Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

von den Deutschen, daß sie unmöglich im Stande 
waren, ihren Bundesgenossen mit nennenswerten Un- 
terstützungen zu Hilfe zu kommen. Aber es erfolgte 
nichts. Nur wurde an einigen Tagen der Geschütz- 
kämpf an verschiedenen Stellen der Front heftiger 
als gewöhnlich. Die österreichische Regierung schob 
das Unterbleiben der Offensive auf das ungünstige 
Wetter, allein sie fand nicht einmal bei ihrem eigenen 
Volke damit Glauben. In Wien erzählte man sich 
— die Zeitungen durften darüber natürlich nichts 
bringen — die Untätigkeit des Heeres habe einen 
ganz anderen Grund. Der Kaiser werde von seiner 
Gemahlin Zita, ihrer Mutter und ihren sonstigen 
Verwandten bearbeitet, den Krieg aufzugeben und 
mit der Entente sich im Sonderfrieden zu verstän- 
digen. Nun kamen im April Dinge an den Tag, 
die solchen Gerüchten neue Nahrung gaben, ja sogar 
ihre Richtigkeit für jeden Verständigen bewiesen und 
den Herrscher Österreichs in einem sehr eigentümlichen 
Lichte zeigten. 
Man darf an diesen Dingen nicht vorübergehen, 
denn sie enthüllen einen der Gründe dafür, daß der 
Krieg für die Mittelmächte verloren ging und daß 
nach dem Kriege die Revolution ausbrach. 
Die großen Fürstenhäuser, die Europa seit Jahr- 
Hunderten beherrschten, sind mit daran zugrunde 
gegangen, daß sie das Legitimitätsprinzip zu hoch 
gespannt hatten. Sie heirateten immer wieder unter- 
einander, selten kam einmal frisches Blut hinein, 
obwohl Deutschland allein 54 „ebenbürtige" Familien 
besaß, katholische und protestantische. Das hatte auf 
körperlichen wie auf geistigen Gebieten die üblen 
Folgen, die eben die Inzucht überall mit sich bringt, 
und sie lagen vielleicht bei keinem Herrscherhause so 
offen am Tage wie bei den österreichischen Lothrin- 
gern, die sich Habsburger nannten. Bildeten doch zahl- 
reiche Anekdoten, die von Erzherzögen erzählt wurden, 
das ständige Entzücken weiter Kreise in Osterreich. Die 
andere üble Folge der gegenseitigen hochfürstlichen 
Versipptheit war die, daß eine fürstliche, hoch über den 
Völkern schwebende Internationale entstand, die mehr 
dynastisch als völkisch empfand. Durch ihre aus- 
ländischen Familienbeziehungen und Heiraten wurden 
diese Herrschaften den eigenen Völkern vielfach inner- 
lieh entfremdet, wurzelten nicht im heimischen Boden. 
Ein Schulbeispiel dafür war der neue Kaiser von 
Osterreich und König von Ungarn, Karl l. Er war 
verheiratet mit einer Prinzessin aus dem Hause Bour- 
bon-Parma. Die Neigung dieser Familie gehörte 
Frankreich. Als der Krieg ausbrach, eilten zwei 
Prinzen zu Parma, Brüder der Kaiserin, Sixtus 
und Xaver, von Osterreich nach Frankreich und boten 
ihrem alten Vaterlande ihre Dienste an. Sie mußten 
dort abgewiesen werden, denn den Angehörigen der 
Häuser, die früher in Frankreich geherrscht hatten und 
noch Anspruch auf die französische Krone erhoben, verbot 
ein Gesetz, in der französischen Armee zu dienen. 
Sie beschlossen, als einfache Soldaten in das englische 
Heer einzutreten, wurden aber auch hier nicht an¬ 
genommen. Endlich fanden sie Unterkunft im bel- 
gischen Heere, dienten erst als Krankenträger, dann 
mit der Waffe gegen die Deutschen, kämpften tapfer 
und erhielten das französische Kriegskreuz im April 
1916 aus der Hand des Präsidenten Poincare 
selbst. Dabei erklärte der Prinz Sixtus, er sei über 
diese Auszeichnung besonders „gerührt", weil es seit 
80 Jahren die erste französische Auszeichnung sei, 
die ein Prinz des Hauses Bourbon erhalte. Andere 
Mitglieder des Hauses Parma, die auf österreichischem 
Boden geblieben waren, hatte der alte Kaiser Franz 
Joseph polizeilich überwachen lassen. 
Man hätte meinen sollen, der neue Kaiser werde 
wenigstens mit den Parmas, die gegen seine Bundes- 
genossen unter Waffen standen, den Verkehr ab- 
brechen. Aber weder er noch seine erlauchte Ge- 
mahlin dachten daran. Die Kaiserin traf sich mit 
ihrem Bruder in der Schweiz. Prinz Sixtus durfte 
sogar als feindlicher Offizier nach Steiermark kommen 
und traf dort mit seinen Verwandten zusammen. 
Vor allem aber blieb der Kaiser mit seinem Schwager 
Sixtus in brieflichem Verkehr, und das kam im April 
1918 an die Öffentlichkeit und erregte überall das 
gewaltigste Aufsehen. 
Der österreichische Ministerpräsident behauptete am 
14. April in einer Rede über die Lage, Clemenceau 
habe bei ihm feierlich anfragen lassen, ob man nicht 
Verhandlungen über die Beendigung des Krieges 
anknüpfen könne. Als Ezernin erwidert habe, das 
sei wohl möglich, aber über eine Rückgabe Elsaß- 
Lothringens an Frankreich könne überhaupt nicht 
verhandelt werden, seien die Friedenssühler von 
Clemenceau wieder eingezogen worden. Diese ganze 
Darstellung erklärte der französische Ministerpräsident 
für erlogen und veröffentlichte nun eine Erklärung, 
worin es hieß, der Kaiser selber habe seinen Schwager 
Sixtus von Bourbon-Parma wissen lassen, er halte 
die Ansprüche Frankreichs an Elsaß-Lothringen für 
durchaus gerecht. Das erklärte Ezernin für eine Lüge, 
und Karl I. tat dasselbe in einem entrüsteten Schreiben 
an seinen Bundesgenossen Wilhelm II. Nun ließ 
Clemenceau durch die Agence-Havas das Folgende 
als amtliche Erklärung der französischen Regierung 
veröffentlichen: 
„In dem Lügengewebe muß Halt gemacht werden. Da 
Kaiser Karl unter den Augen von Berlin die lügnerischen Ab- 
leugnungen des Grafen Czernin auf seine Rechnung nimmt, 
zwingt er die französische Regierung, den Beweis zu erbringen. 
Hier ist der Wortlaut des handschriftlichen Briefes, der am 
31. März 1917 von dem Prinzen Sixtus von Bourbon, dem 
Schwager des Kaisers von Österreich, Herrn Poincare, dem 
Präsidenten der Republik, und mit Zustimmung des Prinzen 
sofort dem französischen Ministerpräsidenten mitgeteilt wurde: 
Mein lieber Si.rt! 
Das Ende des dritten Jahres dieses Krieges, der so viel 
Trauer und Schmerz in die Welt gebracht hat, nähert sich. 
Alle Stämme meines Reiches sind enger als je vereint im ge- 
meinsamen Willen, die Unversehrtheit der Monarchie selbst 
und der Seinen unter schwersten Opfern zu wahren. Dank 
ihrer Einigkeit und des großmütigen Zusammenwirkens aller 
Nationalitäten meines Reiches hat die Monarchie seit fast drei 
Jahren schwersten Stürmen standhalten können. Niemand 
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