-Ungarn den Krieg 
gewinnen sollte, denn sie wollten los von Osterreich. 
Auch den Führern der deutschen Sozialdemokraten 
lag der Sieg ihrer Partei viel mehr am Herzen, als 
der Sieg des Deutschen Reiches über seine äußeren 
Feinde. Seine Niederlage wünschten ja nur einige 
verbohrte Narren unter ihnen, und sie gehörten der 
deutschen Nasse nicht an, aber ein entscheidender deut- 
scher Sieg wurde von der Mehrzahl nicht gewünscht, 
sogar, als dem Ziele der Partei schädlich, gefürchtet. 
Wohin das führte, wird später zu berichten sein. 
Die nächsten Folgen der parlamentarischen Kämpfe 
waren eine Reihe von Ministerstürzen. In Ungarn 
mußte am 23. Mai 1917 Graf Tisza zurücktreten, 
weil der König seine Vorschläge über die Wahlreform 
nicht angenommen hatte. Ein Ministerium Ester- 
hazy trat an seine Stelle. Uber den Sturz Veth- 
mann-Hollwegs in Deutschland ist schon berichtet wor- 
den. In Österreich fiel im Juni das Ministerium Clam- 
Martinitz, und Dr. v. Seidler bildete ein neues. Das Mi- 
nisterium Esterhazy in Ungarn lebte nur drei Monate 
Es wurde am 26. August 1917 durch ein Ministerium 
Weckerle abgelöst. Seidler hielt sich länger im Amt, 
mußte aber im August sein Ministerium völlig „um- 
bilden". Eine solche Umbildung erfolgte dann noch- 
mals im Januar 1918 usw. Es ging in den öfter- 
reichischen wie in den ungarischen Ministerien zu wie 
in einem Bienenhause — Minister traten aus und 
ein, neue Ministerien wurden gebildet, so in Ungarn 
vier solche, die sich mit dem Kriege und der Uber- 
gangswirtschaft beschäftigen sollten, in Osterreich eins 
für soziale Fürsorge. Alle diese Ministerien und 
Regierungen, wie sie auch hießen und womit sie sich 
auch beschäftigten, konnten das Auseinanderfallen des 
Staates nicht verhindern. Sie wurden auf der einen 
Seite bedrängt durch die Sozialdemokraten, die einen 
immer größeren Anhang fanden, weil die Not des 
Volkes und damit die Unzufriedenheit mit jedem 
Monat höher stiegen, und durch die Nationalitäten, 
die immer offener die Auflösung des österreichischen 
Staates forderten. Beiden begegnete die Negierimg 
mit der größten Schwäche und Nachgiebigkeit. Um 
die Sozialdemokraten nicht zu reizen, wurde der 
Mörder des Ministerpräsidenten Grafen Stürgk, 
Dr. Adler, der von Rechts wegen zum Tode verur- 
teilt worden war, zu schwerem Kerker begnadigt, und 
die Rädelsführer der Tschechen, Dr. Kramarcz und 
Genossen, wurden sogar in Freiheit gesetzt. Diese 
Menschen hatten den offenen Abfall von Osterreich 
gepredigt, hatten in Paris und Petersburg gegen 
Österreich agitiert, Staatsgeheimnisse und militärische 
Geheimnisse dem Feinde verraten, tschechische und slo- 
wakische Soldaten zur Fahnenflucht und zum Kampfe 
gegen den österreichischen Staat verleitet, hatten also 
den Tod hundertfach verdient. Aber statt des wohl- 
verdienten Strickes — eine Kugel wäre für sie zu 
schade gewesen — erhielten sie die Freiheit und durften 
weiter Hetzen und schüren und wühlen. Durch solche 
Gnadenakte glaubte der unreife Phantast, der auf 
Österreichs Throne saß, die Empörer für sich zu ge- 
Winnen. Statt dessen erreichte er nur, daß die Frech- 
heit der Tschechen, der Polen, Kroaten und Serben 
ins Unermeßliche stieg. Die Tschechen sprachen in 
den sogenannten „Prager Entschließungen" vom 6. Ja- 
nuar 1918 aus, daß sie volle staatliche Unabhängig- 
keit beim Friedensschlüsse haben wollten, wobei von 
Osterreich und dem Zepter der Habsburgischen Dy- 
nastie nicht mehr die Rede war. Ganz Böhmen, 
auch die deutschen Gebiete sollten einen unabhängigen 
Staat bilden. Am weitesten gingen die Polen. Da 
der Friede von Brest-Litowsk das Cholmer Land der 
Ukraine zusprach, so kündigten sie nicht nur der Regie- 
rung in Wien die Gefolgschaft, sie hetzten geradezu 
das galizifche Volk auf, keine Nahrungsmittel mehr 
nach Osterreich auszuführen, d. h. sie suchten es wirt- 
schaftlich zu boykottieren. 
Damit konnten sie, wenn ihr Aufruf Erfolg hatte, 
das Reich an seiner empfindlichsten SIelle treffen. 
Osterreich war mit der Rationierung der Lebens- 
mittel dem Deutschen Reiche langsam und zögernd 
gefolgt, und als die Rationierung erfolgte, hatte 
sie lange nur aus dem Papiere gestanden. In Oster- 
reich war ja immer viel lässiger regiert worden als 
in Deutschland, und wer die ganze dortige Wirtschaft 
gekannt hatte, der mußte lebhaften Zweifel hegen, 
ob die Brot- und Fleischkarten sich in den österrei- 
chischen Ländern überhaupt würden einführen lassen. 
Sie wurden eingeführt, aber die Bevölkerung küm- 
merte sich wenig darum. Die Bauern verfütterten 
noch lange seelenruhig ihr Getreide und konnten des- 
halb auch noch viel wohlgenährtes Vieh schlachten und 
verkaufen. Noch im Frühling und Sommer 1917 blick- 
ten die Wiener mit einer gewissen mitleidigen Gering¬ 
schätzung nach München und Berlin hin, wo die 
Leute so erbärmlich leben mußten, und mit neidischem 
Erstaunen erzählten die aus Österreich heimkehrenden 
Deutschen, was man da drüben alles noch haben 
könne. Aber dann brach die Herrlichkeit mehr und 
mehr zusammen, und an ihre Stelle trat die schwerste 
Not. Das Volk hatte seine Vorräte gänzlich ausge- 
geben und wußte nicht, wovon es leben sollte. Das 
getreidereiche Ungarn sollte helfen, und es gewährte 
auch Hilfe, aber in durchaus unzulänglicher Weife. 
Tisza wollte nicht, daß Ungarn irgend welche Not 
leiden sollte, darum half er den Österreichern nicht 
wie einem Brudervolke, sondern gestattete nur, daß 
der ungarische Uberschuß — gegen respektable Preise, 
versteht sich — über die Grenze geschafft wurde. Seine 
Nachfolger machten es kaum anders. Darum mußte 
Österreich die Hauptmasse aus der rumänischen 
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