Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Namen eigentlich gar nicht mehr verdiente. Neben 
16 Sozialrevolutionären, Volkssozialisten, Radikal- 
demokraten usw. befanden sich in ihm nur 4Kadetten. 
Aber die Zahl seiner wütenden Gegner, der Bol- 
schewisten, wuchs immer mehr an, die anderen So- 
zialdemokraten trauten ihm auch nicht recht, denn 
er war ihnen zu scharf gegen die Arbeiter und Sol- 
daten, die durch ihre Unbotmäßigkeit die Fortfüh- 
rung des Krieges fast unmöglich machten. Die 
bürgerlichen Parteien trauten ihm erst recht nicht. 
Ihnen war er zu schlapp in seinem Verhalten 
gegen die Vertreter des reinen Umsturzes. Sie 
erkannten, daß die ewige Rücksichtnahme auf 
die meuternden Soldaten und das verbummelte Ar- 
beitervolk und die fortwährenden halben Maßregeln 
gegen sie das Heer noch ganz und gar zerrütten und 
den Sieg unmöglich machen würden. Am meisten 
erkannten das die Offiziere an der Front, und der 
Höchste unter ihnen beschloß, dem ungeheuren Unfug 
ein Ende zu machen. Es war General Kornilow, 
der seit Ansang August an der Spitze der gesamten 
russischen Heeresmacht stand, derselbe, der auf der 
Moskauer Konferenz den kläglichen Zustand der Ar- 
meen so bitter beklagt hatte. Er war beim Klagen 
nicht stehen geblieben, sondern hatte sich mit dem 
größten Eifer bemüht, die Zustände zu bessern und 
hatte Fahnenflüchtige, Plünderer und Räuber in 
ganzen Haufen erschießen lassen. Die Folgen waren 
nicht die von ihm gewünschten gewesen. Er hatte 
lediglich erreicht, daß mehrere große Meutereien aus- 
brachen. Da hatte er klar erkannt, daß alle Ar- 
beit an dem Heere vergeblich sei, so lange es von 
der Heimat her immer wieder verseucht und vergiftet 
werden konnte. Deshalb forderte er von Kerenski 
die schärfsten Maßregeln gegen die Bolschewisten 
und die Einführung der Todesstrafe für Aufwiegler 
und Landesverräter auch im Hinterlande. Kerenski 
konnte das nicht bewilligen, denn wer seine Macht 
dem Aufruhr verdankt, kann gegen die Aufrührer 
nicht mit Tatkraft und Strenge vorgehen. So ließ 
denn Komilow den Diktator auffordern, abzu- 
danken, um ihm die oberste Zivil- und Militär- 
gewalt zu übergeben, und setzte sich mit seinen Trup- 
pen auf Petersburg in Bewegung. Aber der Putsch 
gelang nicht. Kerenski ließ sich nicht einschüchtern, 
verfügte den Belagerungszustand über Petersburg, 
rief alle Bürger zur Verteidigung auf und erklärte 
den General für abgesetzt. Der Vormarsch der Kor- 
nilowschen Truppen wurde durch Aufreißen der 
Schienen und andere Mittel aufgehalten, die ganze 
Armee wurde von den Arbeiter- und Soldatenräten, 
die sich nun beim Herannahen der neuen großen 
Gefahr geschlossen hinter Kerenski stellten, aufgefordert, 
sich gegen Kornilow zu wenden. Die Soldaten der 
Westfront und der rumänischen Front taten es auf der 
Stelle, nur der Kommandierende der Nordfront, 
General Denikin, erklärte sich für Kornilow, wurde 
aber am 11. September in seinem Hauptquartier 
verhaftet. Kornilow sah ein, daß seine Sache ver¬ 
loren war, und ließ sich am 14. September von 
dem neuernannten Generalissimus Alerejew gleich- 
falls verhaften. (Es geschah ihm übrigens nichts. 
In kurzer Zeit war er wieder frei und stand wieder 
an der Spitze.) Wie sich die plötzliche Entschluß- 
losigkeit des Generals erklären läßt, ist ungewiß. Wahr- 
scheinlich hat er — und wohl mit Recht — mit einem 
Male das Vertrauen zu seinen eigenen Truppen verloren. 
Auch was er eigentlich gewollt hat, steht nicht fest. Viel- 
leicht wollte er ein bürgerliches Direktorium einrichten, 
vielleicht eine Militärdiktatur über Rußland verfügen. 
Sie wäre wohl das einzige gewesen, was das Reich 
vor der drohenden Pöbelherrschaft und Auflösung 
hätte retten können. Denn Kerenski war dazu viel 
zu schwach. Mit Schlauheit, diplomatischer Gewandt- 
heit und hinreißender Beredsamkeit war Rußland 
nicht vor dem Hinabgleiten in den Abgrund zu be- 
wahren. Das vermochte nur ein Mann, der vor 
Strömen von Blut nicht zurückschrak. Ein solcher 
Mann war Kerenski keineswegs, auch stand ihm keine 
Truppenmacht zur Verfügung, auf die er sich ganz 
sicher hätte verlassen können, und er wußte sich keine 
zu schaffen. Er wollte das wohl auch gar nicht, 
denn in diesem Manne, dem viele Leute in Rußland 
napoleonische Ziele schuld gaben, lebte die kindliche 
Vorstellung, die Welt könne durch Überredung ge- 
leitet werden. Zu Gewaltsamkeiten war er nur 
schwer zu bewegen. 
Vorderhand hatte der mißglückte Angriff Kornilows 
die Stellung des Diktators sehr gestärkt. Es regnete An- 
erkennungs- und Zustimmungserklärungen von allen 
Seiten. An der Spitze eines fünfköpfigen „Direkto- 
riums" regierte er das ganze Reich, und am 16. Sep- 
tember ließ er Rußland als Republik ausrufen, während 
er früher erklärt hatte, die Bestimmung der Regierungs- 
form des Landes sei der Nationalversammlung vor- 
behalten. Das verdachte ihm nun freilich niemand, 
aber im allgemeinen erregte seine überragende Stel- 
lung mehr und mehr Neid, Mißstimmung und Miß- 
trauen, und wesentlich um die Macht des Diktators 
zu beschränken, wurde eine „demokratische Konferenz" 
in Petersburg von Tseretelli und anderen zusammen- 
berufen. Sie versammelte sich am 27.September 
und war eine Neuauflage der Moskauer Konferenz, 
verlief auch ebenso wie diese, d. h. es wurden viele 
und schöne Reden gehalten, bei denen allen nichts her- 
auskam. Man konnte sich nicht darüber einigen, 
ob das neu zu bildende Ministerium ausschließlich 
aus Sozialisten oder mit aus Vertretern der bürger- 
lichen Parteien bestehen sollte. Kerenski, den man 
schließlich herbeiholte, sprach sich sehr scharf aus für 
die Zuziehung der Kadetten und erklärte geradeheraus: 
„Die soziale Regierung bedeutet den Bürgerkrieg." 
Es gelang ihm auch unter unsäglichen Mühen, noch 
einmal eine Koalitionsregierung, die fünfte, zusammen- 
zubringen. Dem neuen Kabinett gehörten vier Ka- 
detten an. Hiermit stand er auf der Höhe seiner 
Macht, denn dieses Kabinett bestand fast nur aus 
Männern, die ihm ihre Stellung verdankten. Aber 
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