Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Feind verwandeln. Zu diesen Leuten gehörte der 
General Ludendorff, wenn man den Nachrichten 
trauen kann, die aus dem großen Hauptquartier in 
die Öffentlichkeit hindurchsickerten. 
Daß Kaiser Karl kein Mann war, der von deut- 
scher Seite sonderliches Vertrauen verdiente, ging auch 
aus anderen seiner Handlungen hervor. Überall in 
den slawischen Kronländern und bei den Rumänen 
regten sich die Bestrebungen, den Staatsverband zu 
sprengen und die eignen kleinen Nationen selbständig 
zu machen — natürlich „unter habsburgischem Zepter", 
wie die Führer dieser Bewegungen vorsichtigerweise 
erklärten. Hie und da warfen die Herren aber 
auch bereits die Maske ab und verkündeten als ihr 
Ziel die Zertrümmerung Österreichs und die Auf- 
richtung nationaler Republiken. Schon der alte 
Franz Joseph war diesem hochverräterischen Treiben 
nicht mit der nötigen eisernen Strenge entgegen- 
getreten, aber er hatte doch wenigstens fast immer der 
Justiz ihren Lauf gelassen, wenn die Hochverräter 
gefaßt und gerichtlich verurteilt waren. Der neue 
Herr versuchte die Empörer und Verschwörer durch 
Milde und Gnade zu versöhnen und zu gewinnen, 
wodurch er allein schon bewies, daß kein Tropfen 
staatsmännischen Blutes in ihm war. Er hielt die 
Tschechen und Slawen und alle diese Völker für 
treue Untertanen seiner Krone, weil sie schlau genug 
waren, die in der Juninote der Ententemächte an 
Wilson geforderte Befreiung der österreichischen Sla- 
wenvölker mit Entrüstung zurückzuweisen. Darum 
begnadigte er, was nur immer zu begnadigen war, 
und ahnte nicht, daß ihm seine Haltung als Schwäche 
ausgelegt wurde und daß er damit die Hochverräte- 
tischen Umtriebe nur begünstigte. Wie weit der Hoch- 
verrat in Österreich-Ungarn schon gediehen war, das 
erfuhr die deutsche Öffentlichkeit aus einer Rede des 
Grafen Czernin vom 14. April, derselben, in der er 
von den Friedensverhandlungen Elemenceaus erzählte. 
„Die den Krieg verlängernde Hoffnung unserer Gegner 
sind zum großen Teile unsere innerpolitischen Ver- 
Hältnisse und — gewisse politische Führer, nicht zu- 
letzt im tschechischen Lager. Das wissen wir ganz 
genau aus zahlreichen übereinstimmenden Meldungen 
aus dem Auslande. Vor kurzem waren wir, wie 
schon erwähnt, nahe daran, in Verhandlungen mit 
den Mittelmächten zu treten. Da schlug plötzlich der 
Wind um, und wie wir genau wissen, beschloß die 
Entente, noch zu warten, denn die parlamentarischen 
und politischen Vorgänge bei uns berechtigten zu der 
Hoffnung, daß die Monarchie bald wehrlos fein 
werde. Welch furchtbare Ironie! Unsere Söhne und 
Brüder kämpfen wie Löwen auf dem Schlachtfelde. 
Millionen von Männern und Frauen im Hinterlande 
tragen heroisch ihr hartes Los. Sie senden heiße 
Gebete zu dem Allmächtigen um rasche Beendigung 
des Krieges, nur gewisse Führer des Volkes und 
Volksvertreter wühlen gegen das deutsche Bündnis, 
das sich so herrlich bewährt hat, fassen Resolutionen, 
die mit keinem Haar mehr mit dem Staalsgedanken 
zusammenhängen, finden kein Wort des Tadels für 
tschechische Truppen, die verbrecherisch gegen ihr eige- 
nes Vaterland und ihre Waffenbrüder kämpfen, wollen 
Teile aus dem ungarischen Staate herausreißen, halten 
unter dem Schutze der Immunität Reden, die nicht 
anders verslanden werden können als ein Ruf an 
das feindliche Ausland, den Kampf fortzusetzen, uin 
ihre eigenen politischen Bestrebungen zu unterstützen 
und entfachen stets von neuem den ersterbenden 
Kriegsfuror in London, Rom und Paris." 
Im deutschen Heere wußte man freilich längst, 
daß nicht nur einzelne Tschechen und Slowaken Massen- 
hast zu den Russen desertiert waren, um unter ihren 
Fahnen gegen Osterreich zu fechten, sondern daß 
ganze geschlossene Heereskörper zu ihnen übergegangen 
waren. Die deutschen Soldaten hatten die Kunde 
davon mit in die Heimat gebracht, und sie ging da 
von Mund zu Mund, aber die Zeitungen sollten 
davon nichts bringen, nur selten gelangte eine Notiz 
in ihre Spalten, die von diesen und anderen schänd- 
lichen Vorgängen in Osterreich und Ungarn berich- 
tete, und sogar nachdem der österreichische Minister- 
Präsident selbst auf den tschechischen Hochverrat hin- 
gewiesen hatte, suchte die deutsche Zensur den wahren 
Sachverhalt nach Möglichkeit dem Volke zu verschleiern. 
Wie es in Wirklichkeit aussah jenseits der schwarz- 
gelben Grenzpfähle, und welche Kräfte dort gegen 
Deutschland am Werke waren, das sollte das deutsche 
Volk nicht erfahren, auf daß es nicht an diesem präch- 
tigen Bundesgenossen verzweifle und seine Regierung 
frage, warum man denn für einen Staat von solcher 
Beschaffenheit das „Hohenzollernschwert" aus der 
Scheide gezogen und mit der berühmten „Nibe- 
lungentreue" an ihm festgehalten habe. Die Stirn- 
men, die so fragten, wurden trotz aller Gegenbemü- 
Hungen der Zensur immer lauter und zahlreicher, 
als der neue Herrscher Österreichs das ungeheure 
Wagnis unternahm, das Parlament, den Reichsrat, 
einzuberufen. Das ungarische Abgeordnetenhaus 
hatte getagt von Anfang des Krieges an. Den 
Reichsrat in Wien zusammenzurufen, hatten Franz 
Joseph und seine Minister sich gescheut, und sie wuß- 
ten wohl warum. Es war ja vorgekommen, daß 
Tschechen und Deutsche in den ersten Tagen des 
Krieges auf dem Markte von Prag gemeinsam die 
Wacht am Rhein gesungen hatten, und dem deutschen 
Volke war erzählt worden, aller Stammeshader sei 
in Osterreich erloschen angesichts der großen gemein- 
samen Gefahr. Aber solche Vorkommnisse waren 
nur Ausnahmen gewesen. In Wahrheit standen sich 
die Völker Österreichs so feindlich gegenüber, wie nur 
je, und je länger der Krieg dauerte, um so klarer 
trat es zutage, daß die Tschechen und Serben und 
Kroaten und Slowaken, nicht zu vergessen die Polen, 
den Ring Zersprengen wollten, der sie in einem Staate 
zusammenhielt. Immer lauter und kecker erscholl aus 
ihren Lagern das Geschrei: Los von Osterreich! 
Am 3t). Mai trat der Reichsrat in Wien zusammen. 
Es war zu erwarten, daß seine Sitzungen einen recht 
910
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.