Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

So bröckelten 
an allen Ecken 
und Enden Teile 
von Rußland ab, 
oder die Gefahr 
der Abbröcke- 
lung stand zum 
wenigsten in 
hster Zeit zu 
erwarten. 
noch 
das Reich 
es aber, 
die innere 
Zersetzung im- 
mer weiter um 
sich griff. Die 
bolschewistischen 
Trotzky. Unruhen mehr- 
ten sich, und 
alle Aufrufe der vorläufigen Regierung konnten 
daran nichts ändern. Am 3. Juli ließ die Regie- 
rung das Hauptnest der Anarchisten in der Villa 
Durnowo bei Petersburg ausheben. Die Folge war 
ein Proteststreik vieler Fabriken. Sogar die Putilow- 
werke streikten. Bei den Wahlen zum großen Stadtrat 
in Petersburg am 4. Juli errangen die Bolschewik! 
schon 37 Sitze. 
Noch viel bedrohlicher für das Bestehen Rußlands 
waren die fortwährenden inneren Unruhen, die durch 
die fortwährende Wühl- und Hetzarbeit der Bolsche- 
roisten hervorgerufen wurden. Die Koalitionsregie- 
rung verlor mit jedem Tage mehr Boden bei der 
Arbeiterschaft der großen Städte, und immer deut- 
licher trat die Absicht Lenins und seiner Anhänger 
hervor, diese Regierung zu stürzen und eine unum- 
schränkte Alleinherrschaft des Proletariats aufzurich- 
ten. „Nieder mit den bürgerlichen Ministern! Wir 
verlangen, daß die ganze Macht den Arbeiter- und 
Soldatenräten übertragen wird!" — so war auf den 
roten Fahnen zu lesen, die am Abend des 16. Juli 
und am folgenden Tage von bewaffneten Arbeiter- 
Haufen durch die Straßen Petersburgs getragen 
wurden. Es kam zwischen diesen Banden und den 
Regierungstruppen an verschiedenen Stellen zu Zu- 
sammenstößen. Gleichzeitig brachen auch in anderen 
Städten, in Nishnij-Nowgorod, in Kiew und Reval 
Unruhen aus. Der Grund dafür war die Auflösung 
einiger Regimenter, die Kerenski angeordnet hatte, 
und eine Ministerkrise, bei der fünf Minister, darunter 
zwei Kadetten, aus der Regierung austraten, weil 
die sozialistischen Amtsgenossen eine solche Partei- 
Politik trieben, daß sie nicht mehr mit ihnen zu- 
sammenarbeiten konnten. Zwei von ihnen wurden 
durch Sozialisten ersetzt. Die Aufstände wurden mit 
Gewalt unterdrückt, wobei viel Blut floß. Die Re- 
gierung, die Ausschüsse des Arbeiter-, Soldaten- und 
Bauernrates verboten und verurteilten die Ausschrei- 
tungen, aber ihr Erfolg war nur vorübergehend. Ver- 
schiebene Führer 
der Bolschewi- 
sten wurden am 
18. verhaftet, 
und auch Lenin 
sollte verhaftet 
werden, aber er 
entzog sich dem 
durch die Flucht. 
Am 19. Juli ord- 
nete die Regie- 
rung die Räu- 
mung des Land- 
Hauses der Tän- 
zerin Kschesies- 
kaja an, wo viele 
Waffen und 
Sprengstoffe ge- 
funden wurden. Lenin. 
Die Arbeiter, die 
sich in der Peter-Pauls-Festung festgesetzt hatten,, 
unterwarfen sich nach kurzem Widerstande der Re- 
gierung. Am 20. beschloß die Regierung, alle 
Truppenteile, die sich an dem Aufstande beteiligt 
hatten, zur Front zurückzuschicken und alle Personen, 
die dazu aufgefordert hatten, wegen Landesverrats 
vor Gericht zu stellen. Der Petersburger Arbeiter- 
und Soldatenrat, der bisher sein Schild über Lenin 
gehalten hatte, gestattete nun, daß gegen ihn vorge- 
gangen werde. Er wurde beschuldigt, Geld von 
Deutschland genommen zu haben, denn Deutschland 
habe das Ziel, durch innere Unruhen Rußland zu 
zersetzen. War so in Petersburg die äußerliche Ruhe 
leidlich wiederhergestellt, so brachen an demselben 
Tage um so schlimmere Unruhen in Nishnij-Now- 
gorod aus. Soldatenbanden rissen die Gewalt an 
sich, zwangen den Arbeiter- nnd Soldatenrat zur 
Flucht und plünderten die Häuser der Bürger. In 
Kiew besetzte ein Teil der Soldaten das Zeughaus, 
wurde aber durch den andern Teil zur Ruhe gebracht. 
Am 21. Juli erreichte Kerenski die Stellung, die 
sein glühender Ehrgeiz schon lange erstrebt hatte. 
Fürst Lwow trat von seinem Posten als Ministerprä- 
sident zurück, und er wurde sein Nachfolger. Sein 
Kabinett bestand aus fünf sozialistischen und fünf 
bürgerlichen Ministern, und dieser Regierung erteilte 
der Vollzugsausschuß des Arbeiter- und Soldaten- 
rates und des Bauernrates in Petersburg unter 
dem Eindrucke der äußerst kläglich gewordenen Lage 
an der Front „unbegrenzte Vollmacht, die Organi- 
sation und die Manneszucht im Heere wieder her- 
zustellen und den Kampf bis zum äußersten wider 
die Gegenrevolution und die Anarchie zu führen." 
„Mit Blut und Eisen", erklärte Kerenski am 24. Juli 
— „wird Rußlands Einheit geschmiedet werden, wenn 
die Gründe der Ehre und des Gewissens nicht ge- 
nügen. — Augenblicklich ist es unumgänglich not- 
wendig, den Rückzug zum Stehen zu bringen, die 
wirtschaftliche Zerfahrenheit zu beseitigen und die 
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